Nicht er sei ihr untreu geworden, sagt Christoph Butterwegge, sondern sie ihm. Der Kölner Politikwissenschaftler spricht auf der Bundespressekonferenz der Linkspartei zur Agenda 2010 und natürlich meint er: die SPD. Aus Protest ist Butterwegge, wie so viele, aus der Partei ausgetreten. Aus Protest gegen Schröders Agenda 2010.
Die jährt sich gerade zum zehnten Mal und während sich der Altkanzler von seinen Genossen feiern lässt, machen die Genossen hier lange Gesichter. Dabei würde es die Linke ohne die Arbeitsmarktreformen der rot-grünen Regierung wohl gar nicht geben. Hunderttausende demonstrierten damals gegen Sozialabbau und Zumutungen durch Hartz IV. Für viele wurde die Linke zur einzigen wählbaren Alternative.
Es geht also um ihr Kernthema. „Die soziale Frage ist auch bei dieser Bundestagswahl die Frage“, sagt Gregor Gysi, mit Betonung auf „die“. Zehn Milliarden Euro Lohnsubventionen für Aufstocker seien nicht hinnehmbar, so der Fraktionsvorsitzende. Die Menschen müssten von dem Lohn für ihre Arbeit leben können. „Gleichzeitig steigen die Managergehälter ins Unermessliche.“ Das ist Gysi wie man ihn kennt, aber irgendwie klingt dieser Satz nicht mehr so, als könne nur er ihn gesagt haben.
Angriff auf Gerechtigkeit
Auch die beiden Linkspartei-Vorsitzenden sprechen. Katja Kipping zieht Bilanz: „Es gibt keinen Reformstau, sondern einen Gerechtigkeitsstau.“ Bernd Riexinger fügt hinzu: „Der Kern der Agenda 2010 war immer der Angriff auf die Löhne.“ Um deren Steigerung müsse es gehen. Dafür schlägt er ein gesetzliches „Frühwarnsystem“ vor: Wenn die Reallöhne sinken, solle die Politik Gegenmaßnahmen einleiten. Worin die bestehen könnten, lässt Riexinger offen.
Der Jahrestag von Schröders Agenda-Rede hat eine Kontroverse entfacht: Ist es jenen Reformen zu verdanken, dass die Arbeitslosigkeit gesunken ist und Deutschland die Finanzkrise relativ gut überstanden hat? Oder haben sie zur Spaltung der Gesellschaft und der Entstehung eines Niedriglohnsektors beigetragen? Die SPD muss dieser Tage antworten: Sowohl als auch. Die Linkspartei dagegen ist sich einig: Die Reformen waren ein Angriff auf die Gerechtigkeit in Deutschland.
Diese These vertritt auch der Politologe Christoph Butterwegge, den die Linke als Sachverständigen eingeladen hat: „Aus dem sozialen Versicherungsstaat wurde ein Almosen- und Suppenküchenstaat.“ Merkel exportiere die Agenda 2010 mittlerweile in andere Länder, was verheerend sei. Die „Polarisierung und Prekarisierung“ der Gesellschaft habe gezeigt: „Was Schröder Modernisierung nannte, war ein Rückfall in die Vormoderne.“
Klare Kritik, unklare Vorschläge
Gregor Gysi nickt dazu. Aber neu ist dieser Befund der Linken nicht. Welche Vorschläge kann die Partei links einer uneinigen SPD heute machen? „Wir brauchen einen gesetzlichen Mindestlohn, aber auch einen Höchstlohn für Manager“, sagt Gysi. Auch die Mitte der Gesellschaft müsste steuerlich entlastet werden, der bestehende „Steuerbauch“ sei ungerecht. Nun ja, das sagt mittlerweile sogar die FDP.
