Sebastian Kurz, Spitzenmann der ÖVP, drückt auf die Tube. Keine Woche vergeht, in der er nicht irgendetwas ausheckt. Frechsein siegt. Den Auftakt machte die Forderung, die Flüchtlingsroute über das Mittelmeer zu schließen. Der zuständige EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos winkte zwar ab, und auch Sigmar Gabriel konnte diesem Vorschlag des österreichischen Amtskollegen nichts abgewinnen. Der deutsche Außenminister verwies zu Recht darauf, dass es etwa in Libyen überhaupt keine Sicherheit für die Flüchtlinge gebe. Trotzdem findet dieser juvenile Übermut immer mehr Bewunderer, sogar mehrere europäische Zeitungen brachten den konservativen Jungspund auf dem Cover. Gar lobend, ja jubelnd wird über ihn berichtet, so dass man meinen könnte, die Europäer seien auch nur Austrianer.
Die Sache ist noch schlimmer. Selbst wenn der SPÖ-Kanzler Christian Kern das Verlangen von Kurz als „Produktion von Schlagzeilen“ und als „populistischen Vollholler“ bezeichnet, sollte nicht vergessen werden, dass sich Kanzler und Außenminister im Ziel einig sind. Kern erlaubt sich nur, auf die Schwierigkeiten einer Schließung hinzuweisen: hohe Kosten, Terrorgefahr, Destabilisierung von Ländern Nordafrikas. Zudem befürwortet er Asylzentren, also Anhaltelager in Nordafrika. Die Differenz ist nicht groß.
Doch Sebastian Kurz ist mittlerweile schon einen Schritt weiter. Nun möchte er die islamischen Kindergärten in Österreich zusperren. Seine Begründung freilich hat er sich selbst gestrickt. Erst gab er eine Studie in Auftrag. Dann wurde sie im „Friseursalon Kurz“, dem Außenministerium, so frisiert, dass der Außenminister hinterher sagen konnte: Sie seien abgeschottet und frönten islamischen Werten. Der Autor der Studie, ein Religionspädagoge, hatte geschrieben: Kinder würden in Islamkindergärten „respektvoll und liebevoll erzogen“.
Der 30-jährige Kurz kann sich in seinem Aktionismus bestärkt fühlen, nachdem ihn am Wochenende ein ÖVP-Bundesparteitag in Linz nun ebenfalls mit großer Mehrheit ins Amt des Parteivorsitzenden berufen hat – Kurz erhielt 98,7 Prozent der Delegiertenstimmen. Bereits im Mai hatte ihn der ÖVP-Vorstand nach dem Rücktritt von Reinhold Mitterlehner als neuen Parteichef nominiert. Die Partei, mit der Kurz bei den vorgezogenen Neuwahlen am 15. Oktober antreten will, heißt ab sofort „Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei“.
Es ist schon interessant, wie sich der Diskurs gewandelt hat. Kritisierte man gestern die beschämende Knausrigkeit, ist es inzwischen obligat geworden, für Kürzungen zu plädieren, ohne dafür in Teufels Küche zu kommen. Die Dispositive der Freiheitlichen Partei (FPÖ) haben mehr gegriffen, als man meint.
Ob die Pläne von Sebastian Kurz realistisch sind oder nicht, ist für den österreichischen Wahlkampf ohnehin unerheblich, was zählt, sind Absicht und Ansage. Und da liegt der Außenminister im Trend der öffentlichen Meinung. Bei dem zweifellos populistischen Wettbewerb hat sein Gegenspieler Kern schlechte Karten. Sein Publikum lässt ihm weniger durchgehen als Kurz das seine. Da hat einer Blut geleckt und will das Spiel „Wer ist der bessere Freiheitliche?“ bis zur Wahl im Herbst wohl durchziehen. Die Initiative ist jedenfalls bei Kurz. Er beherrscht eine Politik des primitiven, aber klaren Kalküls.
Ein Brei, in den alles passt
Das populistische Spiel bei diesem Wahlkampf, der zusehends auch wie ein Spiel mit dem Populismus wirkt, wird uns weniger unterhalten als nerven, vor allem zusehends verblöden lassen. Nicht nur Staaten und Firmen können zusammenbrechen, auch Begriffe wie Populismus können scheitern. Failed terms ist zwar noch nicht wie failed state ein geflügelter Begriff, aber das kann schon noch werden. In einer Zeit, da sämtliche Politik zum Populismus tendiert, ist die ständige Bezichtigung freilich mehr irreführend als zielführend.
Betrachten wir den Populismus von der Form der Politik her, dann ist diese tatsächlich populistisch geworden. Der Populismus wirft in Österreich letzte Skrupel der traditionellen Politik über Bord. Die traute mehr ihren Gremien, ihren Statuten, Paragrafen und Beschlüssen als den unmittelbaren Stimmungen der Adressaten von Politik. Betrachten wir den Begriff jedoch auf die Akteure und ihre Inhalte bezogen, dann wird er besonders in der Tagespolitik heillos und infam. Populismus ist sukzessive zu einem Schlagwort geworden – besser zu einem Totschlagwort. Anstatt einer handhabbaren oder gar fundierten Kategorie haben wir einen Brei, in den alles eingerührt werden kann. Wir haben es nunmehr mit einem liberalen Kampfbegriff zu tun. Jedes Argument abseits des kapitalistischen Sachzwangs und somit außerhalb des liberalen Mainstreams kann heute als populistisch denunziert werden. Diese Methode ist billig, aber wirksam.
