Der Vorsprung wird zwar nicht so groß sein, aber so wie sich in Deutschland abermals Angela Merkel behaupten dürfte, so steht mit Kanzler Werner Faymann (SPÖ) der Sieger dieser Nationalratswahl am 29. September schon fest. Die Sozialdemokraten dürften diese Wahl gewinnen, nicht obwohl, sondern weil sie auf Recycling setzen: „Hoch die Arbeit“, „Wir schützen die Pensionen“, das sind die zentralen Botschaften. Mehr ist nicht. Viel Farbe, kaum Inhalt, das prägt diesen Retro-Auftritt, mit dem es wohl gelingen wird, das Stammklientel, besonders die treuen Rentner, zu mobilisieren. Eine Perspektive ist nicht in Sicht, die SPÖ versucht nicht einmal, eine Reform zu simulieren. Was in gewisser Hinsicht aber durchaus ehrlich ist.
Tatsächlich stellt sich zusehends die Frage, ob Reformen nicht gefährlicher sind als ihre Unterlassung. Reform steht heute ausdrücklich für Verschlechterung, meist ist damit nichts anderes gemeint als direkter oder verdeckter Sozialabbau. Implizit ist der Stillstand besser als die Bewegung. Dafür steht die SPÖ, zweifellos. Zwar ist die Krise hierzulande angekommen, aber sie hat noch nicht so richtig durchgeschlagen. Verglichen mit anderen Ländern erscheint die Republik immer noch als eine Sonderzone ökonomischer und sozialer Prosperität. Es geht uns ja nicht so schlecht, warum soll es nicht so bleiben? Das hat zweifellos etwas für sich, die entfesselte Wirtschaft, wie sie Michael Spindelegger als Chef der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) propagiert, wirkt vor diesem Hintergrund alles andere als anheimelnd, sondern bedrohlich.
Kein Verlass auf Schwarz
Werner Faymann hingegen will nicht drohen, sondern beruhigen. Er grinst viel und verliert selten die Beherrschung. Er suggeriert damit, alles fest im Griff zu haben. Nur nicht provozieren lassen, scheint das Motto der SPÖ zu sein. Haut Spindelegger Faymann eine runter, dann gibt der Kanzler zu verstehen, dass der Du-Freund Michi, sein Vize, das eben braucht, weil Wahlkampf ist. Der Herausforderer ist freilich in der Position, wo er nachlegen muss, will er überhaupt auffallen. Ob die von der ÖVP betriebene Schlammschlacht das entsprechende Resultat zeitigt, ist zu bezweifeln, aber ohne geht gar nichts. Wenn ÖVP und SPÖ gar eine Richtungsentscheidung halluzinieren, wer vermag das ernst zu nehmen? Wachstum, Konkurrenz, Markt, Standort, Leistung, Renten, Arbeitsplätze, das ist, was allen – Regierung wie Opposition – einfällt.
Koalitionär ist die SPÖ auf die ÖVP festgelegt, Rot-Grün ist im Parlament weit von einer Mandatsmehrheit entfernt. Faymann hat keine andere Option, und er bekennt das auch. Die Volkspartei soll nur zweite bleiben und sich wieder einmal in die undankbare Rolle des Juniorpartners fügen. Indes, ganz so sicher ist nicht, ob die Christkonservativen dieses Schicksal akzeptieren. Denn die ÖVP ist, was Bündnisse betrifft, nach mehreren Seiten offen. Ob grün ob blau – ob Faymann oder Stronach, Hauptsache man kommt selbst zum Zug. Seit 1986 sitzt die ÖVP nun schon ununterbrochen in der Regierung, dort möchte sie auch bleiben. Faymann warnt daher unentwegt vor Schwarz-Blau. Dass man der ÖVP nicht trauen kann, habe Wolfgang Schüssel im Jahr 2000 bewiesen, als die damals drittstärkste Kraft eine Allianz mit Jörg Haider geschlossen hat.
Im Schatten der anderen werden die Grünen ihr bestes Ergebnis einfahren, es wird freilich nicht so berauschend sein, wie sie es sich vorstellen. Keinesfalls werden sie die etwas angeschlagenen Freiheitlichen überholen können, wie dies die Spitzenkandidatin und Parteichefin Eva Glawischnig als Ziel ausgegeben hat. Nicht das klassische Ökothema steht im Mittelpunkt, sondern der Kampf gegen die Korruption, den die Grünen auch recht unbefleckt betreiben können. Doch diese Karte sticht weniger, als die öffentliche Empörung annehmen lässt.
