Die Zeitungen sind voll, und die Magazine gehen über. Ein Buch nach dem anderen erscheint. Alle reden über ihn, und doch ist weniger gesagt, als man meint. Haider ist nicht ausdiskutiert, wie etwa allen Ernstes der Wiener Philosoph Rudolf Burger behauptet, er ist noch nicht einmal richtig andiskutiert.
Hinsichtlich des Aufstiegs der Freiheitlichen haben sich antifaschistische Ideologeme als weitgehend untauglich erwiesen. Sowohl theoretisch, aber auch strategisch stößt der Antifaschismus hier an seine Grenzen. Stets geht es darum, die FPÖ zu erwischen und zu überführen. Man sammelt braune Sprüche und offensichtliche Lügen aus Haiders Schatzkästchen, reproduziert sie bienenfleißig in Sendungen, Zeitschriften und Büchern (Marke "Haider wörtlich"), glaubt, damit sei das Wichtigste gesagt und Haider als Nazi und/oder Rechtsextremer enttarnt. Der obligate Antifaschismus versteift sich auf Momente der Analogie. Diese reichen ihm aus, sein Urteil zu fällen. Indes ist es aber gerade das bequeme Denken in historischen Vergleichen, das Haider so verrätselt.
Das eigentlich Naheliegende, Haider als Ausgeburt aktueller kapitalistischer Zuspitzungen und Verwerfungen zu interpretieren, will nicht kommen. Den Etablierten sowieso nicht, und den meisten Linksoppositionellen auch nicht, agieren sie doch bloß als demokratische Abwehrfront der Anständigkeit. Gesellschaftskritik als Gesamtkritik der Gesellschaft ist von ihnen nicht zu vernehmen. Gleich Haider kämpfen sie gegen Missstände, auch wenn sie diese anderswo festmachen.
Der vorherrschende Antifaschismus blendet den Konnex zwischen der neuen Rechten und Marktwirtschaft beharrlich aus, so als hätte das eine mit dem anderen nichts zu tun. Haider kommt somit in den äußerst zweifelhaften Genuss, akkurat von dem abgekoppelt zu werden, was ihn hervorbringt und trägt. An ihm werden sodann nicht die Wurzeln kritisiert, sondern nur noch die Früchte. Der öffentliche Diskurs über Haider ist frei vom Rekurs auf die Gesellschaft, die seinesgleichen ermöglicht.
Der zentrale Vorwurf ist banal wie schwergewichtig: Man redet von Haider, ohne vom Kapitalismus zu sprechen. Entrüstung statt Erkenntnis ist das Erkennungszeichen vieler Haider-Gegner. Anstatt zu erklären, warum er dies oder jenes auf das Publikum loslässt, spielt man mit im entsetzlichen Spiel des Entsetzens. "Das darf doch nicht wahr sein!", ist meist die erste Reaktion, wenn Haider sich wieder entsprechend aufführt.
Was gewährleistet werden müsste, das ist die Dechiffrierung postmoderner Politik als zunehmend regressive Funktion der Kulturindustrie. Eine Analyse des Verfalls der Inhalte, des Aufkommens der beständigen und marketing-gestylten Anmache, der Synchronität von Medien- und Politikmarkt. Eine Aufarbeitung des spezifischen Ineinandergreifens von Arbeit und Geschäft, Unterhaltung und Werbung, Konsumtion und Kommunikation. Hier die richtigen Bezüge herzustellen, wäre notwendig. Nicht, dass damit Haider schon in die Schranken gewiesen werden könnte, soll gesagt werden; eine Voraussetzung allerdings ist dies doch, will man sich nicht völlig rat- und hilflos dem Geschehen überlassen. Gewissen kann Wissen nicht ersetzen.
Man braucht kein Verständnis für die Haider-Wähler aufzubringen, aber man sollte ihren falschen Protest annähernd verstehen. Nicht nur den Kopf schütteln ob ihrer Selbstdegradierung zum freiheitlichen Fanklub. Diese Gemütsstörung ist als verdichteter Ausdruck unmittelbarer Stimmungen des Gemeinsinns strukturell angelegt. Sie muss aus der Existenz als drangsaliertes bürgerliches Subjekt begriffen werden. Während die Etablierten und ihre Opposition dem gesunden Menschenverstand bloß hinterher sind, ihn manchmal unabsichtlich oder sogar absichtlich bremsen, wollen die Freiheitlichen dessen Turbo sein, absoluter Identifikationspunkt der alltäglichen Beschränktheit. Das reflexionslos Reflektierte - das bietet in Reinform lediglich die FPÖ.
Der Erfolg ist Folge der höchstmöglichen Affinität Haiders zu den laufenden Entwicklungen kapitalistischer Herrschaft. Niemandem gelingt es, deren Widersprüche so für sich zu vereinnahmen und zu mobilisieren. Er inszeniert sich als allseitiges Vademecum, Wünsche werden erfüllt, Bedrohungen ferngehalten. Haider ist Speerspitze, vorneweg, nicht hintennach. Es ist weniger die österreichische Provinz, die hier marschiert (in manch rückständigen Gebieten sind die freiheitlichen Stimmen ebenso rückständig), nein, es sind die Städte, und es ist die Jugend, die die FPÖ aufsteigen lassen. Das ewig Morgige kommt uns da entgegen, auch wenn das ewig Gestrige mit im Pack ist.
Bei aller berechtigten Kritik aus dem Ausland sollte man eines aber nicht übersehen: Nicht wenige, die da zu Herrn Haider auf Distanz gehen, mit denen hat er überhaupt keine Berührungsängste. So gefällt er sich. Immer wieder auch darin, seine inländischen Gegner zu verwirren und zu foppen, indem er zum Beispiel mit Zitaten spielt, ohne deren Ursprung anzuführen. Daraufhin gibt es dann stets helle Empörung bei seinen politischen Kontrahenten, bis er schließlich in abgefeimter Manier die Quelle des Zitats nennt und die anderen zum Verstummen bringt: Ich sage nur, was Blair, Schröder, Schily und Cohn-Bendit sagen: Beschwert euch bei denen.
Und Haider hat hier nicht unrecht. So unterschiedlich ist seine Politik nicht zu der, die sich in Schengenland durchsetzt. Gerade in der sogenannten Ausländerfrage sagt Haider nur offen, was die anderen ebenso offen tun. "Der einzige Unterschied zwischen Tony Blair und mir ist der Name", meinte er in einem Interview mit dem Sunday Telegraph im Herbst 1997. Haider ist kein bloß österreichisches Phänomen, das als Absonderlichkeit abgetan werden kann. Im Gegenteil: Von der europäischen Normalität der Zukunft kündet die freiheitliche Absonderung hier. Was aber nicht heißt, dass es unbedingt so werden muss.
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