Orwell in Wien

UNREGIERBARES ÖSTERREICH Der Verzicht der Unverzichtbaren

Erst zwei Monate nach dem Urnengang wurde inzwischen der Sozialdemokrat Viktor Klima vom Bundespräsidenten mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt. Dem vorausgegangen waren wochenlange, von Thomas Klestil eingeforderte Sondierungsgespräche, bei denen aber allen Gerüchten zum Trotz nur die jeweiligen Standpunkte wiederholt wurden.

Auch wenn es die Partei noch nicht wahrhaben will, das präpotente Taktieren der ÖVP neigt sich seinem Ende entgegen. Hatte sie ursprünglich großspurig angekündigt, dass sie nach dem dritten Platz bei den jüngsten Wahlen auf keinen Fall für die Regierung bereitstehe, so ist inzwischen alles anders, obgleich sich eigentlich nichts geändert hat. Waren die christdemokratischen Scharführer unablässig der Meinung, dass die ÖVP-Wähler stärker als andere von ihrer Partei Verlässlichkeit erwarten, so hat man jetzt die Bestätigung, dass "verbindliche" Aussagen sich lediglich am unmittelbaren Vorteil orientieren.

Am Montag wurde der Vorstandsbeschluss aus Gründen der Staatsräson, wie es schön heißt, "ergänzt". Kurzum: Geht die ÖVP nicht doch in die Regierung, dann bleibt der Oppositionsbeschluss. Die Generalsekretärin der Partei, Maria Rauch-Kallat, erklärt, der neue Beschluss sei kein Schwenk, es habe sich bloß herausgestellt, dass die Volkspartei "unverzichtbar für die Regierungsbildung ist". Warum die Unverzichtbaren aber den Verzichtsbeschluss vor den Wahlen gefasst und danach einige Male bestätigt haben - nun denn, so ist eben die Politik. Was hält, hält sich nicht lange. Versprechen meint nicht, dass man etwas versprochen hat, sondern dass man sich versprochen hat.

Wolfgang Schüssel, der ins Out gelaufene Überdribbler, ist jedenfalls wieder auf dem Rasen und wird sich wohl oder übel als Juniorpartner einer von der SPÖ geführten Bundesregierung anschließen müssen. "Schüssel sitzt wieder am Schoß von Klima", ätzte letztes Wochenende das zweitgrößte Massenblatt täglich Alles. Das will er zwar nicht, aber es wird ihm nichts anderes übrigbleiben. In der Zentrale der Volkspartei betont man daher ausdrücklich, dass die Regierungsbereitschaft sich nicht nur auf die SPÖ beschränke. Die christsoziale Flucht zu Haider ist damit zwar explizit nicht ausgeschlossen, aber doch nicht allzu wahrscheinlich. Vor Neuwahlen hingegen muss sich die ÖVP fürchten wie sonst niemand.

Außerhalb der Sozialdemokratie ist Thomas Klestil - das mit nicht unbeträchtlichen verfassungsmäßigen Kompetenzen ausgestattete Staatsoberhaupt - der eifrigste Betreiber einer SPÖ-ÖVP-Koalition. Das geschieht aber nicht wegen einer besonderen Vorliebe zur SPÖ. Im Gegenteil, was programmatische Aussagen betrifft, ist der Präsident Haiders Positionen näher. Nicht zufällig unterstützte ihn die FPÖ im letzten Präsidentschaftswahlkampf. Man sollte Klestils Engagement daher nicht fehldeuten. Der gute Mann will ganz einfach weiter auf Staatsbesuche eingeladen werden, nicht wie sein Vorgänger Kurt Waldheim den Rest seiner Präsidentschaft als einsamer Mann in der Hofburg absitzen. Nicht aus guten Gründen ist hier einer gegen Haider, sondern aus staatsprivatem Kalkül. Nun erwartet derselbe "zügige Verhandlungen", doch die Parteimanöver gehen bloß in die nächste Runde. Fix ist noch gar nix.

Eine vierte Neuauflage der SPÖ-ÖVP-Koalition wäre (vor allem seitens der ÖVP) keine innenpolitische, sondern eine außenpolitische Entscheidung. Das Szenario dürfte so sein: Um das internationale Ansehen des Landes zu gewährleisten, will man den Anschein wahren, was heißt: Haider darf eben doch noch nicht in die Regierung. Da nichts Neues möglich ist, macht das Alte nach seinem Ableben weiter. Bis zur Unregierbarkeit.

Auch bei den kommenden Wahlen werden die Koalitionäre mit Sicherheit Stimmen an die Opposition verlieren. Noch deutlicher als ehedem wird es Jörg Haider gelingen, die "Koalition der Verlierer" - wie er sie bezeichnet - vor sich herzutreiben. Ob eine rot-schwarze Zählgemeinschaft bei der nächsten Nationalratswahl noch eine absolute Mehrheit einbringt, darf heute schon bezweifelt werden. Der SPÖ-ÖVP-Verbund leidet an galoppierender Schwindsucht. Hatte er 1986, als die Große Koalition installiert wurde, noch satte 85 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereint, so sind es 1999 noch magere 60. Keine Koalition neu, keine Strukturreform, kein Regierungsprogramm 2000 oder irgendein anderer Marketingschlager wird die Talfahrt stoppen.

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