Wann immer von Olympischen Winterspielen die Rede ist, sollte man zuerst von den Afrikanern sprechen. Warum das? Nun, weil es die dort kaum gibt. Teilnehmer dieses Kontinents werden sich auch diesmal wieder an zwei Händen abzählen lassen. Wenn aktuell über sie gesprochen wird, dann nur, weil diese „Exoten“ den Hochalpinen wie Österreich, Frankreich oder Deutschland ob der nationalen Kontingente einige Startplätze wegschnappen. Der alpine Skirennlauf etwa ist eine Geschichte weniger europäischer Länder mit Zugaben aus den USA und Kanada. Bei den anderen Disziplinen sieht es nicht viel anders aus. Winterspiele, das ist eine Angelegenheit der reichen Länder, eine Heerschau okzidentaler Macht, eine Hochzeit aus Reklame und Technik. Winterspiele sind immer Spiele der Weißen gewesen.
Besonders für Österreich sind sie ein kaum zu überbietendes nationales Ereignis. Kein Staat auf diesem Planeten starrt so verbissen auf die Winterolympiade. „Olympia, wir kommen“, verkünden die „Goldstars“ geheißenen heimischen Athleten in einer Riefenstahl-artigen Fotomontage auf dem Cover der Wiener Kronen Zeitung. Die in Sotschi zu tätigenden Erfolge gehören zum rot-weiß-roten Doping. Ist bei Sommerspielen für das Land schier nichts zu holen, so ist es bei den Winterspielen stets top. Am Medaillenspiegel reaktiviert sich nichts weniger als der Patriotismus der Alpennation. Zur Zeit wird ein mittlerer Aufstand gegen Sotschi inszeniert. Der zum PR-Heroen umgemodelte einstige Skiweltmeister Hermann Maier hat beschlossen, den Spielen fernzubleiben, und der Skirennläufer Marcel Hirscher, der neue Star, bangt gar um die Sicherheit seiner Familie. Zwar verlangt niemand einen Boykott der Spiele. Aber vorführen will man die Russen schon. Da haben sodann die kulturindustriellen Bataillone in Medien und Politik, Sport und Kunst auszurücken. Außerdem hat man hierzulande sowieso noch eine Rechnung offen, hat Salzburg doch bei der Bewerbung gegen Sotschi vor Jahren im ersten Wahlgang mit 25 zu 34 den Kürzeren gezogen. Das schmerzt sehr, denn eigentlich sind wir die Großmacht und die anderen nur Staffage, vor allem wenn sie nicht zur Ersten Welt gerechnet werden. Das wird Russland zweifellos nicht, auch wenn Präsident Wladimir Putin alle obligaten wie ungustiösen Anstrengungen unternimmt, auf dieser Ebene zur globalen Elite zu zählen.
Gazprom gegen Red Bull
Franz Klammer, der Abfahrtolympiasieger von 1976, schreibt: „Dass dem Internationalen Olympischen Komitee bei der Vergabe Geld wichtiger ist als moralische Werte, ist ein Witz. Dass man den Sport, der für den Frieden steht, für Propagandazwecke missbraucht, ist traurig.“ Aber Entschuldigung, das ist doch gerade der Witz der Sache. Es geht um Geld und nicht um Moral. Der Wert, der zählt, ist der kommerzielle. Auch steht der Sport nicht einfach für den Frieden und wird missbraucht. Er ist auch ein – wenn auch sinnvolles – Surrogat des Krieges, mit dem er das uneingeschränkte Pathos des Kampfes teilt. Schlachtenbummler sind domestizierte Kriegsmeuten. Das Wort verrät’s.
Man hat das Gefühl, solche Skihelden agieren mitunter als Maulhelden ihrer Nation, beherrschen nicht nur die sportliche Auseinandersetzung, sondern erproben sich auch im Kampf der Kulturen. „Wir hoch, die tief“, so die knappe Formel. Es geht dabei weniger darum, Putin und sein System zu kritisieren, als ihn vielmehr zu diskriminieren. Dabei wird keine Sekunde gefragt, wie wir hier zu unseren Standards kommen, welche Geschichte sie haben, welche Opfer sie kannten und kennen.
Der russische Präsident versucht sich an einer nachholenden Kommerzialisierung. Gepusht durch die ökonomische Potenz des Staates, soll in einigen Jahren das erreicht werden, wozu in den kapitalistischen Zentren Jahrzehnte notwendig gewesen sind. Derlei ist, wenn überhaupt, nur mit großer Rücksichtslosigkeit möglich. Kein Zweifel: An der mangelt es Putin nicht. Dass Russland in die Winterolympiade 50 Milliarden Euro gesteckt hat und damit die teuersten Spiele aller Zeiten ausrichtet, ist daher nur logisch. Würden den Arbeitern nicht so miese Löhne gezahlt, wären sie sogar noch teurer. Es geht um Prunk und Prestige. Auch auf der kulturindustriellen Ebene will man mithalten. Koste es, was es wolle. Mit Gazprom gegen Red Bull.
