Österreichs Kanzler bemüht sich um Mäßigung gegenüber Moskau

Sanktionen Für die Regierung in Wien sind nun Braunkohle und Erdöl die „neuen“ Alternativen zu Erdgas
Ausgabe 28/2022
Österreichs diplomatische Vorstöße gegenüber Moskau sind überaus zaghaft und zurückhaltend
Österreichs diplomatische Vorstöße gegenüber Moskau sind überaus zaghaft und zurückhaltend

Foto: IMAGO/ Eibner Europa

Kaum ein Land ist abhängiger von russischen Gaslieferungen als die Alpenrepublik. Das betrifft sowohl die Industrie als auch die Privathaushalte. Indes ist Österreich mit dem importierten Erdgas immer recht gut gefahren. Besonders ökonomisch. Erst 2018 hat man deswegen längerfristige Lieferverträge mit Moskau abgeschlossen, die nunmehr als aberwitzig gelten, vor allem was Laufzeiten und Ausstiegskriterien betrifft. Vor vier Jahren galt das aber als vorzüglicher Deal, kritisiert nur von der US-Administration, die eine solche Abhängigkeit stets geißelte und diese durch eine andere ersetzen wollte.

Österreich war seit 2014 ein Vertreter der westlichen Sanktionspolitik. Offiziell – inoffiziell war man seit Anbeginn dagegen. Primär erfüllt wurde die Empörungspflicht gegenüber Russland. Wollen tut man nicht, aber müssen tut man schon. Am liebsten hätte man jetzt eine rasche Rücknahme der EU-Maßnahmen, so wie bei der jüngst vollzogenen Demontage der Impfpflicht. Erst vor Tagen stellte der Präsident der Wirtschaftskammer und vormalige ÖVP-Wirtschaftsminister Harald Mahrer die Sanktionen in Frage. Ein Sturm der Entrüstung folgte prompt.

Österreich macht mit beim Wertgeschwätz der Wertegemeinschaft, setzt aber aus, wenn es um weitere Schritte geht. Von Enthusiasmus keine Spur. Man ist Gefangener der eigenen Politik, macht gute Miene zum bösen Spiel. Eigentlich möchte man nicht belästigt werden. Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) bemüht sich redlich wie unredlich, all diese Widersprüche zu verschleiern, um den medialen Standgerichten zu entgehen. Das ist in Zeiten unseliger Frontpropaganda keine Lösung, aber doch schon fast wieder eine Leistung. „Lavieren statt eskalieren“ ist die Devise. Gern wäre man ein Mäuschen, um zu verfolgen, was Wladimir Putin von Nehammer bei Telefonaten und Treffen wirklich zu hören bekommt. Jedenfalls dürfte es nicht die obligate Drohbotschaft sein, Marke: „Wir wollen deinen fossilen Dreck nicht, aber wehe, wenn du ihn nicht mehr lieferst.“

Dass man in Wien nun in Braunkohle und Erdöl die „neuen“ Alternativen zu Erdgas sieht, ist nicht nur ein ökologischer Rückschritt, es ist auch kaum realistisch. Die Reinstallation stillgelegter Kraftwerke ist mühsam, teuer und aufwendig. Und das Öl, das man importiert, kommt zu einem großen Teil aus Kasachstan. Es muss erst durch die Russische Föderation transportiert werden, bevor es seinen russischen Ausfuhrhafen erreicht. Putin, schlagfertig, wie er ist, hat den kasachischen Erdölhahn gleich mal für einige Wochen zugedreht, um der Republik Österreich zu demonstrieren, dass es nicht so einfach ist, umzudisponieren. Teurer wird es auf jeden Fall. Einmal mehr hat man die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Überhaupt erweist sich der russische Präsident als schlauer, als seine Kontrahenten erlauben.

Da muss Tünche her

Aktuell ist es unmöglich, aus der Sanktionsspirale auszusteigen, daher dreht man sie weiter. Paket für Paket wird geschnürt. Die Maßnahmen schaden zusehends den eigenen Bevölkerungen. Sie wirken anders, als sie sollen. Die Dynamik der Inflation wurde, wenn auch nicht durch dieses Verhalten ausgelöst, so doch durch dieses beschleunigt. Im Herbst wird dann die Teuerung erbarmungslos zuschlagen und das blindwütige Gerede von Freiheit und Werten einen noch größeren Dämpfer bekommen. „Russland gewinnt den Wirtschaftskrieg“, so der Guardian (Lesen Sie den Text auch auf freitag.de). Ausgeschlossen ist das nicht. Die EU-Staaten und besonders Österreich stecken in einem tiefen Dilemma. Politisch ist man nie auf der Höhe der Herausforderungen. Eine Verliererin des Ukraine-Konflikts steht jedenfalls bereits fest: die EU. Interne Konflikte und die anstehenden komplexen Beitrittsdebatten werden sie zusätzlich schwächen.

Die EU hat sich – anders als die USA oder Russland – in eine aussichtslose Lage manövriert, die moralisch zugekleistert und ideologisch übertüncht wird. Man will nicht sehen, was los ist, weil los zu sein hat, was man sehen will. Die beschworene Einheit ist eine der Beschlüsse und keine der Umsetzung. So wies erst vergangene Woche das Kieler Institut für Weltwirtschaft nach, dass die Kluft zwischen zugesagten und tatsächlich geleisteten Unterstützungen an die Ukraine beachtlich ist.

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