Alles eitel Wonne

Österreich Aufgrund von Leihstimmen hat der Grüne Alexander Van der Bellen die Stichwahl viel deutlicher als erwartet gewonnen
Ausgabe 49/2016

Wusste bis vor einigen Monaten in Europa kaum jemand, dass es überhaupt einen österreichischen Bundespräsidenten gibt, und noch weniger, wie er heißt, so stand dieser Wahlkampf unter internationaler Beobachtung. Kippt Österreich schon in den Faschismus oder kann er gerade noch abgewendet werden, so ungefähr lautete die überzogene, aber stets aufgeheizte Befürchtung, die durch die globalen Medien geisterte.

Nun freilich ist das Ergebnis nicht einmal knapp ausgefallen, sondern deutlich zugunsten Alexander Van der Bellens. Der rechtspopulistische Kandidat der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), Norbert Hofer, konnte abgewehrt werden. Das Land hat wieder eine positive Nachrede, ja sogar den ersten grünen Präsidenten in Europa. Alles passt. Van der Bellen wird in den nächsten sechs Jahren auf internationaler Bühne geradewegs so auffallen wie sein Vorgänger Heinz Fischer (SPÖ), also kaum. Entwarnung ist angesagt, der Tross der Journalisten hat Wien inzwischen auch schon verlassen. Der Rest interessiert wenig, Österreich wird wie gehabt dem Desinteresse überantwortet.

Das Aufatmen in Berlin, Brüssel oder Paris ist aber vorschnell. Was wir wissen, ist, dass 54 Prozent gegen Hofer gestimmt haben, aber wir können nicht behaupten, dass 54 Prozent für Alexander Van der Bellen votierten. Diese Differenz muss man im Auge behalten. Das Motiv ist dem Resultat zwar egal, nicht aber der politischen Entwicklung. Die Euphorie ist eine kurzsichtige. Von einer Richtungsänderung oder gar einer Trendumkehr ist dezidiert nicht auszugehen. Das ist Wunschdenken.

Wichtig wäre, zu erkennen, dass dieses Wahlergebnis primär ein Contra ausdrückt, aber keine klare Pro-Entscheidung enthält. Van der Bellens Wählerschaft dokumentiert eine fragmentierte Masse, die Mehrheit besteht aus Leihstimmen, die schon am Wahlabend der Vergangenheit angehörten. Hofers Wählerschaft hingegen zementiert eine kompakte Masse, zumindest trifft das auf das Gros dieser 46 Prozent zu. Lediglich die Minderheit sind Leihstimmen. Der FPÖ-Wahlkampfleiter Herbert Kickl spricht von einem „historischen Ergebnis der FPÖ“. Da hat er leider recht. Nicht der Aufstieg wurde gebremst, nur ein Erdrutsch verhindert. Auf das seltsame Zweckbündnis von neoliberal bis linksradikal, das den grünen Ex-Parteichef ins Amt hievte, sollte niemand bauen.

Zu oft nachgetreten

Die Wahl wurde auch deswegen gewonnen, weil Van der Bellens Wahlkampf weder Akzente setzte noch Konturen zeigte, sondern Assoziationen bediente. So arbeitete die Kampagne mit Projektionsflächen wie Heimat, Mitte, Europa oder Natur und hatte alle Plattitüden im Gepäck. Einmal mehr galt es das Verbindende über das Trennende zu stellen und die Weltoffenheit zu beweihräuchern. Bloß nirgends anecken im rot-weiß-roten Taumel der Volksfeste und Bundeshymnen. Weiter so. „Unser Präsident der Mitte“ war eine der zentralen Botschaften. Plakate, Sticker, Sandwichs waren voll damit. Zweifellos wurde der erodierenden Mitte eine grüne Frischzellenkur verpasst.

Die Initiative blieb zumeist den Freiheitlichen überlassen, denen es auch gelang, sich vehement und erfolgreich gegen das Establishment in Szene zu setzen. „Alle gegen uns, wir gegen alle!“ Dass fast alle Medien gegen sie auftraten, nutzten sie abermals, um sich als Opfer des Systems zu gerieren. Und doch dürften die letzten Tage vor der Wahl aus dem Ruder gelaufen sein. Besonders im abschließenden TV-Duell setzte Hofer voll auf den Untergriff. Vor laufender Kamera wurde Van der Bellen als Kommunist geoutet, als Sowjetspion enttarnt und zigfach der Lüge bezichtigt. Hofer war gar nicht mehr zu bremsen, als sein Gegner, so überrascht wie genervt, in den Seilen hing.

Alexander Van der Bellen sah in dieser Konfrontation nicht gut aus, sondern wirkte schwer angezählt. Von Schlagfertigkeit keine Spur. Mit so viel Infamie hatte er nicht gerechnet. Doch wer auf einen am Boden Liegenden vor laufender Kamera eintritt, erscheint als Grobian. Wird der erste Schlag noch goutiert, so wird jedes Nachtreten mit steigendem Befremden aufgenommen. Die Brutalität des Hofer’schen Auftritts kam wohl nicht so gut an, wie es sich die Aggressoren in den „War Rooms“ der FPÖ-Wahlkampfzentrale vorgestellt hatten. In diesen Momenten ist der freiheitliche Kandidat ganz zum Schläger seiner deutschnationalen Burschenschaft geworden. Doch das Grölen im Hintergrund wurde leiser und das Gefühl stärker, dass hier einer ein Foul nach dem anderen begeht. Der Trump-Effekt verpuffte spätestens, als Hofer sich als Kopie versuchte. Der vor der Kamera vollzogene Schwenk vom Opfer zum Täter ging daneben. Der mühsam aufgebaute Schein der Seriosität war dahin.

Van der Bellen als ehemaliger Sowjetspion, dessen Vater noch dazu ein Nazi gewesen sein soll, das sind wahrlich Geschichten für die Gemeinschaft der Verschwörungsfanatiker namens FPÖ. Doch eben nur für diese. Das geifernde Zücken der roten Karte erwies sich als kontraproduktiv. Der Antikommunismus verfängt heute nicht mehr so wie ehedem, so dass die christliche Propaganda der FPÖ die Gläubigen wohl mehr verstört und verärgert als motiviert hat. Selbst die sogenannte Flüchtlingsfrage war nicht mehr so zentral wie noch vor einem halben Jahr. Nicht wenigen Österreichern dürfte auch die von der FPÖ durchgesetzte Wahlanfechtung gestunken haben, bedeutete sie doch ein Jahr Wahlkampf, der zum Schluss nur noch als Belästigung empfunden wurde. All das heißt auch, dass die FPÖ taktisch nicht zu Rande gekommen ist, nicht jedoch, dass sie strategisch gescheitert wäre.

Ein liberales „Nur Brüssel kann uns retten“ führt genauso in eine Sackgasse wie eine Renationalisierung der Politik. Gibt es Alternativen? Das hängt davon ab, ob und wie es möglich ist, gegen die verfeindete, aber vereinte Regression von Liberalismus und Populismus emanzipatorische Faktoren in den westlichen Gesellschaften aufzubauen. Appendix oder gar Querfront sind keine Antworten auf diese Frage. Eines aber sollte man nicht gering schätzen. Ein Durchmarsch Hofers hätte wohl die übelsten Figuren aus der Virtualität des Netzes in die Realität der Räume entlassen. Die bleiben einem zumindest erspart. Vorerst.

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