Genau das ist das Problem. Das Profil der Linken ist schmal geworden. Auch um eine mögliche Regierungsbeteiligung steht es schlecht. Ob man denn nach zehn Jahren Hartz IV an Rot-Rot-Grün glaube, fragt ein Journalist. Katja Kipping sagt: „Zuerst muss die SPD ihre Selbstwidersprüche klären.“ Gregor Gysi unterbricht sie: Es gehe hier gar nicht um die Agenda, sondern die SPD müsse sozialdemokratischer werden. „Das wäre schon mal was.“
Erst die, dann wir – das ist auch bei ihrem ureigenen Thema die Argumentation der Linkspartei. Dabei hat sich beim Thema soziale Gerechtigkeit – übrigens auch eine Wahlkampflosung der SPD – nichts verbessert. Im Gegenteil. Acht Millionen Menschen in Deutschland arbeiten für Niedriglöhne, die Hälfte von ihnen ist auf Arbeitslosengeld II angewiesen. Der Wohlstand ist so ungleich verteilt wie nie zuvor.
Kipping und Riexinger tun sich schwer damit, ihre Alternativen den versammelten Journalisten nahe zu bringen. Ein wenig betreten schauen sie zu Gysi. Der spricht gern, wie eh und je. Was würde die Linke ohne ihn machen?
Als Christoph Butterwegge erzählt, er habe die SPD damals aus Protest verlassen, da freuen sich die drei. Aber in die Linke ist er bisher nicht eingetreten.
Kommentare 8
... das wird er auch nicht tun.
Man muß ja auch nicht aus der einen Partei raus und in die andere rein.
Das machen Politiker so, Butterwegge ist Wissenschaftler.
Die Ziele werden mit dem Alter bescheidener, wie man bei Gysi sehen kann. Und einig sind sich die Mitglieder der Partei Die Linke untereinander nicht so ganz, wie bei allen anderen Parteien, Vereinen und Gruppen auch.
Die Mitglieder der Partei Die Linke haben bei ihrer mühseligen Arbeit gegen die Windmühlenflügel des Besitzbürgertums [ca. 100 Milliardäre, ca. 800.000 Vermögens(multi-)millionäre und ca. 17.000 Einkommensmillionäre] einerseits ordentlich Federn gelassen und andererseits auch erreicht, dass die Jubler der Agenda 2010 nicht die vollständige Deutungshoheit erlangten. Wer aber, wie die Besitzbürgerlichen und ihre politischen Helfershelfer von CDU/CSU-FDP-SPD-Grüne, am längeren Hebel sitzt, läßt die anderen einfach am ausgestreckten Arm verhungern. Und er zermürbt sie. Oder macht beides.
Die Partei Die Linke ist von ihrem Kern her eine sozialdemokratische Partei, wie es die SPD vor dem Godesberger Programm war. Daher ist einfach nicht zu erwarten, dass sie ideologisch einheitlich und straff organisiert den anderen entgegentreten. Schließlich wollen sie ja auch immer noch in Koalitionen mit der SPD und den Grünen.
Und die schnöde Realität ist auch ernüchternd. Denn trotz aller vernichtenden Kritik an der Agenda 2010 müssen sie erkennen, dass ein großer Teil der Bürger sich daran gewöhnt hat und sich in die neuen Verhältnisse fügt und einrichtet. Letzteres ist nicht verwunderlich, denn wir haben keine in der Gesellschaft weitverbreiteten sowie tief verwurzelten demokratischen Traditionen und den Leuten geht es einigermaßen passabel, was sie mit gutgehen verwechseln, weil es ihnen auch so eingeredet wird. Und die Propaganda für die Agenda 2010 und 2020 ff... trommelt unaufhörlich auf die Menschen ein.
Nimmt man mal alles zusammen, also den seit Adenauer in der Gesellschaft verbreiteten Antikommunismus, den durch die SED über Jahrzehnte bei sehr vielen Menschen erzeugten und fortwirkenden Hass, die Phalanx des Besitzbürgertums und ihrer politischen Helfershelfer aus CDU/CSU-FDP-SPD-Grüne sowie die ablehnende und abwehrende Haltung der SPD-dominierten Gewerkschaften gegenüber der Partei Die Linke, dann schlägt sich dieses bunt zusammengewürfelte Häuflein recht ordentlich und tapfer.
Ihnen angesichts all dessen vorzuwerfen, dass sie ohne reale Machtbasis und ohne Massenbewegung nicht mehr erreichen oder angeblich keine Vorschläge machen würden, ist einfach billig und dient auch nur dem Zweck, sie herunterzumachen.
