Begonnen hat es ja nicht besonders. Kaum im Amt, hat Österreichs Ratspräsidentschaft gleich zwei Niederlagen hinnehmen müssen. Erstens wurde der EU-Haushalt im Europäischen Parlament mit überwältigender Mehrheit abgelehnt, und zweitens scheiterte der Vorschlag kläglich, doch die Debatte um die EU-Verfassung zu reaktivieren.
Trotzdem sollte man die Pannen nicht überbewerten. Anders als Kommissionspräsident Barroso, der sich zusehends als Leichtgewicht erweist, lässt sich Wolfgang Schüssel nicht irritieren, im Gegenteil, er streut dem Europaparlament sogar Rosen und meint, dieses sei "keine Applausmaschine". Der neue Ratspräsident plädiert gelassen für weitere Gespräche, betont aber zugleich, dass er auf finanzieller Ebene wenig "Manövrierraum" sehe. Verhandlungen liebt der in der österreichischen Sozialpartnerschaft als Wirtschaftskammerfunktionär groß gewordene Schüssel ungemein, da ist er in seinem Element. Jemanden über den Tisch ziehen, das kann er. Man denke bloß daran, wie sich der Mann im Jahr 2000 vom dritten Platz aus ins Kanzleramt gehievt hat.
Weniger wichtig ist, was in diesem Halbjahr geschieht. Wichtiger ist, wie die Präsidentschaft rüberkommt - in Europa wie in der Alpenrepublik. Nicht zu unterschätzen ist Schüssels Vorschlag, die EU solle ihren Etat nicht über die Mitgliedsstaaten begleichen, sondern aus Eigenmitteln, so als seien die staatlichen Zahlungen an die Union Fremdgelder. Zu diesem Zweck schlägt er eine EU-Steuer vor. Das ist zwar eine rein steuertechnische Maßnahme, aber eine, die in psychologischer Hinsicht die nationalen Regierungen aus der Schusslinie nehmen könnte. Der Unmut dürfte sich dann noch mehr in Richtung Brüssel und Straßburg verlagern. Zahlen tun in beiden Fällen dieselben, wenn auch nicht unbedingt dasselbe.
Es ist heute absolut populär, darauf hinzuweisen, dass etwas "unpopulär, aber notwendig" (Schüssel) ist. Diese Aufforderung zum Leiden ist geradezu charakteristisch für die Propaganda der marktwirtschaftlichen Ideologie. Und sie trifft auf Bereitschaft, auch bei vielen, die laufend unter die Räder kommen. Dass ausgerechnet der Liberalismus mit dem Populismus nichts am Hut habe, ist eines der hartnäckigsten Vorurteile, die heute verbreitet werden. Der "Nichtpopulist" Schüssel betreibt lediglich eine abgefeimtere Variante des affirmativen Unsinns. Er will jedenfalls als der stramme neoliberale Musterknabe gelten, der er zweifellos auch ist.
"Flexicurity" heißt daher das neue beschäftigungspolitische Zauberwort, dem gerade auf dem Treffen der EU-Sozialminister in Villach gehuldigt wurde - es soll Flexibility und Security verbinden. Oder um es im zynischen EU-Deutsch des österreichischen Wirtschaftsministers Bartenstein auszudrücken: "Es gibt einen Paradigmenwechsel, weg vom Schutz des einzelnen Arbeitsplatzes hin zum Schutz des Menschen und seiner Beschäftigungsfähigkeit". Also um Aushöhlung des Kündigungsschutzes bei gleichzeitiger Verschärfung der Zumutbarkeitskriterien. Angewandte Flexicurity ist etwa die neue europäische Dienstleistungsrichtlinie, die dem Dumping von Löhnen und Sozialleistungen Tür und Tor öffnet.
Es herrscht bei alldem eine Betriebsamkeit, die allerdings bescheidene Resultate bewerkstelligt. Die politische Szenerie erscheint als ohnmächtige Parallelwelt, in der es mehr ums Lavieren als ums Agieren geht. Man denke nur an die Aufnahme der Türkei in die EU. Da ist Österreich außen- und wirtschaftspolitisch dafür - innen- und sozialpolitisch aber dagegen.
Beim großen Nachbarn dürfte das nicht viel anders sein. Die Achse mit Deutschland, besonders mit der neuen Kanzlerin, lässt sich sehr innig an. Es ist davon auszugehen, dass die österreichische Position a priori mit der deutschen akkordiert ist. Man denke etwa an die Protektion Kroatiens. Aus Schüssel spricht auch Merkel. Das ist nicht nur Folge der gleichen Parteizugehörigkeit, da stimmt auch wieder die Chemie. Mit Schröder war die ja seit den EU-Sanktionen gegen Österreich (nach dem Eintritt der Haider-Partei in die Regierung im Jahr 2000) erheblich gestört.
Auch wenn Politik, Wirtschaft und Medien fast unisono trommeln, scheint die Stimmung in Sachen Europäische Union doch weiter sehr gedämpft, nicht nur in den Niederlanden und in Frankreich, auch in Deutschland und am allermeisten in Österreich. Die Skepsis indes ist da schon weniger einheitlich geprägt, sie speist sich sowohl aus berechtigter Kritik als auch nationalistischem Ressentiment und nicht immer sind die beiden auseinander zu halten. Was freilich die EU-Debatten ziemlich unerquicklich macht, weil die euphorischen Befürworter des öfteren mit denunziatorischen Zuordnungen arbeiten. Typisch ist folgender Kurzschluss: Weil es EU-Gegner gibt, die primitive Chauvinisten sind, gilt jeder Widerstand gegen die EU als nationalistisch oder gar faschistoid.
Die Ratspräsidentschaft bringt dem österreichischen Kanzler auf jeden Fall ein Surplus an medialer und öffentlicher Aufmerksamkeit. Wenn nichts völlig schief läuft, wird Schüssel selbst aus einer bloß ausgesessenen Präsidentschaft Vorteile ziehen. Im Herbst sind Nationalratswahlen, und da kommt es darauf an, sich günstig aufzustellen. Die Präsidentschaft ist jedenfalls eine Chance, die Schüssel als seine letzte nutzen will, sozusagen Flexicurity in eigener Sache. Da die SPÖ und ihr Vorsitzender Alfred Gusenbauer schwächeln, gilt es nicht als ausgemacht, dass die Sozialdemokratie ihre Siegesserie bei den Landtagswahlen auch bundespolitisch fortsetzen kann. Sollte es Schüssel gelingen, die Nase auch nur um einen Zehntelpunkt vorn zu haben, wird er - wer hätte es je für möglich gehalten - in seine dritte Amtszeit stolpern.
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