Vergessen werden sollte nicht, dass der rechtspopulistische Sektor – die FPÖ, das Team Stronach, das Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) – erstmals wohl ein Drittel der Stimmen einfährt. Das ergäbe einen neuen Rekord. Ohne das Antreten des austro-kanadischen Milliardärs Frank Stronach wäre es nicht ausgeschlossen, dass die unterschätzte FPÖ mit dem Vorsitzenden Heinz-Christian Strache schon diesmal in den Kampf um Platz eins eingreifen könnte. Aller Skandale und Widrigkeiten zum Trotz! So aber werden potenzielle freiheitliche Wähler vom neuen Mitbewerber abgezweigt. Die Stimmen, die Stronach Strache abknüpft, können aber jederzeit wieder zurückgeholt werden. Sie sind nicht verloren gegangen – Strache verfügt nur unmittelbar nicht darüber.
Der entfesselte Oligarch
Während die ÖVP stets von der entfesselten Wirtschaft redet, sitzt mit Stronach der entfesselte Oligarch schon in den Startlöchern. Seine Auftritte sind jenseits jeder tolerierbaren Kommunikation. Die Medien allerdings sind hilflos, sie sind zwar auf Regelverletzungen vorbereitet, aber nicht darauf, dass da einer nach seinen eigenen Gesetzen spielt. So wirken sie hilflos und apportieren jeden unsäglichen Unsinn ob der Quote. „Wer das Gold hat, bestimmt die Regeln“, das meint Stronach nicht nur, das praktiziert er auch. Zwischenzeitlich ist er auch schon mal für die Todesstrafe, eingeschränkt auf Berufskiller, wohlgemerkt. Der Mann versteht es, die Freiheitlichen locker rechts zu überholen.
Haben manche Politiker wenig Ahnung, so beweist Frank Stronach unentwegt, dass noch weniger auch geht. Wird er auf etwas konkret angesprochen, bleibt er meist die Antwort schuldig oder sondert Plattitüden ab: Die Wirtschaft sei anzukurbeln, die Arbeiter blieben zu motivieren, das Grundproblem seien die Funktionäre, und außerdem habe er Experten, die sich darum kümmern. Dafür neigt er zum Tiefschlag, der darin besteht, die Kontrahenten abzuwerten. „Du verstehst es nicht, Bübilein“, sagte er etwa in der Fernsehdebatte zu BZÖ-Chef Josef Bucher, den er vor Monaten noch umschwärmte und einzukaufen versuchte.
„Ausfällig“, „untergriffig“, „unflätig“, das sind die eigentlichen Leitwerte des Systems Stronach. Wir erleben den Auftritt eines Schlägers. „Gegen bürokratische Bevormundung, für totale Unterwerfung“, so könnte der geheime Wahlspruch der Stronach-Leute lauten. Wäre er nicht schwerreich, würde den Mann niemand für voll nehmen. Aber dieses viele Geld macht den aggressiven Kabarettisten zu einer ernsthaften Größe. Es verdreht wohl nicht nur ihm selbst den Kopf, sondern auch dem Publikum. Auf keinen Fall ist er aber skurriler als die Wirtschaft, von der er was versteht.
Die autoritätsfixierten Fans tolerieren das nicht nur, die finden das super. Der bewusstlosen Claqueure sind viele. Was der Boss sagt, muss stimmen, denn sonst würde er es nicht sagen. „Keine Person hat jemals Österreich so gedient“, meint Stronach über Stronach: „Die Historik wird feststellen, dass Frank Stronach für dieses Land am meisten geleistet hat.“ Zweifellos, wenn man die adäquaten Historiker entsprechend bezahlt, ist auch dieses möglich. Wäre das Land kleiner, würde der Größenwahnsinnige es wahrscheinlich kaufen. Stronach redet wie im Rausch. Es ist dies ein Erfolgsrausch, wie er vor allem bei den Spitzen der Wirtschaft nicht so selten vorkommt. Zumindest könnte man nun wissen, wie eine Wirtschaft tickt, die solche Kerle reüssieren lässt, ja regelrecht heranzüchtet. Auch Berlusconi ist auf diesem Dünger groß geworden, und wie wir sehen, schwer klein zu kriegen.
Die Wahlabstinenz wird trotz alledem kaum sinken. Gegen sie scheint kein Kraut gewachsen zu sein, auch jenes der populistischen Querschläger erreicht sie kaum. Die Zahl der Politikverdrossenen wird größer. Warum auch nicht? Politik hat sich längst an den Schaukampf verraten, und dieser wird immer abstoßender. Politik, so scheint es, ist die gegenwärtige Verwaltung der Vergangenheit, mit der keine Zukunft zu machen ist. Wir erleben hierzulande eine weitere Etappe im Zerfall des alten Parteiensystems.
Franz Schandl schrieb zuletzt über Bruno Kreisky und seinen Rückzug aus der Politik
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