Vorschläge macht die Partei Die Linke ja genug, sie werden nur nicht wahrgenommen, sie werden verschwiegen, sie werden gedreht, verdreht und verzerrt. Letzteres ist Aufgabe der tatsächlich im Sinne der Mächtigen arbeitenden Intellektuellen aber auch die selbstgestellte Aufgabe jener, die sich dazu berufen fühlen.
http://www.nachdenkseiten.de/?p=13260
Der nachfolgende Artikel beschreibt die gegenwärtige Lage sehr treffend und sollte vor allem von allen Parteimitgliedern aufmerksam gelesen werden:
http://www.zeit.de/2013/10/DOS-Konsum
Alternative Handlungskonzepte:
http://www.integrale-politik.ch/images/stories/documents/ip-informieren/kurzfassungen/kurzfassung-integrale-wirtschaft.pdf
Angesichts der erwähnten Umstände hat sich die Linkspartei tatsächlich "gut geschlagen". Aber es ist krititisch festzuhalten, dass sie - und zwar nicht nur wegen äußerer Widerstände - ihr Kernthema nur schwer kommunizieren kann. Das war auf der PK zu beobachten. Auch wenn historischer Balast und Gegenöffentlichkeit groß sind, kann sich die Linkspartei nicht immer darauf berufen. Sie hindert sich eben auch selbst daran, in die Offensive zu kommen. Die Realität von wachsender Ungleichheit und Armut wird im Artikel angesprochen. Es muss jetzt um das Wahlprogramm der Partei gehen.
Links zu sein kann nie heißen, auf Selbstkritik zu verzichten. Das hat kaum einer so deutlich gesagt wie Noam Chomsky.
Die Schafe heil, und die Wölfe satt?!
Sogar bekannte Ökonomen, die menschlich denken nicht wollen, werden der Agenda Diphiramben singen und das mit „Göbbels-Zahlen“ der Agentur für Arbeit untermauern! Nun wofür war das „Vernichtungsprojekt“? Damit für deutsche Unternehmen interessanter wird wegen gnadenlos billiger und „flexibler“ Arbeitskraft im Land zu bleiben?!
Die Wölfe dürfen per Gesetz „Innereien und Hirn“ von Schafen essen, ohne sie körperlich zu vernichten! Clever! Genial! Dafür bräuchte die SPD gar nicht das „Vernichtungsprojekt“! Mit demselben Erfolg, aber mit mehr Ehrlichkeit, könnte die SPD KZ-Verwaltungen anstatt Job Centern und Leihfirmen bilden!
Deswegen scheint es mir, dass die wahre Väter der „Reformen“ gar nicht G. Schröder und P. Hartz heißen, sondern Adolf Hitler und Heinrich Himmler sind! Die NSDAP und Deutschland wurden für Holocaust bestraft! Lebenslänglich! Die SPD - für Demütigung und Entwürdigung eigenen Volkes! Fast Genocide! Der Vergleich ist völlig angebracht! Schließlich war die NSDAP auch „Arbeiterpartei“!
@FRANZ VIOHL14.03.2013 | 11:29
Nun, auch in der Partei Die Linke sind die äußeren Widerstände gegen sie nicht wirklich verstanden worden. Anders ist es auch nicht zu erklären, dass Gesine Lötzsch aber auch andere so etwas Törrichtes von sich gaben.
Der von rechten SPDlern mitgetragene und geförderte Adenauersche Antikommunismus zerstörte die bürgerliche Existenz zehntausender Menschen und bedrohte und schüchterte noch weitaus mehr ein.
http://de.wikipedia.org/wiki/Antikommunismus#Bundesrepublik_Deutschland
Gleichzeitig flüchteten ab 1949 bis 1989 viele Menschen aus der DDR. Mit ihnen hatte und hat man bis heute erbitterte und unerbittliche Gegner jeglicher sozialistscher oder wirklich sozialdemokratischer Positionen. Den Hass dieser Menschen hatte sich die SED redlich verdient. Zuvor und während dieser Jahre kamen noch jede Menge Flüchtlinge und Übersiedler in die Bundesrepublik. Sicher auch keine Freunde sozialistischer Positionen.
http://www.tagesspiegel.de/kultur/integration-das-land-von-hildegard-und-ahmet/1930014.html
Zeitgleich vertrieben, schlossen aus und bekämpften die rechten SPDler marxistische und sozialistische Denker in der SPD sowie auch aus den Gewerkschaften und disziplinierten die in der SPD verbleibenden Sozialdemokraten. Bis heute.
