Machen wir uns nichts vor: An Wahlen interessiert heute weniger das inhaltliche Angebot als das formale Aufgebot. Mehrwöchige Aufführungen sind die Folge. Entscheidend für das Wahlverhalten vieler sind denn auch in Österreich wie anderswo nicht mehr profane Interessen, sondern unmittelbare Stimmungen, die oft von beiläufigen Nuancen abhängen. Zum Beispiel, dass der neue SPÖ-Chef Werner Faymann um einiges hübscher ist als sein Vorgänger Alfred Gusenbauer, der noch dazu vor Studiokameras immer zu schwitzen beginnt.
Nicht, was man sagt, hat Vorrang, sondern wie man es sagt - nicht, was man vorhat, sondern wie es rüberkommt. Ansage geht vor Aussage. Natürlich soll hier nicht ein hehrer politischer Inhalt gegen eine hinterhältige Form rehabilitiert werden, doch typisch war auch für diesen Wahlkampf in Österreich das Versickern des Inhalts in einer bestimmten Form. Form und Inhalt tauschten die Plätze, denn das Verhältnis hat sich umgekehrt. Nicht Politik macht Reklame, sondern Reklame macht Politik. Die Autonomie von Politik gegenüber der Kulturindustrie ist kaum noch gegeben.
Mediale Einwände äußern sich immer weniger an Programmatiken als an den Verkaufsleistungen der Politiker. Werbung wird daher nicht prinzipiell kritisiert, sondern nur taktisch bekrittelt. Anmache ist genauso sakrosankt wie die Behauptung, das Publikum sei eigentlich mündig. Wahlen werden so zu einem kollektiven Anschlag auf den menschlichen Geist.
Sondermüll für die Köpfe
Zu konstatieren ist auch eine Rasanz der Politik. Nicht nur, dass schneller geschossen als gedacht wird - es wird auch rascher vergessen als angenommen. Auch wenn sich substanziell - sprich: inhaltlich - wenig tut, reell herrscht höchste Betriebsamkeit. Die Dynamik des politischen Spektakels ist weder von seinen Akteuren noch vom Publikum her reflektierbar. Auch immer weniger beherrschbar. Veränderungen laufen schneller, als das Bewusstsein folgen kann. Es kommt nicht mehr mit, es ist einfach zu langsam.
Es gibt eine Konkurrenz der medialen Reize, die in ihrem Ensemble das Wahlergebnis dominieren, obgleich gerade diese Momente in ein paar Wochen schon wieder verflogen, weil ersetzt worden sind. Wahlverhalten orientiert sich immer mehr an Nichtigkeiten. Die obligaten Fernsehduelle etwa gleichen einem Jahrmarkt für die Phrasen der Verbalschläger. Dass Strache (FPÖ) nicht nur Faymann (SPÖ) ankübelt, sondern der auch kräftig zurückpöbelt, mögen jene für einen Fortschritt halten, die verbale Raufereien als Königsdisziplin der politischen Debatte betrachten. Im Prinzip zeigt es nur an, wie sehr sich der Populismus aller politischer Felder bemächtigt. Im ORF sitzen dann ein Politikwissenschafter und eine Motivforscherin, die dem Publikum erklären, wie das Match ausgegangen ist.
Parteien sind Unternehmen mit dem Ziel, Wählerstimmen zu maximieren. Dazu ist jedes Mittel recht. Die dümmsten sind dabei oft die besten. Wahlkämpfe sind "Zeiten der Volksverdummung - und ich weiß, wovon ich spreche", sagt der ehemalige Wahlkampfmanager und Landesrat der steirischen Volkspartei, Gerhard Hirschmann. Die einstige Zukunftshoffnung der ÖVP ist inzwischen zum Zyniker geworden, was aber nicht heißt, dass er unrecht hat. Freilich sollte man sich dann doch fragen, wie die Mentalitäten einer Gesellschaft beschaffen sind, wo solcherlei den Ausschlag gibt.
Zweifellos, der Wahlkampf gleicht einer Hochzeit der Plattitüden. Infotainment ist nichts anderes als Sondermüll für die Köpfe. Wir sind Gefangene in den Irrgärten der Public Relations. Dass Wähler vor Wahlen für dumm verkauft werden, ist so. Nur, werden sie für dümmer verkauft, als sie sind? Man wird das bescheidene Gefühl nicht los, dass hier welche genau das serviert bekommen, was sie brauchen, auch wenn es ihnen nachher wiederum nicht geschmeckt haben will.
