Populismus ist nicht einfach. Gerade in der Anfangsphase ihres Feldzuges weht Populisten der kalte Wind aus den Deutungsetagen der Eliten entgegen. Populistische Anführer müssen daher durchaus robuste Typen sein. Ein Stück Sendungsbewusstsein, der Glaube an die besondere Mission verleiht ihnen Kraft und Dynamik. Und man benötigt eine ordentliche Portion Chuzpe. Mehr noch: Man muss innerlich bereit sein, den eingeschlagenen Weg immer weiter zu gehen, die Tabubrüche und Regelverletzungen, welche dem Populismus eigen sind, zu steigern, ja zu radikalisieren.
An alledem dürfte es den drei „Bubis“ an der Spitze der FDP, der Boygroup aus Philipp Rösler, Daniel Bahr und Christian Lindner fehlen. Alle drei wirken wie wohlerzogene, von Kindheit an zur Höflichkeit angehaltene Referendare, nicht wie Volkstribunen, die Emotionen wittern, Empörung kalt und zielstrebig zu schüren vermögen. Die FDP hat in den letzten Jahren immer nur mit den populistischen Streichhölzern gekokelt, nie aber einen wirklichen Brand zu legen versucht. Jürgen Möllemann war die Ausnahme, den die Partei infolgedessen auch aussortierte. Guido Westerwelle und jetzt Rösler haben ein wenig versuchsweise auf der populistischen Klaviatur gespielt, haben wie alle Populisten seit dem 19. Jahrhundert gegen „Denkverbote“ gewettert, sich als Sprecher der „schweigenden Mehrheit“ in Szene gebracht, die sich den „Ritualen der politischen Korrektheit“ nicht zu unterwerfen würden.
Oft wird gesagt, dass Westerwelle rundum gescheitert sei, als er im Februar 2010 mit dieser Attitüde die „spätrömische Dekadenz“ geißelte, um den Tiefflug seiner Partei aufzuhalten. Ganz richtig ist das nicht. In den zwei Wochen nach seinem Vorstoß rückte die FDP wieder nahe an die zehn Prozent Grenze heran, wie die Demoskopie-Institute ermittelten. Nur: Als Außenminister konnte er die innere Konsequenz seiner politischen Strategie nicht fortführen. Einen gedrosselten Populismus jedoch gibt es nicht, jedenfalls nicht erfolgreich.
Skrupel und Ängstlichkeiten
Das aber hatte die FDP stets am liebsten: ein Populismuschen, das es nicht übertreibt. Schließlich ordnen sich die Freidemokraten den Führungskräften der deutschen Gesellschaft zu, denen es an guten Manieren und berechenbare Rationalität nicht mangelt. Dagegen möchte man nicht „gewöhnlich“, gar plebejisch sein. Der Schweißgeruch des „gemeinen Mannes“ ist nichts für die Deodorantschicht der Douglas-Liberalen. So möchte man, von Fall zu Fall und wenn es der Partei mal wieder besonders schlecht geht, dem Volk aufs Maul schauen, aber ihm doch zu nahe nicht kommen. Veritable Populisten mögen im tiefsten Inneren ihr Volk ebenfalls verachten, da sie es ja für leicht verführbar halten. Aber genuine Populisten lieben diesen Moment, das Bad in der Menge, das Gekreische ihrer Anhänger, die enthemmten Gefühlsausbrüche der Masse.
Die Freien Demokraten, wie sie nun mal sind, fehlt dazu jeder Mumm. Am Ende obsiegen bei ihnen doch die Skrupel und Ängstlichkeiten, durch den Appel au peuple die Geister nicht mehr einfangen zu können, die sie von der Leine lassen müssten. So war es auch in den Tagen vor den Wahlen in Berlin. Der Parteivorsitzende sondierte ein wenig, was aus dem realen Verdruss großer Teile der deutschen Bevölkerung über das gänzlich undurchschaubare EU-Management zu holen ist, setzte sich aber sogleich von dem unabdingbar nächsten Schritt seines Parteifreundes Frank Schäffler, demonstrativ ab. Gedrosselter Populismus also. Nochmals: Dergleichen bringt keine Prämie ein. Der Populist muss vielmehr zu Eskalation bereit und fähig sein.
Es spricht nicht viel dafür, dass Freie Demokraten zu politischen Brutalität dieser Art das Zeug haben. Und doch bedeutet es nicht, dass die populistische Ansprache in Deutschland ohne Boden und Ertrag wäre. Im Grunde befinden wir uns tatsächlich geradezu idealtypisch in einer Situation, die Politikwissenschaftler den „populistischen Moment“ zu nennen pflegen. Die europäischen Eliten arrangieren unter sich eine Politik, die sie apodiktisch als nicht diskursfähig dekretieren. Mit ihren Fachkürzeln wie ESM oder EFSF halten sie das Volks schon semantisch auf Abstand, bekräftigen beim Demos das Gefühl der Ohnmacht. Die Rechtsordnung und die politischen Legitimationen werden je nach Opportunität und nach oft sie selbst überraschenden Ereignissen umgedeutet oder zumindest elastisch zurechtgebogen. Die politische Führung verliert auf diese Weise, was jeder Repräsentation zwingend benötigt: Den Handlungskredit, der auf Vertrauen basiert.
Das Kinn energisch gestreckt
Stellen wir uns zum Schluss kurz ein Wahlplakat vor, auf dem man Rösler, Bahr und Lindner sieht. Die Herzen der verunsicherten und zugleich entrüsteten Bürger dürfen wohl nicht in freudiger Identifikation mit dem Trio kräftiger zu schlagen beginnen. Aber stellen wir uns dann eine Zeitungsanzeige vor, auf der, sagen wir, die Herren Clement , Koch und Merz oder gar Sarrazin, das Kinn jeweils energisch nach vorne gestreckt, im Zentrum stehen, im Hintergrund vielleicht noch einige der derzeit weithin bekannten „Wirtschaftsexperten“, welche alle zusammen vor der Politik von Merkel, Steinbrück und Trittin warnen und für einen neuen politischen Zusammenschluss „mutiger Bürger“ werben. Die Verhältnisse in dieser Republik gerieten ins Tanzen.
Prof. Franz Walter, Jahrgang 1956, ist Leiter des Göttinger Instituts für Demokratieforschung. Zuletzt erschien von ihm: Die CDU. Entstehung und Verfall christdemokratischer Geschlossenheit, Baden-Baden 2011 (zusammen mit C. Werwath und O. DAntonio).
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