Alexander Van der Bellen wurde 1944 in Wien geboren, seine Mutter war Estin, der Vater gebürtiger Russe mit holländischen Vorfahren. Die Familie floh vor den Sowjets und ließ sich schließlich im Tiroler Kaunertal nieder. Der spätere Universitätsprofessor für Volkswirtschaft ist einige Jahre SPÖ-Mitglied gewesen, ohne dort groß in Erscheinung zu treten. Zu den Grünen stieß er eher zufällig. Vom damaligen Parteichef Peter Pilz wurde er 1994 als Quereinsteiger ins Parlament geholt. Van der Bellen ist alles andere als ein grünes Urgestein. Doch gerade deswegen mutierte er schnell vom Experten zum Parteichef. Der notorische Kettenraucher war dank seiner politischen Unbedarftheit dafür prädestiniert. Seit 1997 führte
rte er die Partei und seit 1999 den Parlamentsklub. Mit ihm ging eine Periode der Unsicherheit und des ständigen Wechsels an der Parteispitze zu Ende. Van der Bellen blieb über zehn Jahre in diesem Amt unangefochten und ist danach ganz freiwillig aus der ersten Reihe abgetreten.In Van der Bellen hatte die Ökopartei einen weisen und gütigen Onkel, mit dem sich die Hektik und Theatralik früherer Kontroversen verdrängen ließen. Alle bescheinigten dem Wirtschaftsprofessor Kompetenz und Erfahrung. Wirkliche Feinde hatte er keine. „Sascha“, wie sie ihn noch heute bei den Grünen nennen, schlägt Sympathie aus diversen Spektren entgegen. Nicht nur in seiner Partei. Er mag auf den ersten Blick fad wirken, aber er ist kein Zwängler. Auch Medientraining ist seine Sache nicht. Das sieht und hört man ihm an. Aber wofür steht er?„Vorerst bleibt als deutlichster Eindruck, dass die Grünen eine ganz normale Partei geworden sind“, schrieb der bekannte Journalist Alfred Payrleitner 2001: „Einen Typen wie den bedächtigen Van der Bellen hätten die Grünen vor 16 Jahren einfach weggelacht.“ Inhaltlich vertrat er jedenfalls nie alternative, geschweige denn linke Anliegen. Realo war er immer, ohne es werden zu müssen. Als radikaler Gesellschaftskritiker fiel er nie auf. Das war nicht seine Welt. Andererseits hat er aber auch nie im Geiste eines Konvertiten agiert. So gesehen ist seine Geschichte eine andere als die des Joschka Fischer oder Winfried Kretschmann.Im Frühjahr 1999 verteidigte er den Kriegskurs der deutschen Grünen gegenüber Serbien, meinte aber gleichzeitig, in Österreich brauche man auf die NATO keine Rücksicht nehmen, hier „können wir sagen, ohne Sicherheitsrat ist das völkerrechtswidrig“.„Wir schlagen ja die Wahlen in Österreich, nicht in Deutschland“, hielt der grüne Parteichef in charmanter Unverfrorenheit fest. „Ich habe übrigens noch nie ein schlechtes Wort über die NATO gesagt“, resümierte er schließlich im Nachrichtenmagazin Profil. Viele gute Worte hat er allerdings auch nicht gesagt. Viele Worte sind überhaupt nicht seine Art, selbst wenn er gerade in den vergangenen Monaten gesprächiger wurde.Gäbe es die Freiheitlichen nicht, wäre Alexander Van der Bellen der Einheitskandidat von Regierung und Opposition. Das Unterstützungskomitee ist randvoll mit christkonservativen, liberalen und sozialdemokratischen Exponenten, dazu noch zuhauf gespickt mit Promis aus Wirtschaft und Kultur. Auch die Spenden fließen recht üppig. Ein frappierendes Ergebnis ist aber schon vor dem 2. Oktober zu konstatieren: Dass eine seltsame Allianz aller politischen Kräfte (abgesehen von FPÖ und versprengten Stronach-Resten) nur mehr mühsam eine Mehrheit zusammenkratzen kann oder gar an ihr scheitert, demonstriert deutlich, wie schwach das etablierte Österreich inzwischen geworden ist. Und auch die grünen Hilfstruppen werden es kaum retten, egal ob Van der Bellen nun gewinnt oder nicht.So viel steht fest, sein Programm eckt nirgendwo an, man könnte auch sagen, es hat keine Konturen. Tatsächlich erscheinen die Statements kaum akzentuiert, dafür sind sie ausgesprochen harmoniesüchtig, ja zunehmend traditionsfixiert. Nur niemanden verprellen, scheint die Devise zu sein. Strategisch mag das durchaus klug sein. Das treibende Moment für Van der Bellen ist nicht er selbst, sondern sein Gegenkandidat. Es ist schon eine elende Situation, wenn das konventionelle Österreich gegen die konformistische Rebellion der Freiheitlichen verteidigt werden muss. Der wirkliche Grund, Van der Bellen zu wählen, heißt Norbert Hofer. Ein guter Grund ist das nicht.Beurteilte man nur ihre Reklame, könnte man die beiden Kandidaten sogar verwechseln. In Werbung und Auftritt gibt es kaum Differenzen. „Alles Heimat!“, ist das übergreifende und flächendeckende Motto. „Immer wieder Österreich!“ – bis zum Erbrechen. Der Wahlkampf ist zwar erst angelaufen, aber diese Vaterlandsliebe wird sich noch kräftig steigern. Sowohl Hofer als auch Van der Bellen hüllen sich in die rot-weiß-rote Flagge und versuchen, jeweils als der besessenere Patriot zu gelten. In staatsmännischem Outfit buhlen sie um die Wähler, beiden geht es jetzt vor allem um die Stimmen in der Mitte, die den Ausschlag geben werden. Van der Bellen hat hier das breitere Bündnis anzubieten, Norbert Hofer die kompaktere Anhängerschaft zu präsentieren.Das reaktionäre Österreich spricht bereits von einem „Tölpel-Populismus“, von den „immer zahlreicheren Visiten von diversen Kirtagen, Trachtenveranstaltungen, Alm-Events, Schützenfesten“. Da sei – so wird von Michael Jeannée in der Kronen Zeitung gehöhnt – wohl „grüner Schleim statt brauner Dunst“ angesagt. So ganz von der Hand zu weisen ist diese Häme nicht, obzwar man natürlich einwenden könnte, dieser Kandidat sei auch auf Rave Partys und Love Parades zugegen, ein Sascha Dampf in allen Gassen.