Manchmal gibt es Bücher, die sind empfehlenswert und ärgerlich in einem. Georg Francks Studie über den "mentalen Kapitalismus" ist so eines. Die Schranken der einzelnen gesellschaftlichen Sphären und wissenschaftlichen Disziplinen werden konsequent durchbrochen. Auch die Herausarbeitung eines Zusammenhangs von Waren- und Denkform, ist nicht hoch genug einzuschätzen. Was Menschen von sich und anderen halten, folgt einer "Ökonomie des Denkens": "Der Selbstwert nimmt, um es hart zu sagen, die Züge eines ökonomischen Preises an." Da verrät Franck zwar nichts Neues, doch ist seine insistierende Betonung dieses Komplexes nachvollziehbar, eben weil dieser zwar bestimmend ist, aber nicht zur Kenntnis genommen wird. Franck analogisiert daher zu Recht ein "Sozialprodukt an Beachtung". Selbstwertschätzung habe mit "äußerer Wertschätzung zu tun".
Die subjektiven Kriterien unserer Selbstschau sind also objektivierter Natur. Selbstwertschätzung ist Selbstwertschätzung, nicht bloße Selbsteinschätzung. Wert und Achtung beschreiben vergleichbare Verhältnisse. Achtung meint jedenfalls nicht die von uns hergestellte Nachfrage, Achtung findet das uns vorgestellte Angebot. Die ganze westliche Zivilisation, ihre Ökonomie, Politik und Kultur ist geprägt vom allmächtigen Reiz der Aufdringlichkeit. Zur Kenntnisnahme werden wir gezwungen. Eigentlich müssten wir uns daher vor der Achtung in Acht nehmen. Franck hingegen übersetzt Beachtung als Aufmerksamkeit, er synthetisiert einen relativ unbestimmten Begriff zu einer bestimmten Kategorie. Denn Aufmerksamkeit erweckt in erster Linie positive Assoziationen. Aufmerksamkeit unterstellt reflektiertes Erkennen und aktives Zutun seitens des Empfängers.
Problematisch ist auch der mehrfach vorgetragene Bescheid, der Quantität als Kriterium des Fortschritts sieht. "Die Zunahme der Aufmerksamkeit, die in den Massenmedien umgesetzt wird, bedeutet, dass die Menge der Aufmerksamkeit wächst, die als Zahlungsmittel im Umlauf sind." Diese "Mengenexpansion" ist doch absolut asynchron. Was da alles produziert und projiziert wird, kann unmöglich konsumiert werden. Medien vermögen stets mehr zu senden, zweifellos, aber die Empfänger vermögen nicht immer mehr zu empfangen. Vor lauter Angeboten können wir die Gebote gar nicht mehr erfüllen. Es staut sich. Als Abnehmer sind wir heillos überfordert. Von der Kommunikation aus betrachtet mag Aufmerksamkeit ein unlimitierter Tauschwert sein, vom einzelnen Menschen aus gesehen, ist sie ein limitierter Gebrauchswert. Die stete Forderung nach Beachtung führt also wegen ihrer Überdimensionierung nicht zur verstärkten Aufmerksamkeit, sondern geradewegs in die Indifferenz. Die freilich kommt bei Franck nicht vor.
Besonders ärgerlich ist die unpräzise Begrifflichkeit, die Schärfe durch Eloquenz ersetzt. Franck verwechselt die Wertgröße mit der Verwertungsgröße, Kapital mit Profit, die Politische Ökonomie mit der Kritik der Politischen Ökonomie, Ricardo mit Marx. Es ist oft assoziatives Flanieren, das sich da als schillernde Theorie verkauft. Können viele Wissenschafter vor lauter Abwägen und Verweisen, Lavieren und Zitieren zu keinem klaren Gedanken finden, so hat Georg Franck ein anderes Problem: Bei ihm herrscht ein fixes Kalkül, dem er alles Widrige auf Biegen und Brechen unterordnet oder es einfach der Ignoranz preisgibt. Ganz wie in der realen Marktwirtschaft. Solch forsche Arroganz hat ihre Tücken, sie bewegt sich allzu oft auf der Kippe zwischen glänzendem und lackiertem Denken.
Der en passant hofierte Karl Marx erscheint bei Franck als kostümierter Schuhplattler der Arbeiterbewegung. Er wird reduziert auf Klassenkampf und Mehrwert, auf Fortschritt und das Basis-Überbau-Schema. Keine Rede, obwohl vom Thema her naheliegend, von Fetisch, Charaktermaske oder automatischem Subjekt. Dafür feiert das von Marx selbst erledigte Theorem vom "ungleichen Tausch" Wiederauferstehung: "Die Ausgebeuteten im mentalen Kapitalismus sind die, die immer Acht geben, aber kaum Beachtung finden. Die Ausgebeuteten sind die Verlierer im Verteilungskampf um die Beachtung ... Das Volk zahlt mit Beachtung, für die es nichts zurückbekommt."
Das ist nun dezidiert falsch. Natürlich kann man sagen, dass hier oft Scheiße als Gold verkauft wird, doch auf der mentalen Ebene wird tatsächlich etwas abgedeckt, und zwar die Projektionen der Leute. Sie mögen einen Dreck bekommen, aber sie kriegen nicht nichts. Die Kulturindustrie will die Leute nicht aushungern, sie füttert sie in ihrem kapitalen Trieb vielmehr zu Tode, erstickt sie in all den Eindrücken, Angeboten und Events. Einige Zeilen später widerlegt sich Franck auch gleich selbst: "Die Leute bekommen zu sehen, zu hören, zu lesen, was sie wollen." Das wiederum ist dezidiert richtig. Die entscheidende Frage allerdings bleibt: Wie kommen die Leute dazu, dieses Wollen zu wollen? Dazu fällt dem Autor wenig ein. Er beschreibt (und oft sehr treffend) wie Mechanismen funktionieren, aber nicht, woher sie rühren und was sie sind.
Georg Franck: Mentaler Kapitalismus. Eine politische Ökonomie des Geistes. Hanser, München 2005, 286 S., 23,50 EUR
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