Die Sprachregelungen sind eingeübt und werden bis zum Erbrechen reproduziert. So etwa der Satz, dass die, die arbeiten, nicht die Dummen sein dürfen. Damit ist nicht gemeint, dass diese zu wenig verdienen, sondern dass Arbeitslosen, Sozialhilfeempfängern und Asylwerbern zu viel Geld zugesteckt wird. Erhalten die weniger, geht es den Niedriglöhnern gleich besser, so die frappante Logik, die leider gerade auch bei den Betroffenen verfängt. Gerechtigkeit nennt das die Frontpropaganda. Redlich müht sich die Regierung Kurz, asoziale Desparados zu erzeugen. Ist doch geil wie die, bei denen reingeschnitten werden soll, bei ihresgleichen reinschneiden wollen.
Stets wird die vorletzte Liga gegen die letzte in Stellung gebracht. Underdogs gegen Underdogs, das genau ist die Schlacht, die Österreichs rechts-rechte Regierung wünscht und auch bekommt. Die Zustimmung ist groß. Jene lassen es sich nicht nur gefallen, es gefällt ihnen mitunter sogar. Mit 150 Euro im Monat könne man – falls die Wohnung anderweitig finanziert werde – schon durchkommen, ließ Beate Hartinger-Klein, die amtierende Sozialministerin der FPÖ wissen. Man staunte über die Unerschrockenheit und Kälte, aber das Entsetzen blieb aus. Die größte Leistung der ÖVP-FPÖ-Koalition besteht darin, dass sie die Bevölkerung verhöhnt, aber die sich nicht verhöhnt fühlt, zumindest trifft das auf jene zu, die noch wählen gehen. Das Verhältnis zwischen Regierung und Publikum ähnelt einem sadomasochistischen Treiben. Die tun was! – sagt der Volksmund. Die arbeiten jetzt wirklich. Da geht was weiter. Das schreien auch jene, deren Leistungen beschnitten, deren Perspektiven eingeengt, die fortwährend unter die Räder zu kommen drohen. Vorsichtiges Taktieren ist rücksichtslosem Traktieren gewichen. Die Exekutive strotzt vor wilder Entschlossenheit.
Tempo als Taktik
Ankündigen, beschließen, durchziehen, so macht man das. Rauf oder runter, je nach Bedarf. Soll eine Leistung halbiert werden, begegnet man jeder Kritik daran sinngemäß so, dass man sie ja auch ganz streichen könnte. Euch werden wir es zeigen. Die Kunst besteht in der Kunst des Nachlegens: Noch eins drauf. Noch eins drüber. Noch was kürzen. Da werden die anderen aber schauen. Tatsächlich, sie schauen nicht nur, sie starren gleich Kaninchen. Nachfragen geht im Nachlegen unter. Ablenkung verschiebt die Aufmerksamkeit.
Nehmen wir nur die sogenannte Karfreitags-Lösung. Als aufgrund einer Verfassungsbeschwerde der Karfreitag als ausschließlich gesetzlicher Feiertag für Protestanten und Altkatholiken gekappt werden musste, beschloss die Regierung schlussendlich, ihn ganz abzuschaffen. Damit hatten die Initiatoren nicht gerechnet, obwohl es doch so naheliegend gewesen wäre. Die Industriellenvereinigung regte – die Gunst der Stunde nutzend – sogleich an, überhaupt alle bezahlten Feiertage zu streichen. So weit ist die Regierung noch nicht.
Gas geben! Das Tempo macht den Sound. „Speed kills“ nannte das Andreas Khol, Ex-Parlamentspräsident der ÖVP, einer der Konstrukteure der ersten schwarz-blauen Koalition unter Wolfgang Schüssel (2000-2006). Die Dynamik der Paarung Kurz-Strache unterscheidet sich jedoch von Schüssel-Haider, einem Projekt, das zwar nicht politisch, aber mental zum Scheitern verurteilt war. Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache hingegen verstehen sich prächtig. Da stimmt die Chemie. Die FPÖ darf vorpreschen, damit der Kanzler dann stets eine Light-Version der freiheitlichen Vorschläge präsentieren kann, auf die man sich gütlich geeinigt hat. Kurz moderiert, und die ÖVP bringt durch, was sie will. Machen die einen auf „High noon“, so die anderen auf „Honey moon“.
