Er steht allein auf dem Auto, tanzt und schwenkt eine Fahne. Auch unten, neben der Weltzeituhr, tanzen sie, lachen und umarmen sich. „Get up, stand up“ ertönt es am Alexanderplatz. Es ist der Willkommensgruß der protestierenden Berliner Flüchtlinge an ihre Mitstreiter.
Mehrere Kleinbusse fahren auf den Platz, die Tanzenden laufen ihnen entgegen. „Welcome home, freedom fighters“ steht auf einem Plakat. Der nächste Bob Marley-Song beginnt. Gefeiert wird der Einlauf der „Revolution Bus Tour“: Drei Wochen lang reisten Flüchtlinge durch Deutschland, um Asylbewerber in Heimen zu besuchen und sich über den Protest auszutauschen. 3000 Kilometer legten die Protestierenden auf 22 Stationen zwischen Rostock und Hamburg zurück.
Der Protest geht weiter
„Das ist nicht unser letzter Stopp und auch nicht unsere letzte Demonstration“, sagt einer der Geflüchteten auf der Kundgebung. Die Gesichter sind jetzt nicht mehr freudig, sondern ernst, manche traurig. Und entschlossen. „Wir setzen unseren Widerstand fort“, sagt eine junge Frau afrikanischer Abstammung, „bis die Lagerunterbringung und die Residenzpflicht abgeschafft sind.“ Die Redner sprechen auf Englisch, ein Mann übersetzt ins Türkische. Aber zwei Wörter sagen sie nur auf Deutsch: „Lager“ und „Residenzpflicht“.
Seit Anfang Oktober protestieren am Berliner Oranienplatz mehrere Dutzend Flüchtlinge gegen die Abschiebepraxis, die Unterbringung in Heimen und die Residenzpflicht. Letztere besagt, dass Asylbewerber ein von der Behörde festgelegtes Gebiet (meist der Landkreis) nicht verlassen dürfen. Dagegen haben die Flüchtlinge mit ihrer Deutschlandtour nun bewusst verstoßen. „Wir haben unsere Angst besiegt“, sagt die junge Frau, die auch im Protestcamp am Oranienplatz wohnt.
Nur jeder Sechste erhält Bleiberecht
In den Heimen habe man sich ein Bild von den „menschenunwürdigen Lebensbedingungen“ gemacht, berichten die Teilnehmer der Tour. Die letzte Station vor dem Alexanderplatz war ein Asylbewerberheim in der Spandauer Motardstraße. Das ist seit Jahren überfüllt, aber wegen mangelnder Kapazitäten in Berlin noch immer nicht geschlossen worden. An diesen Zuständen änderte auch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Juli nichts. Die Richter hatten lediglich entschieden, dass die Sozialleistungen für Asylsuchende erhöht werden müssen. Und die Statistik selbst ist ein Grund, um den Protest fortzusetzen: Laut dem Bundesamt für Migration erhielten 2012 nur 14 Prozent der Asylsuchenden ein Bleiberecht.
„Ist es ein Verbrechen, Flüchtling zu sein“, fragt einer der Protestierenden. „Nein“, rufen die anderen laut. Aber auch nach sechs Monaten Protest bleibt das ein Wunsch. Auf ihrer Tour stellte sich die Polizei den Flüchtlingen vielerorts in den Weg. In Nördlingen und Leipzig verwehrten ihnen die Beamten den Zutritt zu den Unterkünften, in Köln und München gab es Festnahmen und Verletzte.
Der zentrale Ort des Protests wird auch weiterhin Berlin sein. „Am Oranienplatz fühlen wir uns frei“, sagt einer der Flüchtlinge. Die Freiheit haben sie sich genommen.
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