Nix Kultura

Österreich 1945 empfand man lange als Jahr der Niederlage. Die Sowjets galten nicht als Befreier, sondern als Unglück
Ausgabe 19/2015
Adolf Hitler wird von den Österreichern 1938 in Wien begrüßt und gefeiert
Adolf Hitler wird von den Österreichern 1938 in Wien begrüßt und gefeiert

Foto: Keystone/Hulton Archive/Getty Images

Stunde Null. Niederlage. Neubeginn. Schnelles Vergessen. Der kurzfristig angeordnete Antifaschismus mündete für Österreich bald in den Anti-Totalitarismus und entpuppte sich als Antikommunismus, der die Zweite Republik zumindest bis 1990 prägte. Dass die Sowjets über uns gekommen sind, das war nach 1945 das schlimmste Unglück, das „wir je mitgemacht haben”. Wer kennt sie nicht, diese Sprüche der Kriegs- und der ihr nachfolgenden Wiederaufbau-Generation. „Russ“ war in diesem Land als Schimpfwort durchaus gängig. Primitivität – so die primitive Annahme – ist eine russische Charaktereigenschaft. Nix Kultura.

In der unseligen Ostmark gab es mehr Nazis als sonst wo. Bis 1945 gebärdeten sich die meisten Österreicher als die Bergdeutschen schlechthin. Es ist gar nicht verwunderlich, dass es bis Kriegsende kaum Widerstand gab und auch nachher den meisten Tätern jede Reue betreffend der Taten abging. Doch plötzlich kamen die einstigen Superdeutschen als Antideutsche daher. Bis zur Affäre um den damaligen Bundespräsidenten Kurt Waldheim 1986 und dessen Verstrickung in NS-Verbrechen funktionierte das auch glänzend.

Schon in die Unabhängigkeitserklärung von 1945 phantasierte man sich als Unschuldslamm. Es sei eine „gescheiterte Katastrophenpolitik“ gewesen, die „das macht- und willenlos gemachte Volk Österreichs in einen sinn- und aussichtslosen Eroberungskrieg geführt hat, den kein Österreicher jemals gewollt hat, jemals vorauszusehen oder gutzuheißen instand gesetzt war, zur Bekriegung von Völkern, gegen die kein wahrer Österreicher jemals Gefühle der Feindschaft oder des Hasses gehegt hat.“

Dicker konnte man nicht auf die Tränendrüse drücken. Dass die Österreicher 1938 jubelten und der Sozialdemokrat Karl Renner, Autor jener Zeilen und erster Bundespräsident der Zweiten Republik, selbst den Anschluss freudig begrüßt hat, das galt als üble Nachrede. So konnten sich die vielen österreichischen Täter hinter den deutschen verstecken. Wir doch nicht. Und von den Alliierten wurde die“Russser Standpunkt aus taktischen Gründen nicht nur toleriert, sondern forciert. Zweifellos gab es ganz unterschiedliche Interessen, Österreich als unschuldiges Opfer darzustellen.

Klassischer Affront

Jeder historische Zusammenhang wird in solchem Denken ausgelöscht. Es herrschte zielgerechte Abneigung, die sich primär an den wirklichen wie vermeintlichen Schlechtigkeiten der anderen aufbaut. Darauf kann jedoch nur die Konfrontation blühen, und das tut sie auch. Woran sich bis heute nichts Grundsätzliches geändert hat. Über eine Politik der Antipathien ist man bis jetzt noch nicht hinausgekommen und entfernt sich zusehends von einem „Gemeinsamen Haus Europa“. Die Russen werden jedenfalls derzeit von der Wertegemeinschaft ausgeschlossen. Es riecht noch immer oder schon wieder nach minderwertigen Untermenschen.

Stattdessen ist Geopolitik angesagt und Österreich ein zögerlicher, aber braver Mitläufer. Für die Alpenrepublik spricht lediglich, dass sie in ihren bilateralen Beziehungen stets etwas schlampiger war. Da wurde Putin auch noch empfangen, als er in anderen westlichen Hauptstädten schon als Unperson galt. Doch das scheint nun passé. Bundespräsident Heinz Fischer hat sich schnell entschieden, nicht zu den Feiern nach Moskau zu reisen. Am Gedenken in Moskau nimmt er – wie seine meisten westeuropäischen Kollegen – demonstrativ nicht teil. Die Kritik daran, es zu tun, wäre zweifellos größer gewesen, als die Kritik daran, es zu lassen. Ein Junktim zwischen der Niederlage des NS-Regimes und aktuellen Konflikten herzustellen, die eine völlig andere Qualität aufweisen, ist freilich ein klassischer Affront.

Wer heute nicht mit den liberalen Wertekriegern heult, läuft Gefahr, von ihnen dem rechten Mob zugeschlagen und dort auch willkommen geheißen zu werden. Das ist eine ungute Situation, weil in ihr jedes Argument nicht nur auf seine Stichhaltigkeit zu prüfen ist, sondern auch auf das schräge Echo, das es auslösen kann. Schnell befindet man sich in schlechter Gesellschaft.

Die meisten Sympathien, die Wladimir Putin heute entgegengebracht werden, rühren ja nicht aus einer antifaschistischen Verbundenheit – also nicht aus einer späten Anerkennung der Befreiung Österreichs durch die Rote Armee –, sondern primär aus einem autoritären Reflex. Man sieht in ihm einen starken Mann, den einige auch hier gern hätten. Das macht die westliche Frontpropaganda, die zweifellos eine kriegerische ist, natürlich nicht besser. Nicht differenzierte Kritik an Russland ist ihre Absicht, sondern blanke Diskreditierung.

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