Sebastian Kurz wirkt in jeder Rolle fesch. Besonders als Fürst aus der Walachei
Foto: Joe Klamar/AFP/Getty Images
In diesem Land setzt niemand mehr auf Kanzler Christian Kern. Fast alle sprechen vom Super-GAU, und es ist dem auch kaum zu widersprechen. Die Sache scheint gelaufen zu sein. Auf was soll die SPÖ noch hoffen? Auf einen Mitleidseffekt? Nun, nicht einmal der wird eintreten. Und auch wenn es gelingt, Sebastian Kurz und die ÖVP mit in den Sumpf zu ziehen, ist damit nichts gewonnen. Im wahrsten Sinne des Wortes haben der sozialdemokratische Kanzler und sein Team ihre Chancen verspielt.
Kern gilt als gescheitert. Der SPÖ droht am 15. Oktober das schlechteste Wahlergebnis der Zweiten Republik. Das wäre ein Desaster sondergleichen. Der Macher wäre am Ende, bevor er noch zu machen begonnen hat. Auch mit der sehr späten Forcierung programmatischer Inhalte lässt sich
8;sst sich das nicht mehr ändern. Zu erinnern ist auch daran, dass der SPÖ-Chef es selbst gewesen ist, der alles auf die Karte der Erscheinungskonkurrenz des smarten und eloquenten Managers gesetzt hat. Was er losgetreten hat, ist auf ihn zurückgefallen.Der fulminante Amtsantritt war also bloß ein Ereignis und kein Aufbruch. Bei nahezu allen Entscheidungen verhielt Kern sich zögerlich, war Getriebener nicht Akteur. Der Kanzlerbonus entglitt ihm in diesem Frühjahr innerhalb weniger Wochen. Der Regierungschef entpuppte sich als unentschlossener Zauderer. Zuerst cooler Manager, dann sozialer Gerechtigkeitskämpfer, einmal gegen CETA, dann dafür – einmal für eine Maschinensteuer, dann wieder ganz leise.Nicht einmal nach dem Koalitionsbruch durch Sebastian Kurz im Mai hat Kern die Volkspartei aus der Regierung geschmissen. Gelegentliche Ultimaten an den präpotenten Koalitionär ließ er stets verstreichen. Und in der Flüchtlingspolitik kam der SPÖ-Vorsitzende nie über eine Nachtrabpolitik hinaus: Kurz prescht vor, Kern wehrt ab, doch schließlich knickt er ein. Trittsicherheit oder gar Führung sieht anders aus. An der Silbersteinkante ereilte Kern sodann der frontale Crash. Die Affäre um den israelischen Politikberater Tal Silberstein, die einen Monat vor dem Wahltermin ins Rollen kam, wurde für die SPÖ zum Verhängnis par excellence. Freilich hatte Kern zuvor schon weder inhaltlich noch strategisch brilliert. Es gelang ihm nicht einmal zu blenden. Die Monotonie des Herausforderers triumphiert über die Kakofonie des Kanzlers. Während Kurz einen Kurs fährt, fährt Kern in den Konkurs. Es ist ein geradezu furioses Scheitern.Wer keine Strategie hat, muss zumindest eine PR-Strategie haben oder sich zukaufen. So hat sich in den vergangenen Jahren ein intransparentes System von Beratung, Intrige, Strippenzieherei, Verrat und vor allem auch: Verkauf und Einkauf von brisanten Infos breitgemacht. Da tummeln sich Wichtigtuer und Bluffer, Obskuranten und Maulwürfe, Spione und Doppelagenten, und auch gar nicht wenige Idioten. Was auffliegt, sind zumeist nur Details, die – wenn sie lediglich kriminalisiert werden – nur bewirken, dass es nach der ritualisierten Empörung lustig und munter wie ehedem weitergeht. Die politische Auseinandersetzung ist zu einer Unterabteilung der PR geworden. Politik, das ist das Leben zwischen dem Consulting-Sumpf und den Coaching-Blasen.Wir erleben in Österreich das Zurückdrängen der Parteiapparate, die Abrüstung des Funktionärskorps, dessen Ersetzung durch Coaches und Berater, PR-Fuzzis und Einflüsterer. Ihr Beschädigungseifer ist unersättlich. In Wahlzeiten übernehmen ausgesprochen gut bezahlte Leute das Ruder, besetzen die War Rooms und gestalten die Politik. Das kann aufgehen, aber ebenso schiefgehen. Manchmal übersteigen die nicht intendierten Effekte die intendierten. Der Topberater Silberstein, dessen Verhaftung in Israel die Krise der SPÖ so richtig zuspitzte, ist Campaigner der Sonderklasse. Jahrelang galt er als Garant sozialdemokratischer Wahlerfolge.Die War Rooms der SPÖ, die streckenweise unter Ausschluss der Parteispitzen agierten, sind zu Selbstbeschädigungsstätten geworden. Eigensinn und Illoyalität, Geldgier und Gerissenheit interagieren wie in schlechten Filmen. Keine Verschwörungstheorie reicht an diese Verschwörungspraxis heran. Bezahlte Krieger fungieren als Prätorianer der Partei. Niemand hatte sie unter Kontrolle.Land der VerschwörungspraxisUnter Kampagne versteht man heute kaum noch die Mobilisierung der Mitglieder und Sympathisanten für bestimmte Ziele, man versteht darunter PR-gestylte Inszenierungen in den medialen Supermärkten. Man zieht nicht selbst in den Kampf, sondern lässt ihn führen. Söldner der Kulturindustrie stehen am Krankenbett (nicht nur) der Sozialdemokratie, plustern sich auf und pumpen Partei wie Publikum mit Drogen voll. Zwischendurch ist man ganz high. Geht was daneben, ist es blöd gelaufen, dann