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Entpolitisierung Angela Merkel glaubt, Deutschland habe sich in den vergangenen Monaten und Jahren politisiert. Das Gegenteil ist der Fall

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Die Mehrheit derer, die in Dresden montags auf die Straße gehen, sind nicht politisch. Sie haben keine rationalen Ideale, keine Utopien, noch nicht einmal politische Konzepte.
Die Mehrheit derer, die in Dresden montags auf die Straße gehen, sind nicht politisch. Sie haben keine rationalen Ideale, keine Utopien, noch nicht einmal politische Konzepte.

Foto: TOBIAS SCHWARZ/AFP/Getty Images

Die Bundeskanzlerin nimmt in Deutschland eine Polarisierung wahr. Wer würde ihr da widersprechen wollen? Sie glaubt aber auch, eine Politisierung wahrzunehmen. Damit verkennt sie das Wesen des herrschenden Unmuts.
Politisierung, das ist zweifellos ein schwammiger Begriff. Er kann politische Aktivität beschreiben, also als Synonym für „politisch aktiv“ betrachtet werden. In diesem Sinn ist Deutschland in den letzten Monaten tatsächlich politisiert worden. Viele Menschen, die zuvor passiv waren, engagieren sich nun gegen die aktuelle Politik, gegen Flüchtlinge und gegen „die Lügenpresse“. Der Begriff kann auch das Ersetzen einer Sphäre, beispielsweise der privaten, durch die politische beschreiben. Diese Begriffe von „Politisierung“ sind aber mindestens unvollständig.

Politisierung, das bedeutet vor allem „politisch werden“. Nicht im Sinne von „politisch aktiv“, sondern von „politisch denkend“. Es sind aber gerade keine politisch denkenden Menschen, die die Stimmung im Land prägen. Die Mehrheit derer, die in Dresden montags auf die Straße gehen, die in den sozialen Netzwerken den Ton angeben und die – in extremen Fällen – Flüchtlingsunterkünfte anzünden, sind nicht „politisch“. Sie haben keine rationalen Ideale, keine Utopien, noch nicht einmal politische Konzepte. Sie können ihren Unmut nicht mehr in alternative Ansätze verwandeln, sind zu keiner sachlichen Diskussion mehr fähig und hassen Argumente.
Was diese Menschen leitet sind Gefühle und deren irrationale Produkte. Es sind Hilflosigkeit, Unmut und auch Hass. Daraus entstehen einfache Feindbilder, Verschwörungstheorien und der Wunsch nach einem „Früher“, in dem alles besser war. Viele dieser Leute sind an einer Stelle angekommen, an der sie nicht einmal mehr selbst begreifen, wie weit rechts sie stehen. All diese Menschen finden eine Heimat bei denen, die man „Rechtspopulisten“ nennt. Hinter dem Rechtspopulismus stecken irrationale Gefühle und Konzepte. Er nährt sich aus dem Gedanken „Früher-war-alles-besser“, spielt mit dem Hass auf die bestehenden Eliten und beschwört „ein Volk“, das nicht existiert. Die rechtspopulistischen Behauptungen halten freilich keiner Analyse und Kritik stand. Das müssen sie auch nicht, dafür sind sie überhaupt nicht gemacht. Sie entfalten ihre Stärke nicht in der politischen Diskussion, im Gegenteil. Der Aufstieg des Rechtspopulismus ist der Aufstieg irrationalen Denkens und Fühlens. Völkischer Nationalismus und reaktionäres Geschwätz hätten in einer wirklich politisierten Gesellschaft kaum eine Chance. Wenn das, was wir momentan erleben, „Politisierung“ sein soll, stellt sich die Frage, welcher halbwegs vernünftige Mensch noch „politisch“ sein will.

Die Entpolitisierung ist kein rein deutsches Problem. Weite Teile der westlichen Industrienationen haben mit ihr zu kämpfen. Nirgends kann man das derzeit so gut beobachten wie in den USA. Donald Trump ist dort auf dem besten Weg republikanischer Präsidentschaftskandidat zu werden. Er hetzt gegen mexikanische Einwanderer, ist sexistisch, spottet über seine republikanischen Mitbewerber und will keine Muslime mehr einreisen lassen. Nichts davon scheint ihm im Wege zu stehen.
Häufig wird der Erfolg Trumps und der Bernie Sanders' miteinander verglichen, manchmal gar gleichgesetzt. Obwohl er sich bei beiden mit vorhandenem Unmut erklären lässt, könnte er unterschiedlicher kaum sein. Sanders steht für die Zukunft, hat eine politische Vision und punktet durch Inhalte. Nicht umsonst ist sein Slogan „A Future to Believe In“. Sanders politisiert. Er hat eine progressive Vision, denkt Alternativen.
Trump ist das Gegenteil. Er ist eine Marke. Er steht für nichts als die irrationalen Gefühle und Sehnsüchte Amerikas. Sein Slogan lautet „Make America Great Again“. Er steht für eine „goldene Vergangenheit“. Eine Vergangenheit, die es nie gab. Trump ist eine Marke für Reaktionäre und Menschenhasser. Sein Erfolg erklärt sich durch den Hass auf das Establishment in Washington und auf die „politische Korrektheit“. Trump gibt dem Zorn vieler Amerikaner ein Gesicht, das als glaubhaft empfunden wird. Sicher, nichts von dem ist irgendwie fundiert. Ein reaktionärer, opportunistischer Multimillionär als Gesicht gegen die herrschenden Verhältnisse? Das ist an Absurdität kaum zu überbieten. Das ist wirkliche Entpolitisierung, das ist die Abwesenheit politischen Inhalts.

Das jahrzehntelange Gerede von „Alternativlosigkeit“ hat seine Spuren hinterlassen. Kaum jemand kann noch Alternativen denken, geschweige denn überzeugend vermitteln. Selbst die politische Linke, die in Zeiten wie diesen eigentlich vor Kraft strotzen müsste, erscheint häufig nur noch als Krisenverwalter des Kapitalismus. Sie wird – manchmal nicht zu Unrecht – als Teil des Systems wahrgenommen, kaum aber als Alternative. Als solche sehen immer mehr Menschen die rechtspopulistischen Schreihälse. Diese haben außer großen Tönen nichts zu bieten. Was wird passieren, wenn deren Wählerinnen und Wähler das merken? Vielleicht zeigen dann noch mehr Menschen dem politischen System die kalte Schulter und resignieren. Vielleicht werden sie aber auch „das Gesetz“ verstärkt selbst in die Hand nehmen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Franz Hausmann

Sozialwissenschaftler, Autor, Hobbygärtner. Buch "Koks am Kiosk? Eine Kritik der deutschen Drogenpolitik" gibts beim Schmetterling Verlag.

Franz Hausmann

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