Ein Wischmopp als Preis bei einer Kindertombola. Ein Wischmopp, gesponsert von der Kampagne „Unterstützt die Scharia“. Ein Wischmopp, verlost durch den netten Selbstmordattentäter von nebenan. Ja, das klingt alles völlig absurd. Dennoch steht es exemplarisch für den kompletten Film „Selbstmordattentäter in Syrien – Per Knopfdruck ins Paradies“ des norwegischen Journalisten Paul Refsdal.
Der Norweger war mit Menschen, die sich als Selbstmordattentäter zu Verfügung stellen, in Syrien unterwegs und hat deren Alltag gefilmt. Das klingt nach völligem Wahnsinn, stellt sich aber im mancher Hinsicht als das Gegenteil heraus. Die beiden potentiellen Attentäter, mit denen sich der Journalist am meisten beschäftigt, erscheinen als normale Menschen mit einem manchmal gar banalen Alltag. Es sind der Saudi Abu Qaswara und der Brite Abu Basir.
Abu Qaswara, dem der Großteil des Films gewidmet ist, ist vielleicht Anfang 30. Er hat in Saudi-Arabien eine Tochter, die er noch nie gesehen hat. Er ist fröhlich, singt den halben Tag und hat eine positive Ausstrahlung, die beinahe schon fröhlich stimmt. Er wartet den ganzen Film lang geduldig auf seinen Selbstmordeinsatz, nur um dann am Ende doch wieder zum Prediger „degradiert“ zu werden und Kindertombolas zu veranstalten. Wie eigentlich alles andere auch, nimmt der fröhliche Mann das als „Wille Allahs“ hin.
Der Brite Abu Basir ist wahrscheinlich jünger als sein saudischer Kollege, vielleicht Mitte 20. Er hat gerade geheiratet und ist Vater geworden, ist mehr und mehr am Zweifeln, ob er es seiner Frau und seiner Tochter antun kann, aus der Welt zu scheiden. Aus ihm sprechen die Zweifel eines jungen Menschen.
Der Film schafft es, die potentiellen Selbstmordattentäter als echte Menschen darzustellen, mit all ihren Schwächen und Stärken, ihren Ängsten und Zweifeln. Das macht ihn sehenswert und interessant, aber hier liegt auch seine große Gefahr. Die Attentäter machen beinahe schon einen „netten“ Eindruck. Das ist fatal, denn dieser Eindruck trügt. Diese Menschen sind Teil der Al-Nusra-Front, die zu Al-Qaida gehört. Die Gruppe kämpft in Syrien für einen islamistischen Gottesstaat – dieser Aspekt wird im Film schlicht ausgeblendet – und damit u.a. gegen das Assad-Regime. Lediglich der Kampf gegen die Truppen Assads wird dargestellt und thematisiert. Refsdal gibt den Islamisten die Möglichkeit, sich als aufrechte Kämpfer gegen Assad darzustellen, die zivile Opfer strikt meiden und ihre Attentate nur gegen militärische Ziele einsetzen. Wer Al-Nusra nicht kennt, hat nach diesem Film möglicherweise das Bild einer Gruppe im Kopf, die – aus Idealismus und unter Einsatz der eigenen Existenz – für ein freies Syrien kämpft. Es ist ein Bild, das mit der Realität nichts zu tun hat. In einem islamistischen Gottesstaat, wie er Al-Nusra vorschwebt, gibt es weder Freiheit, noch Menschenrechte. Die religiösen Minderheiten des Landes hätten Vertreibung oder Massenmord zu befürchten. Den säkularen Sunniten würde es kaum anders gehen. Nicht umsonst stuft der, sonst so zerstrittene, Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Al-Nusra als Terrorgruppe ein.
In mancher Hinsicht ist die Gruppe gefährlicher als der sog. Islamische Staat. Eben weil sie weniger offensichtlich brutal vorgeht, nicht derart kompromisslos ist und vorgibt, für eine „gerechte Sache“ zu kämpfen – in Syrien, nicht global. Das Bild vom „gläubigen Widerstandskämpfer“ könnte für viele Menschen ansprechender sein, als das vom global-agierenden Dschihadisten. Dennoch liegt der Unterschied zwischen den beiden Gruppen in ihrem Auftreten, weniger in ihrer Ideologie.
Der WDR muss sich fragen lassen, wieso ein Film ausgestrahlt wird, der in der Lage ist, einen „positiven“ Eindruck Al-Nusras zu erwecken. Der Verdacht, dass Refsdal bewusst ein solches Bild der Dschihadisten zeichnet, wiegt schwer und ist durchaus berechtigt. In einem Interview mit dem WDR sagt er beispielsweise: „Wir denken immer, dass diese Selbstmord-Attentäter sind, dass sie sich nur wegen der Jungfrauen im Paradies in die Luft sprengen und langweilige, engstirnige Fanatiker sind. Das sind sie eben nicht. Es sind denkende Menschen, die auch Zweifel haben.“1 Was will man dazu sagen? Ja, sie haben Zweifel. Ja, sie sind deutlich weniger langweilige Menschen als gedacht. Das ändert aber auch nichts daran, dass sie islamistische Fanatiker sind. An ihren Taten ist nichts heroisch, sie nehmen den Tod auch nicht für eine gerechtere Welt in Kauf. Der Antrieb hinter ihrem Tun ist wohl eher Egoismus, die Gier nach einer Belohnung im Paradies. Aus vielen ihrer Worte spricht die Geringschätzung des Lebens.
Erschreckend wird es, als der norwegische Journalist im Interview meint: „Nusra ist eine normale aufständische Gruppe, die gegen das Assad-Regime kämpft. Sie darf keine Operationen außerhalb Syriens durchführen und würde nie eine Bombe in der Türkei oder Paris zünden. Ich kann nicht für Al-Kaida als Ganzes sprechen, weil es so viele Gruppen gibt und Al-Kaida auch Dinge getan hat, die absolut inakzeptabel sind. Aber wenn der Westen den Sturz von Assad will, sollte er Al-Nusra und die anderen religiösen Gruppen nicht mehr bombardieren.“2 Kurz gesagt: „Al-Qaida hat schon seine schlechten Seiten, aber was will man machen. Assad ist noch viel schlimmer. Lieber Al-Nusra als Assad.“ Vielleicht sollte der Filmemacher einmal die syrischen Kurden, die Christen und Alawiten fragen, was sie von seiner Meinung halten.
Refsdals Werk lässt ratlos zurück. Es zeichnet ein interessantes Bild der potentiellen Attentäter, aber ein gefährliches der Nusra-Front. Es ist an vielen Stellen genauso absurd wie die Wischmoppszene – nur eben fataler in seiner Gesamtaussage.
Der Film von Paul Refsdal: http://www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/die-story/video-selbstmordattentaeter-in-syrien---per-knopfdruck-ins-paradies-100.html
1,2 Das Interview mit dem norwegischen Journalisten: http://www1.wdr.de/nachrichten/investigatives/dugma-refsdal-interview-100.html
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.