Bewertung funktioniert als Abwertung. Was den Populisten egal, ist für die anderen fatal. Als Populisten gelten Bernie Sanders und Jeremy Corbyn, die Grazer KPÖ oder Gewerkschafter, die höhere Löhne fordern, oder Kanzler Kern, wenn er die sozialdemokratischen Parteimitglieder zu CETA/TTIP befragen lässt. Exponenten wie Griechenlands Premier Tsipras und FPÖ-Chef Strache, Pegida und Attac kommen unter dem gleichen Label daher, und die bürgerliche Öffentlichkeit klatscht eifrig Beifall. Da haben sie doch alle Extremisten mit einer Klappe erwischt. Die neuen Rechten trifft dieser Kampfbegriff nicht, einerseits weil sie sich mit ihm positiv identifizieren, andererseits weil ihnen und ihrem Publikum diese Etikettierungen herzlich egal sind.
Insofern hat die Populismus-Debatte eine suspekte Schlagseite. Letztendlich wird mit der Zwillingsformel von Rechts- und Linkspopulismus einmal mehr auf die Totalitarismustheorie abgestellt. Da wird eine goldene Mitte gegen die Bedrohungen von links und rechts installiert. Populismus gerät damit zu einem Randphänomen gegen die Demokratie und nicht zu einem Strukturproblem der Demokratie. Ein forscher Geselle dieser Betrachtungsweise ist übrigens der österreichische Politikwissenschaftler Anton Pelinka, der ein ganzes Buch vollgeschrieben hat, in dem er vor der „unheiligen Allianz“ rechter und linker Extremisten in Europa warnt. Anstatt über substanzielle Identitäten zu sprechen, führt er immer akzidentelle Analogien ins Treffen, um seine Thesen zu untermauern.
Der rechte Populismus tritt auch nicht – wie der in Österreich lebende deutsche Publizist Sebastian Reinfeldt meint – „mit dem Ziel auf, die politische und soziale Mitte zu erobern, politisch zu infizieren und somit eine etwas andere Denk- und Machart des Staates durchzusetzen, besonders hinsichtlich der demokratischen Verfahren und Prozesse“. Dies hieße ja, er ist der Mitte ein Äußeres, aber er ist ihr ein Inneres, er ist eine ihrer negativen Entpuppungen, muss ihr nicht von außen gebracht und aufgedrängt werden. Infiziert wird da gar nichts. Im Populismus realisiert sich der Extremismus dieser Mitte selbst.
Gerade die Liberalen unterschiedlichster Couleur (Marktliberale, Sozialliberale, Ökoliberale) versuchen jede Kritik der Modernisierung (und Globalisierung) als populistischen Dünkel zu diskreditieren. Doch nur weil es Vorurteile gibt, ist nicht jedes Unbehagen schon als Ressentiment zu entlarven. Geschieht dies zu häufig, noch dazu in monotoner Wucht, dann wird solch Unbehagen direkt in eine reaktionäre Richtung abgedrängt – seit geraumer Zeit in Österreich in die der FPÖ.
Gefährlicher als die Verhältnisse erscheinen nunmehr die Ressentiments. Daraus folgt eine Strategie der Immunisierung, der es stets gelingt, nicht über die Zustände zu reflektieren, sondern nur noch über populistische Reflexe. Durch dieses Tabu werden erstens die Populisten gestärkt, da sie als einzige Alternative zur Konvention erscheinen, zweitens wird der Liberalismus konsolidiert, da er sich als Schutzmacht gegen den Populismus profiliert; und schlussendlich wird drittens alles, was jenseits dieser seltsamen Front besteht, gar nicht mehr als existent wahrgenommen.
Identität ist primär
Analytisch erleben wir einen GAU, denn die gängige Populismus-Forschung ist weitgehend zu einer Legitimationswissenschaft des Status quo geworden. Man muss den Populismus anders kritisieren, als liberale oder linksliberale Direktiven es fordern. Vor allem ist der Populismus der Komparativ des Gehabten. Es ist immer notwendig, diese Identität hervorzuheben und nicht die Differenz. Identität ist primär, Differenz sekundär. Womit natürlich keineswegs Indifferenz das Wort geredet wird. Die Unterschiede sehen wir schon, aber sie sind graduell, nicht prinzipiell. Aus dem Inneren oder der Mitte der Gesellschaft kommend, ist der Populismus nicht deren äußere Bedrohung, sondern innere Konsequenz.
So geriert sich die Mitte als Hüterin zivilisatorischer Standards und brandmarkt alles, was ihr nicht passt, als „populistisch“. Der Vorwurf wurde mittlerweile so inflationär, dass alles, was dem liberalen Konsens widerspricht, unter dieses Verdikt gestellt werden kann. Gängige Verdächtigungen der Querfront, der Verschwörungstheorie oder gar des Antisemitismus toppen dann noch dieses unselige Szenario seliger Bezichtigung. Natürlich gibt es das alles, und es soll keineswegs bagatellisiert, aber ebenso wenig maßlos übertrieben werden.
Es ist jeweils genau hinzuschauen. Verschwörungen (gerade auch im medialen Trommelfeuer akkordierter Medien) gibt es gar nicht so wenige. Nicht jede Verschwörung ist eine Verschwörungstheorie. Und dass in der Presse systematisch gelogen wird, ist keine Falschmeldung, bloß weil Pegida sie verbreitet und das Schlagwort der „Lügenpresse“ offensiv vor sich herträgt.
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