Das Tempo erhöht auch Norbert Gerwald Hofer, ehemaliger Präsidentschaftskandidat und nunmehr Infrastrukturminister der FPÖ. Auf den Autobahnen soll schneller gefahren werden. Vorerst überlegt man eine Anhebung von 130 auf 140 Stundenkilometer. Als Kritik an seiner Maßnahme laut wird, reagiert er mit der Ausweitung der Teststrecken, ja, lässt süffisant wissen, dass er über eine Höchstgeschwindigkeit von 160 noch nicht nachdenke. So geht das. Österreich muss auf die Überholspur. Auch die Deutschen dürfen so schnell fahren, wie sie wollen. Freie Fahrt für freie Bürger!
Vorpreschen und noch einmal vorpreschen. Nachladen. Zielen. Schießen. Es herrscht eine Politik der Vorgaben. Es dominiert das Dekret. Das funktioniert blendend. Blendend ist genau das richtige Wort, die Methode fasziniert. Es brodelt, und es jodelt der Boulevard: „Basti Fantasti!“ Herwig Hösele, ehemaliger Bundesratspräsident der ÖVP, beschreibt das gar als „vitalisierte Demokratie“.
Türkis-Blau hat jedenfalls den Modus gewechselt. Strategisch ist man von der Defensive zur Offensive übergegangen. Der Stellungskrieg ist dem Bewegungskrieg gewichen. Andauernd wird nach vorne gestürmt. Nur nicht lang fackeln, lautet die Devise. Die Opposition soll nicht einmal zum Verschnaufen kommen. Zur Zeit ist niemand in Sicht, der dieser Regierungskoalition die Initiative entwinden könnte. Kaltschnäuzigkeit brilliert. Der Gestus der Macht ist offensichtlich: Nicht „Wir haben was zu sagen“, heißt die Botschaft, sondern: „Wir haben hier das Sagen“.
Weitgehend synchronisiert ist die rechts-rechte Regierung mit den Stimmungen in der Republik. Das mag man nicht sympathisch finden, aber dem ist so. Ein chronisches Problem der Sozialdemokratie besteht darin, dass sie nicht wesentlich anders tickt, wie diverse Proponenten auch immer wieder demonstrieren. Wie gegen die geplante Sicherungshaft für potenzielle Gefährder sein, wo doch die eigene Basis dafür ist? Das prophylaktische Wegsperren findet überhaupt eine satte Unterstützung im Land, da mögen fast alle Rechtsexperten noch so kenntnisreich dagegen argumentieren. Die Präventivhaft wird wohl gelitten. Die Ösis wollen vielleicht nicht eingesperrt werden, aber einsperren wollen sie allemal. „Hurra Zelle“, schreit der Volksmund, die Herausforderungen der Zeit lösend. Es waren übrigens sozialdemokratische Landeshauptleute, die nicht nur Asylbewerber, sondern auch gleich alle Eingeborenen in den Genuss dieser Maßnahme bringen wollten. Während die SPÖ dabei aber in der Falle sitzt, agieren ÖVP und FPÖ in ihrem Element.
Diktieren statt Diskutieren
Die Exekutive hält die Zügel fest in der Hand. Diktieren statt diskutieren ist angesagt. So regte der Kanzler soeben erst an, Arbeitslose, die ein Jobangebot nicht annehmen, unbedingt zu sanktionieren. Da müsse man, wie vorgesehen, die Bezüge kürzen. Kulanz war gestern. Da wird nicht geredet, sondern gehandelt. Macher agieren als Scharfmacher. Jahre des Stillstands sind Geschichte. Auffällig ist auch das Hofieren der sogenannten Wirtschaft, worunter ausschließlich die Unternehmer gemeint sind, nicht die Arbeiter. Das Neoliberale und das Populistische, da hat sich gefunden, was zusammengehört.
Sebastian Kurz hat das Shooting gewonnen, daher ist er ein Star. Shooting Star nennt sich das. Und er bewegt sich auch so. Kurz ist weniger Kanzler als Illustrator eines Regierungschefs. Am liebsten jettet er über den Planeten – Kairo, Peking, Washington, Bukarest –, um seine Wichtigkeit zu demonstrieren. Das mag der Welt nicht auffallen, hierzulande läuft es täglich aus diversen medialen Konserven. Die Eindrücke kommen an. Da ist nichts originell, aber alles professionell, da ist nichts neu, aber alles wirkt geschliffen. Wörter, ganz leer, funkeln televisionär. Likes und Followers gehen durch die Decke. Jedes Auftreten ein Auftritt. Das Stück ist schlecht, aber die Regie ist ausgezeichnet. Seht her, da ist der Mann, der die Balkanroute verstopft hat, sagen die Politdesigner. Der Kanzler selbst ist nicht Teil der Schlacht, sondern über sie erhaben wie erhoben. Er lässt schlagen.
