Mauern, wackeln, umfallen

Österreich Kaum beschlossen, wird die Impfpflicht auch schon wieder ausgesetzt. Feiert sie im Herbst ein Comeback?
Ausgabe 07/2022
Pressekonferenz zur Corona-Krisenkoordination in Wien. Dabei ist auch der Generalmajor Rudolf Striedinger, naturgemäß im Tarnanzug
Pressekonferenz zur Corona-Krisenkoordination in Wien. Dabei ist auch der Generalmajor Rudolf Striedinger, naturgemäß im Tarnanzug

Foto: photonews.at/IMAGO

Schnell kann es gehen. Der Dynamik vergangener Tage kommt kein Mindsetting nach. Die Anfang Februar im Nationalrat beschlossene Impfpflicht steht schon wieder vor dem Aus. Zwar wurde sie nur sistiert, aber es ist kaum anzunehmen, dass sie in den nächsten Monaten wirkmächtig werden könnte. Die Absetzbewegungen sind mehr als deutlich. Sieben Landeshauptleute (fünf der ÖVP, zwei der SPÖ) haben sich dezidiert dagegen ausgesprochen, auch einige medizinische und komplexitätsforschende Scouts wechselten die Front. Von den im Gesetz vorgesehenen Strafen für Impfverweigerer wird man vorerst ganz absehen. Überhaupt ist Aufsperren statt Zusperren angesagt.

Verordnetes Impfen ist mehr als ein obligater medizinischer Eingriff, es ist ein staatlicher Übergriff. Es mag Extremfälle geben, wo dieser berechtigt ist, bei Corona ist das nicht der Fall. Außer Deutschland und Österreich haben daher alle EU-Staaten die Finger von einer generellen Impfpflicht gelassen. Bei den Ungeimpften wurden die Unentschlossenen und Unwilligen mehr abgestoßen als angezogen, mehr weggetrieben als überredet, geschweige denn überzeugt. Ja, selbst einige Hunderttausende, die schon zweimal geimpft worden sind, verweigern das für sie vorgesehene Boostern. Seit Omikron sticht auch die Angstkarte weniger. Das Kontakt-Verfolgen ist zusammengebrochen, und bei den Verordnungen kennt sich sowieso niemand mehr aus. Auf den Unmengen von bestelltem Impfstoff wird man wohl sitzenbleiben. Je mehr man den Druck erhöhte, desto deutlicher zeichnete sich das Fiasko ab.

Bevor dies mit aller Drastik zu Tage tritt, wird nun die Reißleine gezogen. Nur das Gesundheitsministerium und die Gesamtstaatliche Covid-Krisenkoordination (GECKO) mauerten, ehe sie zu wackeln begannen und schließlich umgefallen sind. Karl Nehammer, glückloser Kanzler und Chef der von unzähligen Skandalen gezeichneten ÖVP, versucht sich als Erlöser von der Pandemie. Das Motto: Der Kanzler schenkt uns die Freiheit. Die Volkspartei, anfangs ganz auf Verschärfung konditioniert, empfiehlt sich jetzt als Weichspüler. Vor allem will sie sich allerdings selbst freispielen. Grüne und SPÖ – in beiden Parteien gibt es massive Widerstände gegen den rigiden Covid-Kurs der jeweiligen Führung – werden als Spielverderber übrigbleiben. Der grüne Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein konnte nie politisches Profil entwickeln, er war immer der getriebene Administrator der gerade maßgeblichen Stimmen. Als Pressesprecher diverser Beschlüsse ging er in diesen chaotischen Wochen völlig unter und dürfte bald abgelöst werden. Ein ähnliches Schicksal droht der Parteiobfrau der oppositionellen SPÖ, Pamela Rendi-Wagner.

Kommt sie im Herbst doch?

Das alles heißt jedoch nicht, dass die Impfpflicht in Österreich im Herbst kein Comeback feiert. Bei den engen Kriterien betreffend Inzidenz und Hospitalisierung, an denen man inzwischen das allfällige Infektionsgeschehen misst, wäre es fast verwunderlich, würde das nicht passieren – übermorgen könnte dann schon wieder vorgestern sein. Nach den geltenden Richtlinien müsste fortan im Winter stets prophylaktisch zugesperrt und eingeschränkt werden. Im Frühling wäre dann die Population mit entsprechender Leine wieder in die Freiheit zu entlassen. Auf-zu-Spiele könnten unter diesen Voraussetzungen chronisch werden.

Aktuell sind ÖVP und Grüne schwer angeschlagen, und Neuwahlen würden für beide Parteien in schweren Niederlagen enden. Das spricht eindeutig dagegen, aber ob es die Koalitionspartner weiter miteinander aushalten und auch parteiintern durchstehen, das sind andere, keineswegs zu unterschätzende Fragen. Die Nervosität ist groß, die Atmosphäre vergiftet. Die politische Landschaft steht jedenfalls vor großen, wohl auch fundamentalen Umbrüchen. Mit dem alten Koordinatensystem ist kaum noch etwas adäquat zu erfassen. Ein Land torkelt durch seine Krisen. Fünf Kanzler in fünf Jahren, das hatte Österreich zuletzt in der Ersten Republik. Oder ist das gar schon die neue Normalität?

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