1972 schuf die SPD dann den Radikalenerlass und vollführte damit ein ähnliches Programm wie Adenauer mit ähnlichen Folgen für die davon Betroffenen und für die zivile Gesellschaft.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wurde seit 1982 von seiner Funktion her von innnen und außen systematisch ruiniert. Gut sieht man das an den nicht mehr festangestellten und deshalb nicht mehr dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk verpflichteten und per Honorarvertrag arbeitenden Talkschaumoderatoren, die selbst Unternehmer mit eigenen Fernsehproduktionsunternehmen und teilweise recht wohlhabend sind (z.B. Christiansen, Jauch, Illner, Will und Plasberg).
Dazu kommen dann noch die sogenannten bürgerlichen Medien, über die Paul Sethe 1965 schrieb, dass Meinungsfreiheit die Freiheit von zweihundert reichen Leuten sei, ihre Meinung zu verbreiten, und zwar durch Journalisten, die diese Meinung teilen. Frei nach dem Motto: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Und das Gegenprogramm der Bürgerlichen reicht von der ZEIT bis zu den bunten Blättern. Von scheinbar aufgeklärten Positionen bis hin zum weißen Ritter und adligen Hoffnungsträgern werden da alle Register gezogen und Denkmuster geprägt. Die Historiker der Annales-Schule schrieben über die sich manchmal jahrhunderte haltenden Mentalitäten bei den Menschen. Auch daraus muss man seine Schlüsse ziehen.
Wer in der Partei Die Linke dann auch noch die Muße hat, um über sich selbst und über die Ziele der Partei zu denken, muss dies dann in geeigneter Form seinen Mitstreitern mitteilen und mit ihnen besprechen, bevor er an die Öffentlichkeit geht. Kein allzu leichtes Unterfangen. Selbstkritik kann man auch nicht anordnen oder einfordern. Das ist so ähnlich wie mit der Sei spotanParadoxie.
http://de.wikipedia.org/wiki/Paradoxon#Psychologische_Paradoxien
Das Wahlprogramm der Partei Die Linke ist ja in Arbeit. Die von anderen geschaffenen schlimmen Verhältnisse sind ja zur Genüge von anderen beschrieben worden. Die Partei Die Linke sagt ja auch dazu etwas. Manchmal vielleicht nicht so gut, wie man sich das wünscht. Wer es besser kann, darf ruhig weitersagen, wie genau man so etwas machen soll.
AQUA-JEDI: Nicht einmal das Schaf wählt seinen eigenen Schlachter. Die Arbeitnehmer in der westdeutschen Gesellschaft sollen die Linken wählen? Die Sympathisanten und Mitläufer, Täter und Verbrecher der SED, des MfS und damit dem Terrorstaat der sich DDR nannte? In den neuen Bundesländern sind es hauptsächlich die alten SED Kader, die jungen Wähler, welche einer Traumwelt verklären die es so nie gab und die Enttäuschten der Wendezeit. Das ist die Klientel der Linken. Wir brauchen keine Linkspartei aus dem Mutterschoß der SED, sondern eine neue, wirkliche SPD! Ohne die Steinmänner, ohne die Agenda 10 Befürworter und ohne alle diese SPD Akademiker wie Juristen und Pädagogen! Wer Gysi wählt, wählt die SED! Dieser Wähler bekennt sich zum Terrorstaat DDR und erfindet es in Ordnung, dass sich in den Reihen der Linkspartei viele frühere MfS Angehörige, Grenzoffiziere und IMs, und dazu als Sahneklecks, die alten SED Kader befinden. Wer die Zuchthäuser der SED besuchen durfte, verhört wurde von ideologisch verbohrten MfS Offizieren, die seelische Folter dieser Verbrecher erlebte, der wählt niemals deren Partei!!! Gysi ist und bleibt einer von ihnen, ein Kumpan dieses Systems!