Die Bundeskanzlerin nimmt in Deutschland eine Polarisierung wahr. Wer würde ihr da widersprechen wollen? Sie glaubt aber auch, eine Politisierung wahrzunehmen. Damit verkennt sie das Wesen des herrschenden Unmuts.
Politisierung, das ist zweifellos ein schwammiger Begriff. Er kann politische Aktivität beschreiben, also als Synonym für „politisch aktiv“ betrachtet werden. In diesem Sinn ist Deutschland in den letzten Monaten tatsächlich politisiert worden. Viele Menschen, die zuvor passiv waren, engagieren sich nun gegen die aktuelle Politik, gegen Flüchtlinge und gegen „die Lügenpresse“. Der Begriff kann auch das Ersetzen einer Sphäre, beispielsweise der privaten, durch die politische beschreiben. Diese Begriffe von „Politisierung“ sind aber mindestens unvollständig.
Politisierung, das bedeutet vor allem „politisch werden“. Nicht im Sinne von „politisch aktiv“, sondern von „politisch denkend“. Es sind aber gerade keine politisch denkenden Menschen, die die Stimmung im Land prägen. Die Mehrheit derer, die in Dresden montags auf die Straße gehen, die in den sozialen Netzwerken den Ton angeben und die – in extremen Fällen – Flüchtlingsunterkünfte anzünden, sind nicht „politisch“. Sie haben keine rationalen Ideale, keine Utopien, noch nicht einmal politische Konzepte. Sie können ihren Unmut nicht mehr in alternative Ansätze verwandeln, sind zu keiner sachlichen Diskussion mehr fähig und hassen Argumente.
Was diese Menschen leitet sind Gefühle und deren irrationale Produkte. Es sind Hilflosigkeit, Unmut und auch Hass. Daraus entstehen einfache Feindbilder, Verschwörungstheorien und der Wunsch nach einem „Früher“, in dem alles besser war. Viele dieser Leute sind an einer Stelle angekommen, an der sie nicht einmal mehr selbst begreifen, wie weit rechts sie stehen. All diese Menschen finden eine Heimat bei denen, die man „Rechtspopulisten“ nennt. Hinter dem Rechtspopulismus stecken irrationale Gefühle und Konzepte. Er nährt sich aus dem Gedanken „Früher-war-alles-besser“, spielt mit dem Hass auf die bestehenden Eliten und beschwört „ein Volk“, das nicht existiert. Die rechtspopulistischen Behauptungen halten freilich keiner Analyse und Kritik stand. Das müssen sie auch nicht, dafür sind sie überhaupt nicht gemacht. Sie entfalten ihre Stärke nicht in der politischen Diskussion, im Gegenteil. Der Aufstieg des Rechtspopulismus ist der Aufstieg irrationalen Denkens und Fühlens. Völkischer Nationalismus und reaktionäres Geschwätz hätten in einer wirklich politisierten Gesellschaft kaum eine Chance. Wenn das, was wir momentan erleben, „Politisierung“ sein soll, stellt sich die Frage, welcher halbwegs vernünftige Mensch noch „politisch“ sein will.
Die Entpolitisierung ist kein rein deutsches Problem. Weite Teile der westlichen Industrienationen haben mit ihr zu kämpfen. Nirgends kann man das derzeit so gut beobachten wie in den USA. Donald Trump ist dort auf dem besten Weg republikanischer Präsidentschaftskandidat zu werden. Er hetzt gegen mexikanische Einwanderer, ist sexistisch, spottet über seine republikanischen Mitbewerber und will keine Muslime mehr einreisen lassen. Nichts davon scheint ihm im Wege zu stehen.
Häufig wird der Erfolg Trumps und der Bernie Sanders' miteinander verglichen, manchmal gar gleichgesetzt. Obwohl er sich bei beiden mit vorhandenem Unmut erklären lässt, könnte er unterschiedlicher kaum sein. Sanders steht für die Zukunft, hat eine politische Vision und punktet durch Inhalte. Nicht umsonst ist sein Slogan „A Future to Believe In“. Sanders politisiert. Er hat eine progressive Vision, denkt Alternativen.
