Der Sieger muss in die Nachspielzeit

Stockende Koalitionsbildung in Österreich Obwohl Wolfgang Schüssels Tage als Kanzler gezählt sind, will er noch einige Zeit im Amt bleiben

Kaum begonnen, sind die Koalitionsverhandlungen bereits am Ende. Ob sie auch schon zu Ende sind, wird sich dieser Tage weisen. Dass Alfred Gusenbauer und die SPÖ auf eine parlamentarische Untersuchung des umstrittenen Ankaufs der Eurofighter nicht verzichten konnten, ohne sich zu blamieren, war zu erwarten. Ebenso, dass die Österreichische Volkspartei (ÖVP) die Gespräche über eine künftige Regierung aussetzen würde, wenn die SPÖ gemeinsam mit den Grünen und der FPÖ Untersuchungsausschüsse zu den Themen "Eurofighter" und "Bankenaffären" beschließt. Nun will die ÖVP die Koalitionsgespräche gar bis zum Ende der Ausschüsse unterbrechen. Wenn man weiß, dass diese durchschnittlich zehn Monate tagen, ist eine solche Ankündigung mit einem Abbruch der Verhandlungen identisch.

Das Klima ist nicht nur erheblich gestört, es ist nachhaltig beschädigt. Zur Zeit regieren Schuldzuweisungen und gegenseitige Vorwürfe. Es ist die Zeit, wo man sich über die Medien ausrichten lässt, was der andere nicht darf oder schon wieder angestellt hat. Nicht inhaltliche Differenzen prägen das Bild, sondern atmosphärische Konflikte. Dass sie sich nicht mögen, ist klar, dass sie es so offen zeigen, überrascht denn doch. Gegnerschaft kippt zunehmend in gehässige Aversion.

Zweifellos will Schüssel das Gesetz des Handelns partout nicht aus der Hand geben. Der längste Interimskanzler aller Zeiten, dass wäre ein Abgang ganz nach seinem Geschmack. Auch wenn es offensichtlicher Unsinn ist, behaupten die Christdemokraten nun unentwegt, es gäbe Parallelverhandlungen zwischen SPÖ, Grünen und der Strache-FPÖ. Dass diese drei Parteien im Parlament die Untersuchungsausschüsse eingesetzt haben, dient als Beweis. An dieser durchsichtigen Halluzination zieht die ÖVP ihre Argumentation hoch. "Rot-grün-blau" soll dann gefälligst eine Regierung bilden, meinen der Kanzler und seine engere Gefolgschaft.

Mit der weiteren Gefolgschaft ist es allerdings nicht mehr weit her. In der Volkspartei rumort es kräftig. Galt Wolfgang Schüssel nach dem triumphalen Wahlsieg 2002 (plus 15 Prozent!) als unumstritten, so regt sich jetzt Widerstand. Aber es will noch niemand den entscheidenden Vorstoß riskieren. Auch drängt sich keine personelle Alternative auf. Nach den ersten subalternen Querschüssen stellten sich die Parteigranden demonstrativ hinter Wolfgang Schüssel. Doch das ist ebenfalls nicht mehr als ein gewonnenes Rückzugsgefecht.

Man weiß nicht so recht, welche Trümpfe der ÖVP-Obmann noch aus dem Ärmel zaubern kann. Gemeinsam mit Heinz-Christian Strache (FPÖ) und Jörg Haider (BZÖ) eine Regierung zu bilden, ist zwar rein rechnerisch möglich. Aber abgesehen davon, dass Strache nicht mit Schüssel will und nicht mit Haider kann, wäre es unmöglich, solch eine Konstellation stabil zu halten, geschweige denn unbeschadet zu überstehen. Aller Voraussicht nach müsste die ÖVP bei der nächsten Nationalratswahl dafür schwer büßen.

Gegenwärtig findet nun die Volkspartei mit ihrer Vorgangsweise kaum Freunde, geschweige denn Bündnispartner. Die große Koalition wird von einer Mehrheit der Österreicher erwartet, vom Bundespräsidenten gewünscht, von den Boulevardmedien herbeigeschrieben - sie genießt Unterstützung von der Industriellenvereinigung bis zum Gewerkschaftsbund. Scheinbar steht Schüssel auf verlorenem Posten. Und doch: Außer Neuwahlen hat er nicht viel zu befürchten. Besonders in vermeintlichen No-Win-Situationen hat er bisher Stärke und Stehvermögen bewiesen. Da wurden verlorene Wahlen (1995) auf dem Verhandlungstisch in Erfolge verwandelt, da konnte sich der auf den dritten Platz Abgerutschte mit Haiders Hilfe (1999/2000) ins Kanzleramt hieven. Wenn er in die Kamera lächelt, denkt er wohl: "Mich müsst ihr erst mal rausbekommen!"

Man sollte bei dem auf Schüssel gemünzten "Ausgetrickst!" das Ausrufezeichen mit einem Fragezeichen versehen. Eines versteht der Mann bravourös: die anderen nervös zu machen. Mit seinen Manövern hat sich der abtrittsunwillige Kanzler mehr Zeit verschafft als die SPÖ Geduld haben kann. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass ihr deswegen ein grobes Missgeschick unterläuft. Den "verlorenen Posten" deutet Schüssel nämlich so, dass er gar keinen Fehler mehr machen kann, während Gusenbauer keinen Fehler machen darf. Da ist was dran.

Schüssel ist ein Übertaktierer. Das ist risikoreich, aber gelegentlich vermag gerade kontrafaktisches Verhalten unvorhersehbare Ergebnisse zu zeitigen. Das aktuelle Gebaren der Volkspartei könnte man vielleicht als Verlustoptimierung umschreiben. Ihr Ziel besteht darin, den Kontrahenten in die eigene Niederlage mitzureißen, auf dass die offensichtliche Differenz verschwindet: "Soll er doch zum Bundespräsidenten gehen und sagen, dass er an der Regierungsbildung gescheitert ist, der Gusenbauer!" Das für die Sozialdemokraten entschiedene Match ist irrtümlich in der Nachspielzeit gelandet. Dass die neue Regierung bis Weihnachten steht, ist unwahrscheinlich. Noch ist Wahlkampf oder: schon wieder!


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