Fand da wirklich zusammen, was nicht zusammenpasst? „Mit dieser ÖVP will ich mir nicht einmal was vorstellen“, sagte Grünen-Chef Werner Kogler im Sommer 2019, und: „Mit der türkisen Schnöseltruppe geht es sicher nicht.“ Grüne Wahlplakaten wussten zu verkünden: „Im Kern ist Kurz ein Strache.“ Doch aufgepasst: Wer solche Aussagen jemandem hinterher vorhält, hat das politische Spiel missverstanden. Das war Wahlkampfgetöse – und sollte auch als solches wahrgenommen werden.
Bereits einige Monate später gab es für die Grünen keine Gründe mehr, nicht mit der Volkspartei zu paktieren. In den Koalitionsgesprächen lösten sich sämtliche Vorbehalte schnell auf. Das ist weder Zufall noch Verrat. In den zentralen Prämissen – Arbeit, Leistung, Markt, Konkurrenz, Standort, EU-Euphorie, Werte – ist man sich weitgehend einig. Grün und Türkis sind kompatibel. Im Kern ist Kogler ein Kurz.
Bashing fürs Publikum
Insofern war die Abkehr von alten Rollen nicht nur naheliegend, sondern fast zwingend, wollte man nicht wie SPÖ und ÖVP gleich wieder im Stau stecken. Diese Regierung folgt dem „Modell der Leuchttürme“: Beide Partner erhalten in auserwählten Gebieten jeweils freie Hand, dort ihre Politik zu bestimmen. So meinen die Grünen sich in den Punkten Umweltschutz und Transparenz durchgesetzt zu haben, dafür sind sie auch bereit, originäre ÖVP-Positionen in relevanten Bereichen nicht bloß zu tolerieren, sondern auch mitzutragen.
Das Beste aus beiden Welten soll diese Koalition vereinen, das betonen vor allem Sebastian Kurz und die Seinen unablässig. Die Botschaften der Volkspartei sind bis auf die Wortwahl gleichgeschaltet. Die Message Control lässt alle dieselben Stehsätze aufsagen. Doch das Publikum scheint daran einen Narren gefressen zu haben, sieht man sich Wahlergebnisse und Umfragewerte an. Das Beste aus beiden Welten, das Kurz da zusammenführen will, bedeutet, dass die ÖVP ungeniert und ungebremst ihre Politik fortsetzen kann, während die Grünen zwar ihre Vorstellungen platzieren dürfen, jedoch eine Umsetzung nur möglich ist, wenn die ÖVP sie (finanziell) zulässt.
Das Beste beider Welten bedeutet konkret etwa Folgendes: Kopftuchverbot in den Schulen bis zum Alter von 14 Jahren, Sicherungshaft für potenzielle Gefährder, eine schikanöse Sanktionspolitik gegenüber Arbeitslosen, vor allem aber die Fortsetzung einer restriktiven und menschenverachtenden Migrationspolitik. Da steckt viel FPÖ im türkis-grünen Bündnis. Auch die Ausreisezentren, Abschiebelager genannt, werden ganz im rigiden Sinne der ÖVP geführt. Die meisten Kommentatoren sehen Kurz so mächtig wie noch nie und die Grünen als Beiwagerl.
Symbolpolitik wird neuerdings noch größer geschrieben. Erstmals gehören mehr Frauen einer Bundesregierung an als Männer. Dafür wurde das Frauenministerium de facto eliminiert. Form wurde gegen Substanz getauscht. Die grünen Ressorts wurden allesamt beschnitten. Das Sozialministerium verlor seine Zuständigkeit für den Arbeitsmarkt, das Kulturministerium wurde zum Staatssekretariat degradiert, dem Justizministerium wurden die Verfassungsagenden entzogen. Seltsames geschah auch vorab im zum Superministerium aufgewerteten Umweltressort. Das wurde zwar kompetenzmäßig erweitert, potenzmäßig aber abgerüstet. Es wurde zwar größer, sein Budget aber kleiner. Profitiert hat von den finanziellen Rochaden das Agrarministerium, das seit 1986 fest in den Händen der ÖVP ist.
Auffällig ist, dass die finanzielle Zuständigkeit ganz eindeutig im ÖVP-Finanzministerium liegt, das heißt, die Volkspartei entscheidet letztlich, wo wer Geld ausgeben darf. Da wird es sich noch einige Male spießen. Diese Beschneidung wird sich für die Grünen noch bitter rächen. Das Klima erscheint eher als grüne Droge denn als reale politische Herausforderung. Da wird ein Hype geritten. Der auch schnell vorbei sein kann. Denn aktuell ist die Klimakatastrophe sowieso dem Coronavirus zum Opfer gefallen.