Der Erfolg baut auf Sand
Das gegenwärtige Surplus der Volkspartei resultiert auch aus dieser taktischen Überlegenheit. Choreographie und Inszenierung sind dabei ganz wichtig. Von der Sprache bis zur Körperhaltung herrscht ein Verhaltenskodex. Wer liefert die entsprechenden Bilder und Worte, Anzüge und Kostüme? Wer maskiert sich in Talkshows und auf Bällen? Das machen heute Kurz und seine Crew am penetrantesten. Nicht einmal die Arroganz jungkonservativer Schnösel stört.
Die Uniformierung des Vokabulars ist signifikant. Auf diesem Sprechblasenkomplott gedeihen die entgeistigten und fehlemotionalisierten Haltungen. Was intellektuell begreifbar ist, ist mental alles andere als greifbar. Auf jeden Fall gelingt es, Zorn und Unbehagen stets Richtung Ressentiment und Vorurteil umzuleiten. Dass der aufgestiegene Sebastian Kurz gerade so viel Zuspruch hat wie die abgestiegene Angela Merkel, fällt gar nicht erst auf. Auf europäischer Ebene wird er als der kommende Mann gehandelt.
Kurz-Publikum und der Kurz-Typus bilden aber keine neue Identität, so sehr sie aufeinander auch bezogen sein mögen. Wählerschaft und Typus korrespondieren nicht. Erstere wählen ihn nicht, weil sie so sind wie er, sondern weil sie es toll finden, wie er wirkt. Sie abstrahieren von ihren Interessen, um sich instinktiv wie paradigmatisch den Erscheinungen hinzugeben. Kommunikation wird dabei auf ein Anhängen, Anhimmeln und Aufschauen konzentriert. Fan und Star treffen sich in diesem autoritären Verhältnis. Das ist nicht außergewöhnlich, auffällig ist nur, dass die Politik immer mehr nach diesen Mustern funktioniert. Der Führerkult hat sich im Starwesen demokratisiert, aber keineswegs aufgelöst.
Und doch ist nicht alles eitel Wonne für Kanzler und Kanzlerpartei. Ein Drittel der Wähler, das sind nämlich zugeflogene Stimmen, volatil laut Businesssprache. Diese Zugewinne bauen auf Zugvögeln. Was aber auch umgekehrt heißt, dass zwei Drittel – sagen wir 22 der 33 Prozent Gesamtwählerschaft – die ÖVP auch ohne Kurz unterstützen würden oder sogar trotz Kurz. Das aktuelle Reservoir der Partei besteht so aus zwei großen Gruppen: Da ist die erodierende Stammwählerschaft, und da ist die fluktuierende Wechselwählerschaft, das spezifische Kurz-Publikum. Wahlerfolge halten diese Allianz zusammen. Die erste Gruppe ist bereits seit 30 Jahren in Auflösung begriffen, die zweite war nie stabil und wird es auch nie werden. Fraglich, ob dieses Segment noch viel zulegen kann.
Ein Problem ist, dass Kurz zwar die Mehrheit sichert, aber selbst in der Partei keine Mehrheit hat. Über diese „verfügen“ weiterhin die alten Großkoalitionäre, vor allem die mächtigen Bundesländerfürsten. Der Apparat macht zwar gute Miene, hat aber zur Kurz-Partie ein reserviertes und taktisches Verhältnis. Der Kanzler ist der Bevölkerung bekömmlicher als seiner Partei. Zugute kommt ihm, dass er die Nationalratswahl gewonnen und die Partei nach außen geeint hat. Türkis ist nicht schwarz, heißt es. Tatsächlich, Türkis ist ein Black Out sui generis.
Indes ist die ÖVP nach wie vor – ähnlich der SPÖ – in einer veritablen Krise, die nur völlig zugedeckt wird. Das fällt nicht auf und wird daher auch nicht thematisiert. Solange die Ergebnisse stimmen, herrscht das kollektive Blackout. Sobald Schwächen auftreten, wird das System Kurz implodieren. Es hat schon etwas Usurpatorisches. Viel grob, wenig robust. Der Erfolg baut auf Sand, aber zweifellos, visuell und virtuell ist jede Menge Sand vorhanden. Ganze Dünen türmen sich da auf.
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