Putin führt in aller offenherzigen Brutalität vor, was so ein Ereignis ökonomisch und ökologisch, militärisch und national, vor allem aber auch regional und sozial bedeutetet. Sotschi gleicht einer Festung, doch welche Olympiastadt tut das nicht? Dass der Präsident soviel Polizei und Militär auffahren lässt, ist weniger Ausfluss autoritärer Gelüste, sondern mehr Ausdruck objektiver Notwendigkeiten. Sollte es wirklich zu einem terroristischen Anschlag kommen – und so etwas ist nie ganz auszuschließen, man denke an die Münchener Sommerspiele von 1972 – dann würde man Putin und seine Regierung für die mangelnden Sicherheitsvorkehrungen verantwortlich machen.
Wenn Sebastian Kurz, Österreichs neuer Außenminister, in ganz korrektem Polit-Sprech meint, dass es notwendig wäre, „bei Menschenrechtsverletzungen nicht wegzusehen, sondern Zeichen zu setzen“ – welche Zeichen meint er? Putin zu punzieren, das ist wahrlich ein geiles Wettspiel westlicher Provenienz zur Entzückung der eigenen Gefolgschaft, neuerdings Wertegemeinschaft genannt. Da kann man sich wahrlich auf die Brust klopfen. Doch was möchte man wirklich? Drohnen schicken? Einmarschieren? Wohl kaum. Den Zerfall des russischen Staates in Oligarchen und Banden (wie er sich unter Boris Jelzin ankündigte)? Das schon eher. Das westliche Denken reicht oft nur bis zum eigenen Vorteil beziehungsweise Vorurteil. Nicht alles, was Vorurteile anzeigen, ist falsch, aber alles dient einem bösen Zweck.
Ein Herz und ein Markt
An Putins Spielen ist nicht mehr zu kritisieren als an anderen auch. Also ziemlich viel. Sympathisch kann einem da wenig sein, betrachtet man das Umfeld. Von den sibirischen Lagern, in die er die Pussy-Riot- Aktivistinnen stecken ließ, über die Gängelung der Medienfreiheit, von der Förderung der Oligarchen über das Elend der Wanderarbeiter bis hin zum vielfach geforderten Verbot der Homosexualität. Das Bündnis zwischen ökonomischem Kommerz, autoritärem Staat und zivilgesellschaftlicher Reaktion – das dürfte in Moskau fest im Sattel sitzen. Aber was im Westen wirklich stört, ist etwas ganz anderes: Russland ist ein Konkurrent, der partout nicht Satrap sein will.
Putin vorzuwerfen, die Interessen eines imperial geprägten russischen Staates zu vertreten, ist jedenfalls ziemlich schräg. Denn das ist seine Rolle, genau die füllt er aus. Ohne hier den staatlichen Logiken und ihren Interessen das Wort reden zu wollen, muss man dennoch fragen: Warum geht man davon aus, dass gerade die in den neunziger Jahren schwer lädierte Macht im Osten, der man etliche Einflussbereiche entzogen hat, anders zu funktionieren hätte als der Westen selbst und anders als dieser auf seine Großmachtansprüche verzichten sollte?
Auch die Mentalitäten sind nicht gar so unterschiedlich. Wenn man etwa Peter Schröcksnadel zuhört, dem mächtigen PR-Fabrikanten und Präsidenten des Österreichischen Skiverbandes in Personalunion, oder Karl Schranz, dem alten Oberrecken der Ski-Nation, dann weiß man, diese Autoritäten ticken wie Putin, sind ganz bei ihm und mit ihm, ein Herz und ein Markt. Die Gemengenlage in Österreich mit Blick auf Sotschi lässt sich wie folgt beschreiben: Ökonomisch sind wir dafür, ideologisch sind wir dagegen, politisch und medial mischen wir sie auf.
Die Frage, ob man die Winterspiele boykottieren sollte oder nicht, ist dabei von kaum zu überbietender Anspruchslosigkeit. Sich für die pro-russische wie die anti-russische Seite zu erwärmen, ist doch wirklich eine Zumutung. Vieles mag man ja beklagen, aber bitte nicht selektiv, sondern ganz generell. Gelegentlich könnte man auch in Zusammenhängen denken. Davon sind viele Putin-Kritiker jedoch weit entfernt. Indes, die Erzählung würde auch andersherum funktionieren. Man denke etwa an den Whistleblower Edward Snowden, da war es Putin, der diesem Asyl ermöglicht und so, wenn zunächst auch zunächst vorläufig, vor einer jahrzehntelangen Gefängnisstrafe bewahrt hat. Putin war auch der einzige Staatsmann von Gewicht, der sich gegen die grausame öffentliche Hinrichtung Muammar al-Gaddafis empörte. Zu Recht. Zwar mag man ihm taktische Gründe unterstellen. Aber gilt das nur für ihn?
Gemeinhin wird unterstützt, was ins Kalkül passt, seien das nun Dissidenten oder Diktatoren. Man sollte sich da nichts vormachen. Davon auszugehen, dass die eine Seite lautere Gründe hat und die andere nicht, ist Unsinn. Beide Seiten versuchen ihre Sicht der Dinge wie ihre Interessen durchzusetzen. Die Frage ist nur: Muss man dabei mitspielen?
Franz Schandl lebt als Publizist und Historiker in Wien. Das Verhältnis von Sport und Politik beschäftigt ihn immer wieder, zuletzt anlässlich der Ski-WM in Österreich
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