wird der Magen ausgepumpt, die notwendige Darmspiegelung live übertragen und auf allen Sendern kommentiert. Statt träger Parteisekretäre sitzen bestbezahlte und schwer munitionierte PR-Burlis an den Schalthebeln und geben es sich kräftig. Wie Orks laufen sie durch die virtuellen Welten.In Wien tanzt die Skandalrepublik ihre Untergangspolka. Da sind die Netzwerker in ihrem Element, ihre Augen glänzen vor Durchtriebenheit und ihre Fingern zittern, wenn sie ans Werk schreiten. Wie semmeln wir wem was rein? Gib’s ihm! Der Typus des Funktionärs wurde durch den des Hasardeurs ersetzt. Die mittlerweile zusammengeschrumpften Apparatschiks waren meist loyal und diszipliniert, man konnte sich auf sie verlassen. Ihr Engagement war – so altbacken es erschien – integer, von kleinen Spritzen der Protektion abgesehen, aber die hielt sich meist in amikalem und erträglichem Rahmen.Die SPÖ vertraut ihren eigenen Genossen nicht mehr, doch ersetzt sie Lahmarschigkeit nicht durch Klarsicht oder Zurückgebliebenheit durch Perspektive, sondern durch den Wahnwitz der Gambler. Was denkt sich die Partei eigentlich, wenn man Leute besoldet, die schon vorab für ÖVP, die Neos, oder das Team Stronach unterwegs gewesen sind? Dass das besonders flexible Kerlchen sind? Wenn es schon scheißegal ist, wo eins herkommt, so muss es wohl auch scheißegal sein, ob eins zwischendurch plaudert, die Seiten wechselt oder sich eigenmächtig inszeniert. Bestechung und Geldannahme nicht ausgeschlossen. Doch gerade mit dieser Szene der Wanderwunderwerbegurus haben sich die Sozialdemokraten mehr eingelassen als alle anderen. Der Versuch, im Wahlkampf mit antisemitischen und rassistischen Parolen die ÖVP zu schädigen und dabei auf die Fährte der FPÖ zu locken, ist nicht überdrüber, er ist letztklassig. Die Rechnung wird nun präsentiert. Im Skandalranking 2017 führen die Kern-Leute die Austria-Shortlist an.Wir erleben eine Enteignung der Parteien durch die Auslieferung an PR-Abenteurer. Die Mischung aus verwaisten Parteizentralen und eingekauften Schlitzohren ist hochexplosiv. Wenn Kern jetzt meint, er habe von alledem nichts gewusst, was Silberstein und sein hiesiges Gefolge mit gezinkten Facebook-Seiten anstellten, dann ist das vielleicht glaubhaft, aber es spricht doch mehr gegen ihn als für ihn. Das Gewähren-Lassen dieser Kampagne war schlicht dumm. Der tiefe Fall in den asozialen Medien verdeutlicht, dass die Übertrickser im Umfeld der SPÖ gegen die primitiven Fallensteller der ÖVP eine klare Niederlage erlitten haben. Waterloo und Watergate reichen einander die Hand.Dass die Kern-SPÖ die Kurz-ÖVP heftig verunglimpfen wollte, steht außer Zweifel. Dass sie dabei ihrerseits von der ÖVP, die immer auffällig viel wusste, gelegt wurde, ist sehr wahrscheinlich. Aber was hilft es weiter? Der investigative Zauber stiftet oft mehr Verwirrung als Klärung. Zu analysieren wäre ein gesellschaftliches Symptom, anstatt Ereignisse zu kriminalisieren und sich mit gegenseitigen Klagen einzudecken. Leaken, liken oder linken, das führt nicht aus dem Sumpf, sondern erweitert seine Zone. Die Schlacht der Schmutzkübel erreicht so nur neue Höhepunkte. Die einmal entfachte Dynamik lässt sich kurzfristig sowieso nicht abstellen. Alle sind geladen und alle laden nach. Zwischen ÖVP und SPÖ brechen die Gedärme. Wir leben in der Epoche der Latrinenhaubitzen.Der semifinale CrashDie Politik übt sich zusehends im semifinalen Crash, wobei abermals niemand sagen kann, wie der aussieht oder ausgeht. Ständiges Kujonieren ist sein Kennzeichen. Dies alles aber den Politikern anzuhängen, wäre indes zu kurz gedacht. Die Absender haben viele Adressaten, die regelrecht danach gieren. So fällt dieser politische Kot, bereitwillig transportiert durch alle Kanäle der Kulturindustrie, auf fruchtbaren Boden. Da treibt man die Kandidaten gleich Gladiatoren in unzählige Duelle und beschwert sich danach, dass sie sich in der Arena als solche verhalten. Auf jeden Fall weiß niemand, wie diese Dynamik aufzuhalten respektive wie lange sie noch auszuhalten ist.Wenn Christian Kern in der kommenden Woche nicht abtritt, wird er sich auf der Oppositionsbank wiederfinden. Das ist zwar kaum die Rolle, die er anstrebt, aber eine andere wird nach dem 15. Oktober nicht mehr möglich sein. Indes will ein nicht unbeträchtlicher Teil der SPÖ (anders als in der SPD) unbedingt an der Regierung bleiben. Man sollte gerade in Österreich den Sog der Futtertröge keinesfalls unterschätzen.Im Windschatten all dieser Ereignisse könnte es neben dem prognostizierten Erfolg von Sebastian Kurz freilich ein noch böseres Erwachen geben. Wenn nämlich Heinz-Christian Strache kräftig zulegt. Die FPÖ erscheint – man glaubt es nicht, und sie ist es auch nicht – als die saubere Kraft.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.