Ursula von der Leyen ist an diesem Mittwoch bester Laune. Als hätte es die heftige Kritik von Opposition und Wohlfahrtsverbänden nicht gegeben, hält sie den neuen Armuts- und Reichtumsbericht während der Bundespressekonferenz stolz in die Kameras. Das Eingreifen von Wirtschaftsminister Rösler? „Ein völlig normaler Vorgang.“ Die Verspätung von sechs Monaten? „Es war gut, die aktuellen Zahlen abzuwarten.“ Und die ungleiche Vermögensverteilung? „Wird klar formuliert.“
Natürlich kann die Bundesarbeitsministerin nicht über das hinwegsehen, was schon vor der Vorstellung des Armutsberichts bekannt war. Auch die endgültige Fassung enthält mehrere kritische Passagen nicht, andere wurden stark abgeschwächt. „Die Debatte dreht sich nur um ein paar Zitate“, sagt von der Leyen. Jetzt müsse es mal um den Inhalt gehen.
Aber um den geht es seit langem. Kritiker werfen der Bundesregierung „Schönfärberei“ vor. War in der ursprünglichen Version noch von einer größeren Kluft zwischen Arm und Reich die Rede, heißt es nun, die Einkommensspreizung habe „nicht weiter zugenommen“. Die Aussage „2010 arbeiteten in Deutschland vier Millionen Menschen für einen Bruttostundenlohn von unter sieben Euro“ wurde durch eine Grafik ersetzt. Die Warnung vor der „Gefährdung des sozialen Zusammenhalts“ fehlt ganz. Es geht um mehr als paar Zitate.
Laut Bericht bleibt das Armutsrisiko aber „nahezu unverändert“, 14 bis 16 Prozent der Bevölkerung sind von Armut bedroht. Aussagen zur Vermögensentwicklung muss man lange suchen, schließlich stößt man auf Sätze wie: „Hinter diesen Durchschnittswerten steht eine sehr ungleiche Verteilung der Privatvermögen.“ Die ursprüngliche Formulierung war schärfer gewesen – und es gab konkrete Zahlen.
Unisono-Kritik der Wohlfahrtsverbände
Von der Leyen wirkt ungerührt. Wie sie sich die Unisono-Kritik der Wohlfahrtsverbände erkläre, will ein Reporter wissen. Sie kurz: „Wir haben eine Viertel Million Kinder weniger in Hartz IV." Trotzdem gebe es immer noch viele Betroffene, räumt sie ein. Sie habe Verständnis für diejenigen, „die bemängeln, dass zu wenig getan wird.“ Doch die Ministerin sieht sich auf dem richtigen Weg.
Damit das klar wird, gibt es zum 548 Seiten starken Armutsbericht ein paar Schaubilder dazu. Auf einer Karte ist der europaweite Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit zu sehen, die einzige Ausnahme ist Deutschland. Die Quote der Erwerbslosen unter 25 ist um 20 Prozent zurückgegangen. „Ein absoluter Erfolg“, sagt von der Leyen. Überhaupt habe sich der Arbeitsmarkt sehr positiv entwickelt. Die Beschäftigung sei auf einem Höchststand. Der Erwerbstätigkeit von Frauen habe das Armutsrisiko von Familien gesenkt.
Die atypische Beschäftigung steigt
Klingt nach rosigen Zeiten für eine Arbeitsministerin. Aber die Zahlen vom Arbeitsmarkt sagen nur die halbe Wahrheit. Denn die „atypische Beschäftigung“ hat zugenommen. 2011 arbeiteten insgesamt über elf Millionen Menschen entweder befristet, geringfügig oder in Teilzeit. Und ihnen reicht oft das Geld zum Leben nicht: Im Januar waren unter den 4,4 Millionen Beziehern von Arbeitslosengeld II nur rund zwei Millionen Erwerbslose. Der Wirtschaftssoziologe Klaus Dörre schrieb jüngst, die Bundesregierung reduziere die Arbeitslosigkeit einfach, indem sie „atypische und prekäre Beschäftigung fördert.“
Und wie steht es um die Ungleichverteilung der Privatvermögen? Von der Leyen sagt lapidar, die letzten verfügbaren Daten seien von 2008. Deshalb könne man hier keine neuen Schlüsse ziehen. Bei den übrigen Zahlen gab es dieses Problem scheinbar nicht.
Die Arbeitsministerin kommt dann doch etwas durcheinander. Man müsse etwas gegen die „Teilzeitfalle“ unternehmen, fordert sie. Seltsam, kurz zuvor hatte sie bei dem Thema gelächelt: „Teilzeit kann auch sehr komfortabel sein.“
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