Nach Ausbruch der Pandemie hat die österreichische Regierung zumindest in den Anfangstagen – trotz des Desasters von Ischgl –, vieles richtig gemacht. Zumindest brauchen die Ergebnisse den Vergleich nicht zu scheuen. Freilich ist hier das Gesundheitssystem noch nicht in ähnlichem Ausmaß demontiert worden wie anderswo, auch dürfte das Virus erst spät (verglichen etwa mit Italien) aufgetreten sein. Die Voraussetzungen waren also günstig. Doch schon in Kürze entpuppte sich der autoritäre Kern der Maßnahmen. Besonders Kurz selbst dramatisierte die Lage. Bald werde „jeder von uns jemanden kennen, der an Corona verstorben ist“, sagte der Kanzler Ende März. Man probte, was ging, und zweifellos ging einiges.
Modell oder Matrize
Die Industrie zeigt sich jedenfalls zufrieden, das Regierungsprogramm kommt weitgehend ihren Wünschen entgegen, auch wenn der Wirtschaftsliberalismus coronabedingt schwierige Tage hat. Standort fördern, Steuern senken, so lauten die adäquaten Vorhaben. Natürlich wird man bei Gelegenheit auf die Konzerne, vorrangig die Internetgiganten, schimpfen. Das ist Bashing für das Publikum. Ein Ritual ohne Folgen. Börsen und Rating-Agenturen haben anlässlich des grünen Regierungseintritts nicht einmal einen Minikracher gezündet.
Politik wirkt eigentümlich profillos, aber sie ist unheimlich wendig geworden, wenn es ans Vermarkten geht. Im Mittelpunkt stehen Phrasen und Bilder, wie wir sie aus der Werbung kennen. Die sogenannten sozialen Medien verstärken diese seriellen Eindrücke noch. Der ehemalige ÖVP-Parteichef und Vizekanzler Erhard Busek sagt über seinen Nachfolger: „Er weiß nicht, was sein Inhalt ist.“ Diese Leere lässt sich gut ausfüllen und wohl auch anfühlen, denn sie ermöglicht beliebige Projektionen. Die organisatorischen Kapazitäten sind gleichwohl um ein Vielfaches größer als die intellektuellen. Aber das ist völlig egal, tangiert kaum. Sebastian Kurz weiß, was er will, und der Erfolg beschert ihm ein gerüttelt Übermaß an Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit. Wenn die Leute dafür stimmen, kann es doch nicht so falsch sein. „Der aktuelle Vertrauensindex erbringt die höchsten Vertrauenswerte, die jemals gemessen wurden“, sagt Wolfgang Bachmayer, Chef des Meinungsforschungsinstituts OGM. Bei Wahlen treten heute nicht mehr Parteien gegeneinander an, sondern Werbekampagnen. Sie versuchen potenzielle Wähler in eine entsprechende Stimmung zu versetzen. Strategie ist eine Unterabteilung der PR geworden. So ist es einer sterbenden Partei wie der ÖVP gelungen, die Stimmung völlig zu drehen, dem Krankenbett zu entsteigen und als dynamische, moderne und junge Bewegung zu erscheinen. Das mag alles nicht stimmen, aber es wird als Tatsache suggeriert wie akzeptiert und wird so zu einer schrägen, aber wirkmächtigen Wahrheit. Noch vor wenigen Jahren hätte das kaum jemand für möglich gehalten. War die alte ÖVP ein zerstrittener Haufen, ist die neue Volkspartei ein gleichgeschalteter Trupp, straight und gerissen. Das Grobe wirkt nicht grob, das Derbe nicht derb, vor allem aber das Ignorante so wenig ignorant wie das Arrogante arrogant. Der Kanzler ist ein Meister des dosierten Untergriffs. Es herrscht ein smarter Populismus, einer, der weniger aufhetzt und zuspitzt, dafür aber sein Konzept der Macht entschlossen durchzieht.
Zuletzt allerdings wirkte dieses Image angekratzt, wenn auch nicht wirklich beschädigt. Bei der Befragung vor dem parlamentarischen Ibiza-Untersuchungsausschuss gelang es Sebastian Kurz nicht, zu demonstrieren, dass er über den Dingen steht, eher schien er zum Sumpf zu gehören. Trotzdem sind die U-Ausschüsse für die ÖVP mehr lästig als gefährlich. Das steckt man weg, wenngleich der Unwille darüber groß ist, stundenlang Rede und Antwort zu stehen. „Gleich platzt mir wirklich der Kragen“, entfuhr es vergangene Woche dem ansonsten so fitten Kanzler.
Für die Konservativen sind die Grünen jedoch nicht die, sondern bloß eine Option. Möglicherweise ist die Rede vom Modell übertrieben, besser wäre es vielleicht, von einer zusätzlichen Variante schwarzer Bündnispolitik zu sprechen. In Deutschland etwa fasziniert weniger das Modell als die Matrize des Sebastian Kurz. Solo hat man ihn am liebsten. Erscheint die CDU wie eine Partei ohne Kompass, so die ÖVP wie eine, die den europäischen Wegweiser in den Händen hält. Wie sagte doch der deutsche Medienanalytiker Norbert Bolz trocken: „In Österreich gibt es einen vernünftigen Kanzler und in der Schweiz eine vernünftige Zeitung.“ Noch plastischer äußert sich Bild: „So einen brauchen wir auch!“
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