In Österreich gibt es einen neuen Politstar. Sebastian Kurz heißt er, 29 Jahre ist er alt und seit Dezember 2013 Außenminister. Der Mann von der konservativen ÖVP gilt als ein Politiker, der weiß, was er will, und es auch kann. Der Dominoeffekt, den die Westbalkan-Konferenz in Wien auslöste, war gewollt, keineswegs war ihm da etwas unterlaufen. Insofern kalkulierte Kurz ganz kühl, als eine Grenze nach der anderen für die Flüchtlinge geschlossen wurde. Die Balkanroute war versperrt, das Durchwinken beendet. Es ging einfach darum, dichtzumachen.
Doch was ist da eigentlich gelungen? Weder kratzt die Politik an den Fluchtursachen, noch lindert sie das Flüchtlingselend. Aber zumindest hält sie die Schutzsuchenden erst mal fern. Zweifellos, die Geschwindigkeit wurde gedrosselt. So schnell kommen die jetzt nicht rein. Draußen bleiben! Nix da! Suggeriert wird, dass man Herr der Lage sei. Natürlich ist das kein Plan, aber die Ressentiments beträchtlicher Teile des europäischen Publikums werden befriedigt. Immerhin. Viele Liberale, Konservative und Sozialdemokraten finden sich in dieser europäischen Nacht als Nationalisten wieder. Bornierte Selbstbezogenheit siegt. Rechts ist die europäische Mitte. Das hat man schon geahnt, aber dass sie so rechts ist, ist doch überraschend. Und vor allem auch, wie schnell moderate Standpunkte ins Rutschen geraten sind.
Es müsse klar sein, dass es sich die Asylwerber nicht aussuchen können, wo sie einen Asylantrag stellen, sagt Kurz. Warum eigentlich nicht? Warum sollen Vertriebene nicht ihr Ziel wählen dürfen? Wenn schon die schwerwiegende Entscheidung gefallen ist, die Heimat zu verlassen, dann ist den Flüchtenden doch auch zuzugestehen, wohin die Reise geht. Dies dem geografischen Zufall – sprich: Griechenland, dem Libanon und der Türkei – zu überantworten, ist kaltschnäuzig.
Flüchtlinge, das sollen wir wohl zur Kenntnis nehmen, sind keine freien Menschen. Sie können in Lager gesteckt und unter Kuratel gestellt werden. Maximal auf Gnade dürfen sie hoffen. Auch das Recht selbst ist, wie wir gegenwärtig wieder erfahren, eine höchst fragile Angelegenheit. Aktuell fallen Migranten unter den Status des homo sacer (Giorgio Agamben), einer vogelfreien Figur des sich abzeichnenden globalen Ausnahmezustands.
Heftig umworben für jeden Talk
Die meisten Medien üben sich in nationaler Befangenheit. „Die EU beißt bei uns auf Granit“, schlagzeilt die Kronen Zeitung auf einem ihrer Frontcover. Österreich hat gerade ein patriotisches Comingout. Sebastian Kurz ist dessen Personifikation. War man bisher in Europa ein braver Appendix der Deutschen, so trumpft man nun auf. Endlich darf man tun und sagen, was man schon immer klammheimlich wollte. Sebastian Kurz setzt dabei sein freundliches Gesicht auf, poltert nie und lässt sich zu keinem aggressiven Auftritt hinreißen. Sucht man die inhaltlichen Unterschiede zu den rechtspopulistischen Konkurrenten, wird man jedoch nicht fündig. Die Differenz ist marginal.
Die Titelseiten sind ihm sicher. Permanent ist der Minister auf Sendung und Achse, heftig umworben für jeden Talk, sei es solo oder mit den Sparringspartnern. Der Politstar tritt ruhig auf, lässt wenig Aufregung spüren und hat inzwischen stets eine passende Antwort, und sei es eine Ausrede, parat. Das wirkt eloquent. Mediale Selbstreferenzialität funktioniert so: Kurz hat etwas zu sagen, weil gesagt wird, dass er etwas zu sagen hat. Da das alle sagen, kann es nur stimmen, sonst täten sie es nicht. So ist der Außenminister zu dem mit Abstand beliebtesten Regierungsmitglied aufgestiegen.
Aber was hat er zu sagen? Sein neoliberales Credo entstammt ganz der schwarzen Dunkelkammer. Im Juni 2015 brillierte Kurz etwa mit dem Vorschlag, Sozialgelder für EU-Ausländer einzuschränken. Es dürfe keine Zuwanderung ins Sozialsystem geben. Da macht er den österreichischen David Cameron. Sieht man sich seine Vorschläge und Vorstellungen an, findet man nichts außer dem obligaten konservativen Sermon, gespickt mit dem Vokabular von „Leistung“ bis „Werte“. Da ist nichts Neues in der Leitung, nur der Schlauch ist frisch.
Der vorbestellte Schwiegersohn
Die Kommentare der Presse beginnen etwa so: „Der Anzug sitzt scharf geschnitten wie immer, die Haare sind akkurat nach hinten geföhnt, das Gesicht leuchtet wie frisch eingecremt.“ So sieht es das Wiener Politmagazin profil. Zweifellos, der Kerl ist und wird gut geschmiert, er spielt in der Promiliga, nicht nur in Österreich. Sogar im deutschen Fernsehen darf er als Legionär auftreten. Das postmoderne Charisma ist freilich eine kulturindustrielle Droge, sie wird nicht mehr vom politischen Exponenten erzeugt, sondern ihm verabreicht. Kurz hat kein Medienecho, er ist ein Medienecho. Der Mann hat viele Anhänger, man werfe nur einen Blick auf seinen Wikipedia-Eintrag, wo ein Fanclub eine Fanseite betreibt. Schon bei den Nationalratswahlen 2013 erzielte Kurz die meisten persönlichen Vorzugsstimmen. Er ist der schwarze Wunderwuzzi aus dem Alpenland. Die Volkspartei ist ganz glücklich mit ihm. So ist nicht einmal ausgeschlossen, dass er schon 2018 als Kanzlerkandidat ran muss, um das nächste Wahldebakel zu verhindern.
Sebastian Kurz wirkt wie das altkluge Kind, der vorbestellte Schwiegersohn. Konservativ, aber nicht zu konservativ; rechts, aber nicht zu rechts. Nicht stramm, sondern smart. Seine Souveränität ist jedenfalls durch die affirmative Berichterstattung massiv gestiegen. Das liegt primär an den wohlwollenden bis jubelnden Kritiken, die er in den vergangenen Monaten eingeheimst hat. Mittlerweile gilt „Wiens Wunderknabe“, wie ihn der Focus bezeichnet, in Österreich als die Person mit der größten politischen Begabung in diesem Jahrhundert. Was allerdings vor allem etwas über das Jahrhundert sagt.
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