Versprechen muss man daher geschickt benennen und intelligent brechen, nicht so wie der bisherige SPÖ-Kanzler Gusenbauer, der seine Umfaller nicht kaschieren konnte und sich daher durch seine Kompromisse kompromittierte. Die Leute wollen getäuscht, aber nicht offen belogen werden. Da gilt in der Politik dasselbe wie in der Werbung: Eine Lüge ist nur schlecht, wenn sie schlecht ist. Kluge Politik versteht das, was wiederum einiges über die Politik insgesamt aussagt.
Die Politiker haben diesbezüglich durchaus ihre Fähigkeiten entwickelt, sie intervenieren und intrigieren, taktieren und tricksen, fast alle halten einiges aus, nicht wenige sind schlau, manche sogar schlagfertig. Der aktuelle Typus des Spitzenpolitikers verfügt schon über einen dicken Panzer, um Attacken und Übergriffe zu überstehen. Im Gegensatz zu den Business-Kapitänen sind die Politiker stets der Öffentlichkeit ausgesetzt. Die Gefahr, zur Schnecke gemacht zu werden, ist omnipräsent, und den Opponenten in Politik und Medien geht es um nichts anderes als darum.
Ein Problem haben die meisten Politiker indes nicht (mehr), nämlich dass sie zu intelligent sein könnten. Was übrigens keine Frage der ursprünglichen Disposition ist, sondern eine der permanenten Präsentation. Eigentlich wissen viele Frontkämpfer vom Elend ihres Treibens, aber verdrängen es erfolgreich. Politiker müssen sich so lange blöd stellen, bis sie wirklich so blöd sind, wie sie sich stellen. Politik idiotifiziert.
Wen habe ich gewählt?
Niemand kann sich seiner Wähler sicher sein. Diese sind inzwischen zu einer leicht verschiebbaren Masse geworden, die aber jedes Mal aufs Neue gewonnen werden muss. Auch das quantitative Verhältnis von Stammwählern, Wechselwählern und Nichtwählern hat sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur in Österreich drastisch verändert. Die Wahlentscheidung ist eine flexible, manchmal gar eine rein augenblickliche. Denken wir nur an die Zunahme der Last-Minute-Wähler, die sich erst direkt in der Wahlkabine entscheiden.
Stammwähler sind eine aussterbende Spezies. War früher das Wahlverhalten großteils von Interessen geprägt, fühlte man sich einer Weltanschauung verpflichtet, gar einer Klasse oder einem Stand zugehörig, ist das heute nur noch in Ausnahmefällen so. Als Problem kommt freilich dazu, dass gerade diese schrumpfenden Bastionen für die Mobilisierung noch immer wichtig sind, weniger wegen der Stimmen, die sie bringen, vielmehr durch die imposante Selbstversicherung, die sie auf und durch Parteimeetings erwecken. Die Motivation der eigenen Kerntruppen ist nach wie vor nötig, um Wahlkämpfe durchzustehen. Die aktuelle Mobilisierung der SPÖ ist eher eine Reaktion auf die Unzumutbarkeiten des bisherigen Koalitionärs ÖVP als eigener Anstrengung geschuldet.
Aufgabe der Wahlkampagne ist es, Wähler richtig zu terminieren. Eine heikle Angelegenheit, darf man doch nicht zu früh und noch weniger zu spät kommen. Die frischesten Eindrücke sind die wichtigsten, aber sie brauchen auch eine gewisse Zeit, um sich setzen zu können. Auch deshalb werden Wahlen zusehends von Unentschlossenen in Last-Minute-Acts entschieden - von Wählern, die sich beim Verlassen des Wahllokals wundern, wen sie gewählt haben. "Wen willst du eigentlich wählen?", wird immer mehr zu einer geflügelten Frage, auf die man keine seriöse Antwort erwartet. Auch ich kann nicht mehr sagen, wen ich warum zuletzt gewählt habe, eher noch warum ich jemanden nicht gewählt habe. Dies ist keine Verdrängung, es ist einfach zu unbequem, die Erinnerung damit zu belasten.
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