Vor einem Jahr noch hätte man die Geschichte der BAWAG, der Bank für Arbeit und Wirtschaft, der Rechtsnachfolgerin der 1922 gegründeten Arbeiterbank, als Erfolgsstory schreiben können. Vorrangig in den neunziger Jahren ist es mit dem im Besitz des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) stehenden Institut stets bergauf gegangen. Walter Flöttl war damals Chef der Bank, und sein Sohn Wolfgang, ein in Harvard ausgebildeter Börsenfachmann, investierte in Übersee. Es lief wie geschmiert: Senior schickte Geld, und Junior vermehrte es. Zwar gab es Unregelmäßigkeiten und Verdächtigungen, etwa dass Wolfgang Flöttl in dubiose Geschäfte in der Karibik verwickelt sei. Indes, die Akkumulation glückte, die Kasse stimmte - so verstummte bald jede Kritik. Solange Geld über die BAWAG in die Gewerkschaftskassen floss, wollte man auch dort gar nicht so genau wissen, welche Aktionen und Transaktionen hier stattfinden.
Da mochten die Gewerkschaftsbeiträge schwinden, solange Umsätze und Profite der BAWAG sich prächtig entwickelten, war alles in bester Ordnung. Mit dem Kauf der Österreichischen Postsparkasse im Jahr 2000 avancierte man zur viertgrößten Bank des Landes. Für die Infrastruktur der Gewerkschaft war bestens gesorgt, der ÖGB war wirklich zu einer Trade Union, zwar nicht im gängigen, aber im wahrsten Sinne des Wortes geworden.
Das erste Mal ins Schlingern geriet das Institut 2001, als Flöttl junior fast eine halbe Milliarde Euro am internationalen Finanzmarkt "ehrlich verzockte". Da war Gefahr im Verzug, doch die Verantwortlichen eilten zum Eigentümer, ließen sich die Verluste vom mittlerweile zurückgetretenen Gewerkschaftspräsidenten Fritz Verzetnitsch besichern und schönten ein bisschen die Bilanz, damit einen die Bankenaufsicht in Ruhe lässt. Die Sache schien erledigt, und sie wäre bis heute nicht aufgefallen, wäre es Ende 2005 nicht zur REFCO-Pleite gekommen.
Zuerst behauptete man Opfer zu sein. Man sei dem "raffinierten Gauner" Philip Bennett aufgesessen, als man knapp vor dem Zusammenbruch der Broker-Firma REFCO gutes Geld an den bösen Mann in den USA überwiesen hatte. Nachher stellte sich freilich heraus, dass der ÖGB auch direkt über eine Stiftung in Liechtenstein Anteile an der REFCO hielt. Hochrechnungen sprachen von bis zu 40 Prozent. Jetzt wollten sowohl Gläubiger als auch Aktionäre ihr verlorenes Geld von der BAWAG und vom ÖGB zurück. Eine Klage folgte der nächsten - 1,1 Milliarden Dollar an BAWAG-Geldern sind in der USA eingefroren und für etwaige Entschädigungen sichergestellt.
Glaubte man anfangs, diese Krise noch aus eigener Kraft zu bewältigen - also mit Gewerkschaftsgeldern sanierend eingreifen zu können -, stellte sich das zuletzt als unmöglich heraus. Die Bank stand Ende April vor dem endgültigen Aus. Man hatte sich nicht nur kurzfristig übernommen, sondern alles verspielt. Die, die über Heuschrecken schimpfen, sind durch Heuschreckengeschäfte Opfer der Heuschrecken geworden.
Blieb also nur noch der Gang zu Vater Staat, um dort die gnädige Bitte vorzubringen, die Bank doch zu retten. Dieser erfüllte das Ansinnen prompt, wenn auch auf geradezu gerissene und beschämende Weise. Unter Blitzlichtgewitter war am 2. Mai die gesamte schwarz-orange Regierungsspitze in der BAWAG-Zentrale einmarschiert: Kanzler, Vizekanzler, Minister - selbst Haider war aus Kärnten herbeigeeilt. Die demonstrative Eröffnung von roten BAWAG-Sparbüchern inszenierte und genoss man als Akt einer Demütigung: Symptomatisch ein Foto, auf dem der smarte Finanzminister Karl-Heinz Grasser seinem Gegenüber, dem abgekämpft wirkenden sozialdemokratischen Wirtschaftsprofessor und neuen BAWAG-Chef Ewald Nowotny die Hand reicht und dabei süffisant grinst. Das Bild spricht Bände: Wir sind obenauf, aber wir lassen euch leben.
Ohne Hilfe der Regierung wäre ein Konkurs der BAWAG unvermeidlich gewesen und der ÖGB wohl bis auf die Unterhose gepfändet worden. Daher bedankte man sich artig und versprach, alle Auflagen zu erfüllen. Die haben es freilich in sich. De facto wird der Gewerkschaftsbund enteignet: Die BAWAG muss zur Gänze verkauft werden. Der ÖGB darf nicht einmal eine Sperrminorität von 25 Prozent behalten. Ebenso sind alle Anteile an der Österreichischen Nationalbank billigst zu veräußern, auch der sagenumwitterte Streikfonds wird künftig der Aufsicht der Nationalbank unterstellt. Der ÖGB wird regelrecht entmündigt.
Der Verband hat am Abend des 1. Mai 2006 nichts weniger als seine Kapitulationsurkunde unterzeichnet. Im Eilzugstempo wurde am 8. Mai in einer Sondersitzung des Nationalrats ein BAWAG-Sicherungsgesetz beschlossen. Der Staat hat darin eine befristete Ausfallshaftung für die BAWAG in der Höhe von 900 Millionen Euro übernommen.
Finanziell erledigt, psychisch angeschlagen, organisatorisch zurecht gestutzt - so ließe sich der Zustand des ÖGB beschreiben. Da nie mehr Gewinne der BAWAG an ihn fließen, wird es im Gewerkschaftsbund zu einem empfindlichen Personalabbau und zu Gehaltskürzungen kommen.
Kanzler Schüssels Eingreifen wird in Österreich als großer Coup beurteilt - ja, als "historischer Sieg" über die Gewerkschaften. Triumphalistisches Geheul wie: "Jetzt wird die Streik-Kassa ausgeräumt", überlässt man dem neoliberalen Wirtschaftsblatt, offiziell gibt sich die schwarze Reichshälfte zurückhaltend: Nein, man werde die Bank nicht in den Wahlkampf zerren, nein, man werde den ÖGB schonen. Aber sagen, dass die Roten nicht wirtschaften können, dass Marx Murx ist, das wird man schon dürfen. Und wie man es darf. Dass hier Marktwirte an der Marktwirtschaft gescheitert sind, Spekulanten an der Spekulation - wen interessiert das? Suggeriert wird eine "rote Sauwirtschaft", wo korrupte Bonzen und Funktionäre als "Möchtegernkapitalisten" sich wieder mal was Ungeheuerliches geleistet haben. Ob die Sozialdemokratie unter diesen Vorzeichen im November die Nationalratswahl gewinnen kann, erscheint äußerst zweifelhaft.
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