Am Abend des 1. Oktober werden alle aufatmen. Nicht nur die drangsalierten Wähler, sondern auch Gewinner und Verlierer dieser Wahl. Man hatte zuletzt das Gefühl, als hätten die Parteien ihre Depots mit Dreckschleudern, Schmutzkübeln und Latrinenhaubitzen gerammelt voll. Um Inhalte geht es nur noch am Rande. Nicht Interessen, Vorschläge, Konzepte oder gar Programme bestimmen den Wahlkampf, sondern Gerücht, Denunziation und Diffamierung.
In absoluter Unerträglichkeit werden die minimalsten Standards der Kommunikation außer Kraft gesetzt. Wählen heißt zunehmend Hirn ausschalten, aktiv wie passiv. Der Akt demokratischer Selbstbestimmung gerät zur schlimmsten Anmache. Ein Land versetzt sich in den geistigen Ausnahmezustand. Selbst SPÖ wie ÖVP orten in den Attacken der Gegner "Dirty Campaigning". Man kann ihnen nicht widersprechen. Beide haben Recht. Sie fighten ein Match mit groben Fouls, da fallen "Gauner" (ÖVP über SPÖ) und "Lügner" (SPÖ über ÖVP) übereinander her.
Auf jeden Fall ist das Desaster um die gewerkschaftseigene "Bank für Arbeit und Wirtschaft AG" (BAWAG) das dominierende Thema geblieben. Es war auch immer davon auszugehen, dass die christlich-konservative ÖVP aus der Deckung heraus den Skandal am Köcheln hält. Da wird etwa der ehemalige BAWAG-Chef Helmut Elsner gerade zu jenem Zeitpunkt in Untersuchungshaft genommen, der ungünstiger für die SPÖ nicht sein könnte. Auch dass drei Wochen vor der Wahl ausgerechnet der Spekulant Wolfgang Flöttl, einer der Hauptverantwortlichen am Fast-Zusammenbruch der BAWAG, gegenüber der Staatsanwaltschaft behauptet, er habe dem ehemaligen Kanzler Franz Vranitzky Geld zukommen lassen, auf dass dieser es an die SPÖ-Kasse weiterleite, macht stutzig.
Zufälle sehen anders aus. Doch die Optik ist verheerend. Vor allem auch, wenn man weiß, dass die BAWAG mit besten Konditionen die Sanierung der SPÖ-Finanzen ab 2000 erst ermöglicht hat. Wichtig ist hier nur noch der Eindruck, unabhängig von dem, was wirklich gelaufen, was legal, halblegal oder illegal gewesen ist. Das ist in der aufgeheizten Atmosphäre ziemlich egal. Auf jeden Fall kann locker behauptet werden, dass die SPÖ in dubiose Geschäfte verwickelt sei. Die ÖVP spricht von "Sumpf", "Abzockerei", "Misswirtschaft", "rotem Netzwerk" und "Mafia".
Die ÖVP hat zweifellos die besseren Karten, die Partei von Kanzler Schüssel wird zwar einige Prozente verlieren, aber sie wird vorn bleiben. Der von der Bevölkerung mehrheitlich abgelehnte Ankauf neuer Abfangjäger, mit dem die SPÖ groß punkten wollte, erscheint gegenüber der BAWAG-Affäre geradezu wie ein Lerchenschiss. Auch die grobschlächtige Werbekampagne mit dem penetranten Motto "Sie haben gelogen, Herr Bundeskanzler!" wirkt eher panisch denn aggressiv, ebenso die Ansage des steirischen Landeshauptmanns, Franz Voves, die ÖVP sei eine "Krebszelle". Nervosität statt Souveränität beherrscht die Partei von Alfred Gusenbauer.
Rot und Schwarz sind aber auch noch zu unterbieten, wenn Orange und Blau - sprich: Haiders Nachwuchs - loslegt. Peter Westenthaler (BZÖ) und Hans-Christian Strache (FPÖ) treten zwar gegeneinander an, aber für dasselbe ein. Ihre Konkurrenz besteht darin, sich gegenseitig hochzuschaukeln. Das erfordert wahre Härte. Wer schmeißt also mehr Ausländer raus? Westenthaler, der gern Schüssels Vize wäre, ist bei der sagenhaften Zahl von 300.000 gelandet. Das sind beinahe vier Prozent der Gesamtbevölkerung, die zur Massendeportation vorgeschlagen werden.
