Bis vor einem Jahr bestand die österreichische Außenpolitik vor allem darin, symbiotisch mit der deutschen aufzutreten. Abweichungen gab es, wenn überhaupt, selten. Gelegentlich betätigte Ex-Kanzler Faymann den linken Blinker, ohne jedoch abzubiegen. Der Sozialdemokrat wirkte dabei wie der kleine, verlässliche Bruder, der aus Wien auf Besuch gekommen war und der es stets verstand, Angela Merkel von ihren eigenen Ansichten zu überzeugen. Inzwischen ist alles anders. Österreich ist vom Appendix der Deutschen zum Scharfmacher in der EU aufgestiegen. Das hätte man so eigentlich nicht erwartet, ist auch mehr Folge der innenpolitischen Konstellation, mithin taktisch begründet. Merkels lavierende Flüchtlingspolitik hat die österreichischen Partner offenbar in die Flucht getrieben, nicht nur die Schwesterpartei ÖVP, sondern auch die Sozialdemokraten. Unter Kanzler Christian Kern hat sich diese Marschrichtung nicht geändert, sie wird nur geschickter, insbesondere schicker moderiert.
Getrieben vom heimischen Rechtspopulismus und seinen Erfolgen, hat man beschlossen, diesen weniger abzuwehren, als zu kopieren. Obgleich „beschlossen“ zu viel gesagt ist. Man hat einfach nachgegeben, weil man sich nicht mehr zu wehren wusste. Sebastian Kurz (ÖVP), der Außenminister, machte hier den jungen Vorreiter, dem letztlich die gesamte Regierung folgte. Hinkte man früher um Jahre der FPÖ-Politik nach, so hat sich der Abstand mittlerweile auf ein paar Wochen verkürzt. „Schärfer als Strache, härter als Hofer!“, so präsentiert sich die Wiener Bundesregierung und erhält dafür auch Lob freiheitlicher Spitzen, allerdings mit dem berechtigten wie süffisanten Verweis, dass man dort derlei schon immer vertreten habe.
Der restriktive Kurs gestaltet sich in Österreich wohl um einiges weniger brachial als in den osteuropäischen EU-Ländern. Aber Sprache und Absicht sind eindeutig. Man nimmt kein Blatt mehr vor den Mund. Heeresminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) nannte Merkels Politik unlängst nicht nur falsch, sondern schlicht „unverantwortlich“. Er plädierte für einen europäischen „Rückführungsgipfel“ und forderte in der Boulevardzeitung Österreich: „Wir müssen auch militärische Operationen in den Herkunftsländern überlegen, um die Flüchtlingswellen am Ursprung anzupacken.“ Er spricht von „Stabilisierungsmissionen“ und „interessengeleiteter Neutralitätspolitik“.
Ein Jahr wie 2015 dürfe jedenfalls nie wieder passieren, so der alpenländische Staatskonsens, es gelte, das Land abzuschotten, Notverordnungen durchzusetzen und nur mehr eine bestimmte Anzahl an Flüchtlingen reinzulassen. „Es muss allen klar sein. Die Migrationswellen haben keine Chance, nach Österreich zu kommen“, sagt Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP), ebenfalls ein Scharfmacher der Koalition. Wirtschaftsflüchtlinge, die sich weigern auszureisen, sollen laut Sobotka mit Gefängnis bestraft werden.
Der Wille könnte indes am Können scheitern. Viele Fragen bleiben bei alledem ungeklärt. Was ist mit den Dublin-Fällen, die nicht zurückgewiesen werden können (etwa weil Ungarn keine Flüchtlinge zurücknimmt), oder den Bayern, die wie angekündigt Asylsuchende nach Österreich retour schicken wollen? Dann bekommt man im Südosten nicht los, was man loswerden will, dafür aber im Nordwesten dazu, was man nie und nimmer wollte. Einmal mehr könnte aus einer martialischen Pose eine peinliche Posse werden.
Besonders aus dem Fenster gelehnt hat man sich betreffend die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Da stehen die Zeichen auf Abbruch. Zumindest in Wien, am besten gleich und sofort. Selbst Kanzler Kern vertritt diese ultimative Ansicht, ungeachtet dessen holte er sich bei einem Treffen sozialdemokratischer Parteiführer Ende August in Paris eine Abfuhr. Diese Rigorosität stellt mehr als eine durchaus berechtigte Kritik Erdoğans dar, sie ist eine Brüskierung vor allem auch jener oppositionellen Kräfte in der Türkei, die sich der AKP widersetzen. Dass diese Verhandlungen aktuell zu Erfolgen führen, glaubt sowieso niemand. Doch ein formaler Abbruch wäre ein schroffer Affront.
Das Problem ist nicht die vehemente Kritik an der Türkei, das Problem ist vielmehr, dass dieses verschoben wird, wenn ganz abstrakt von „den Türken“ die Rede ist. Wenn also das konkrete Unbehagen in das abstrakte Ressentiment kippt. Es geht überhaupt nicht darum, die Türkei weißzuwaschen, aber doch darum nachzufragen, was die Regierung Kern sagt, wie sie es sagt, an welchen Stimmungen und Aversionen angedockt wird. Es ist eine Frage der Aufladung. Wenn Innenpolitik Außenpolitik spielt, will man den Boulevard und die autoritären Stimmungen in der Bevölkerung bedienen. Ein formeller Einspruch ist beim informellen EU-Gipfel in Bratislava seitens Österreichs trotzdem kaum zu erwarten. Das von Minister Kurz rausposaunte Veto bezog sich auf die Eröffnung weiterer Kapitel in den Beitrittsgesprächen – doch die stehen sowieso nicht zur Debatte.
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