Die Fehlbaren

#FridaysforFuture Klimaschutz ist in erster Linie keine individuelle Aufgabe, sondern eine kollektive. Das scheint sich noch nicht überall herumgesprochen zu haben

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Foto: imago/IPON

Hach ja, da stehen sie nun jeden Freitag und demonstrieren. Gegen den Klimawandel. Da stehen sie, diese unvollkommenen, unmoralischen Minderjährigen und stellen Forderungen. Wie können sie nur!? Viele von denen essen bestimmt Fleisch, werden mit dem SUV in die Schule gefahren – wenn sie nicht gerade blau machen, denn darum geht es ja eigentlich! –, und einen Abschluss in Umwelt-Rettungs-Dings streben auch nicht alle an. Sollen sie sich doch erst mal an die eigene Nase fassen und etwas an ihrem Leben verändern!

So in etwa klingt ein erheblicher Teil der öffentlichen Rezeption der FridaysforFuture-Bewegung, die derzeit von sich reden macht. Entweder werden die protestierenden jungen Leute als lernfaul oder aber als inkonsequent abgestempelt, belächelt – ach, moralisch verurteilt.

In der Westdeutschen Zeitung schreibt ein Lehrer etwa: "Alle [...]1 sollten sich zunächst an ihre eigene Nase fassen und bei sich selbst und in ihrem Umfeld beginnen, das Klima zu verändern. Das ist manchmal nicht so lustig wie zu streiken, aber es wäre ein ehrlicher Anfang. Erst anschließend sollten sie mitstreiken. Oder besser am Samstagnachmittag demonstrieren gehen, anstatt Fußball zu gucken oder zu Primark zu gehen. Dann würden wirklich nur die Schüler und Studenten kommen, denen das Klima wirklich am Herzen liegt. (Und ich hoffe, es kämen viele!)"

Mit dieser Logik ist er keinesfalls allein. Die Kinderausgabe des Nachrichtenmagazins der Spiegel twitterte vor ein paar Tagen ein Bild von demonstrierenden Schülerinnen und Schülern, die zwischendurch schnell zu McDonalds gegangen waren und dort Burger gekauft hatten, „einzeln eingepackt und eher nicht besonders klimafreundlich produziert“.2

Und auch abseits der etablierten Medien liest man in so ziemlich allen Kommentarspalten: Die schieben doch die ganze Verantwortung auf den Staat ab! Schaut euch mal ihre Kleiderschränke an! Aber diese Kinder fliegen ja auch in den Urlaub!

Die Jugend hat es verstanden

Es ist zum verrückt werden. Da gehen junge Menschen für eine gute Sache auf die Straße, und die Antwort, die sie erhalten, lautet: Ihr seid nicht moralisch perfekt. Ihr habt moralisch kein Recht zu demonstrieren. Hört mit der Politik auf und ändert individuell etwas.

Davon abgesehen, dass ein großer Teil der Menschen auf der Straße das längst versucht, ist diese Forderung beinahe lächerlich. Sollen nur noch moralisch einwandfreie Menschen Kritik äußern dürfen? Das wäre das Ende jeder Kritik. Auch die Vorstellung, individuell sei der Klimawandel zu stoppen, ist ein fataler Irrglaube. Als könnte der Klimawandel – oder sonst irgendein globales Problem – über individuelles Konsumverhalten gelöst werden. Und noch mehr: Als könnte irgendjemand im Globalen Norden nicht über die Verhältnisse der Menschen anderswo und zukünftiger Generationen leben. Als hätten wir nicht strukturelle Probleme, die die Zerstörung des Planeten befeuern, teilweise sogar erst ermöglichen. Gerade das haben viele der jungen Leute verstanden.

Der Soziologe Stephan Lessenich verweist treffend darauf, dass die Bevölkerungen im reichen Globalen Norden die Folgen ihres Lebensstils auf andere Menschen – in anderen Teilen der Welt und in zukünftigen Generationen – abwälzen. Sie tun das, weil die Strukturen es erlauben, also weil sie es können. Gleichzeitig betont Lessenich, dass die Menschenim reichen Nordennicht anders können. Es ist unter den gegenwärtigen Bedingungen beinahe unmöglich, hierzulande ökologisch verträglich zu leben – was wiederum explizit nicht heißt, dass man es nicht versuchen sollte.

Sicher tragen Individuen Verantwortung für ihr Handeln, selbstverständlich sollten sie versuchen, klima- und umweltfreundlicher zu leben. Was sie nicht sein müssen, ist unfehlbar. Was sie nicht haben, ist individuelle Schuld an der Misere. Am allerwenigsten ein Haufen junger Menschen, denen die Politik weder Wahlrecht, noch echte Strafmündigkeit zuspricht.

Es geht nur gemeinsam

Die Rezeption der FridaysforFuture-Proteste bringt nicht nur streckenweise Verachtung für junge Menschen ans Tageslicht. Viel mehr noch zeigt sie die Geringschätzung für politisches Handeln, das diesen Namen verdient. Das Mantra vom einzelnen Menschen, der die Welt allein verändern kann und muss, ist zutiefst unpolitisch – und es macht krank, indem es alle gesellschaftlichen Probleme auf den Schultern einzelner ablädt.

Wir halten den Klimawandel, die Zerstörung dieses Planeten gemeinschaftlich – das heißt politisch – auf, oder wir werden scheitern. Änderungen des individuellen Konsumverhaltens können die Folgen des Klimawandels weniger schlimm machen, aber ihn niemals verhindern oder auch nur an einem ansatzweise annehmbaren Punkt stoppen.

Die Fehlbaren von #FridaysforFuture scheinen das begriffen zu haben. Deswegen sind sie ungehorsam und für die Mächtigen unangenehm – allen billigen Versuchen der Vereinnahmung, etwa durch die Bundeskanzlerin, zum Trotz. Mögen sie standhaft bleiben, politisch wachsen – und vor allem noch viel mehr werden.

1 Hier nennt er einige beispielhafte Schülerinnen und Schüler, denen er quasi Doppelmoral unterstellt. Er spricht anderen nicht ab, individuell schon zu versuchen, das Klima zu verändern. An der grundsätzlichen Forderung, bei einer Beteiligung eine möglichst weiße Weste zu haben, ändert das nichts.

2 Der Tweet von Dein SPIEGEL ist nach einiger Kritik inzwischen gelöscht, die Diskussion geht aber weiter: https://twitter.com/Dein_SPIEGEL/status/1101430263551283200

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Franz Hausmann

Sozialwissenschaftler, Autor, Hobbygärtner. Buch "Koks am Kiosk? Eine Kritik der deutschen Drogenpolitik" gibts beim Schmetterling Verlag.

Franz Hausmann

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