Gleichzeitig spielt Jörg Haider, der Gründer der Orangepartei "Bündnis Zukunft Österreich" (BZÖ), mit der Bundesverfassung verstecken. So blockiert er in seiner Funktion als Landeshauptmann, das im Staatsvertrag von 1955 festgelegte Aufstellen zweisprachiger Ortstafeln in Südkärnten. Windige juristische Konstruktionen machen es möglich, da ist er einfallsreich wie in besten Zeiten. Mahnungen von Bundespräsident, Bundeskanzler und Verfassungsgerichtshof werden ignoriert. Aber dahinter steckt Kalkül, es gilt das Reservoir der deutschnationalen Kärntner abzuschöpfen. Sollte das BZÖ an der Vier-Prozent-Hürde scheitern, besteht ja immer noch die Möglichkeit über ein Grundmandat in den Nationalrat einzuziehen.
Trotzdem ist hier schon die Wut des Verzweifelnden am Werk. Haiders Zeit ist vorbei. Auch wenn sein Typus auf der Siegerstraße bleibt - Haider selbst ist zum Auslaufmodell geworden. Das zu unterscheiden, fällt vielen schwer. Die (ehemalige) Haider-Wählerschaft ist quantitativ nach wie vor nicht zu unterschätzen. Die Anhänger haben auch nicht ihn verlassen, sondern er sie. Zwei schwere Fehler sind ihm unterlaufen: die Desavouierung der eigenen Regierungsmannschaft 2002 und die Formierung einer neuen Partei, die ausschließlich seiner narzisstischen Psyche geschuldet war. Letzteres war vielen Ganz-Treuen ein Schritt zuviel. Diese Leute lassen sich zwar fast alles gefallen, aber eben nur fast.
Die zwischenzeitliche Krise der FPÖ verdeutlicht jedoch keineswegs einen Rückschlag, was deren Ideologie und Basis betrifft, sondern offenbart lediglich eine Formschwäche des Führungspersonals. Denn eines hat man in Österreich kaum begriffen und in Europa überhaupt nicht: Weder die Sanktionen der EU noch die Tricks von Kanzler Schüssel haben ihn zu Fall gebracht - Haider hat sich selbst minimiert.
Das Rennen um das "dritte Lager" und ebenso um den dritten Platz dürfte der neue FPÖ-Obmann machen. HC Strache, wie er sich selbst nennt, hat zwar nichts zu sagen, was Haider nicht schon origineller gesagt hätte, aber das ist nicht das Kriterium. Intellektuell ist die Herde der freiheitlichen Wähler äußerst genügsam. Und der FP-Chef ist eine Redemaschine, die sämtliche Vorurteile mit der Überzeugtheit des Beschränkten wiedergibt. Außerdem ist er 20 Jahre jünger als Haider und wirkt frischer. Das reicht. Auch wenn kaum jemand damit gerechnet haben mag: Trotz des Abstiegs der ehemaligen Galionsfigur wird diese Wahl eine Konsolidierung der populistischen Segmente zeitigen. Sollten auch Westenthaler und Hans-Peter Martin (s. unten) in den Nationalrat einziehen, wird dieser Sektor gestärkt aus den Wahlen hervorgehen.
Zu kurz kommen dürften einmal mehr die Grünen. Gerade weil ihr dritter Platz so ungefährdet erschien, könnte er noch kräftig zu wackeln beginnen. In den unappetitlichen Konfrontationen spielt die Ökopartei keine tragende Rolle, ohne allerdings ein entschiedenes Contra zu bieten. Einerseits möchte ihr notorischer Aufdecker, der Abgeordnete Peter Pilz, selbst in der Skandalliga aufgeigen, andererseits ist man sich als Orchester dann doch zu schade dafür. Gewiss weiß man nur eines: an die Regierung will man. Für den Parteivorsitzenden Alexander van der Bellen, der mit 62 nicht mehr der Jüngste ist, dürfte das die letzte Chance sein, Vizekanzler zu werden. Inzwischen ist allerdings davon auszugehen, dass weder Schwarz-Grün noch Rot-Grün mehrheitsfähig sein werden, somit beide Varianten ausscheiden. Sollten fünf oder gar sechs Listen die parlamentarische Hürde nehmen, dann werden sich wohl auch in Österreich "Lügner" und "Gauner" ganz ungeniert die Hand zur großen Koalition reichen.
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