Trump ist das Gegenteil. Er ist eine Marke. Er steht für nichts als die irrationalen Gefühle und Sehnsüchte Amerikas. Sein Slogan lautet „Make America Great Again“. Er steht für eine „goldene Vergangenheit“. Eine Vergangenheit, die es nie gab. Trump ist eine Marke für Reaktionäre und Menschenhasser. Sein Erfolg erklärt sich durch den Hass auf das Establishment in Washington und auf die „politische Korrektheit“. Trump gibt dem Zorn vieler Amerikaner ein Gesicht, das als glaubhaft empfunden wird. Sicher, nichts von dem ist irgendwie fundiert. Ein reaktionärer, opportunistischer Multimillionär als Gesicht gegen die herrschenden Verhältnisse? Das ist an Absurdität kaum zu überbieten. Das ist wirkliche Entpolitisierung, das ist die Abwesenheit politischen Inhalts.
Das jahrzehntelange Gerede von „Alternativlosigkeit“ hat seine Spuren hinterlassen. Kaum jemand kann noch Alternativen denken, geschweige denn überzeugend vermitteln. Selbst die politische Linke, die in Zeiten wie diesen eigentlich vor Kraft strotzen müsste, erscheint häufig nur noch als Krisenverwalter des Kapitalismus. Sie wird – manchmal nicht zu Unrecht – als Teil des Systems wahrgenommen, kaum aber als Alternative. Als solche sehen immer mehr Menschen die rechtspopulistischen Schreihälse. Diese haben außer großen Tönen nichts zu bieten. Was wird passieren, wenn deren Wählerinnen und Wähler das merken? Vielleicht zeigen dann noch mehr Menschen dem politischen System die kalte Schulter und resignieren. Vielleicht werden sie aber auch „das Gesetz“ verstärkt selbst in die Hand nehmen.
Kommentare 15
"Sanders steht für die Zukunft, hat eine politische Vision und punktet durch Inhalte. Nicht umsonst ist sein Slogan „A Future to Believe In“. Sanders politisiert. Er hat eine progressive Vision, denkt Alternativen."
Gutes Beispiel. Danke!*****
Pegida, AfD sind n. m. E. ein mediales Phänomen, weil hier Bürger sich versammeln, nicht um für oder gegen Inhalte zu demonstrieren, einzutreten, sondern sich im Für und Wider von Schlagzeilen, Sprechblasen des Mainstreams zu verausgaben und jeden Impuls zu wirklichen Debatten untereinander unter großen Anstrengungen zu unterdrücken suchen.
Für mich ist das eine Art letztes Gefecht gegen jene Politisierung, die mit der Willkommens- und Ankommenskultur hierzulande verbunden ist, wenn die sich nicht nur so bescheiden und genügsam gäbe, sondern klare Forderungen an die Politik in Bund und Ländern stellen würde, wie die Organisation einer
"Luftbrücke für Flüchtlinge in Not"
von Deutschland aus nach Jordanien, Libanon, Libyen, Nordirak, der Türkei, Italien, Griechenland, Hilfsgüter nach dort verbringt und Flüchtlinge, die krank sind, nach Deutschland, Europa holt
http://www.thepetitionsite.com/de-de/536/777/682/luftbr%C3%BCcke-f%C3%BCr-fl%C3%BCchtlinge-in-not/
Luftbrücke für Flüchtlinge in Not
52 UNTERSTÜTZER/INNEN
VON: Joachim Petrick
ZIEL: Mitglieder des Deutschen Bundestages
merkels und damit grokos thema ist die öffentliche frömmigkeit: konsens im humanen, vermeiden des politisch trennenden: der partei-bildung, des interessen-konflikts. kurz: eine pazifizierte volks-gemeinschaft, un-aggressiv, die störenfriede außen(putin) lassend, ver-einendem zugewandt: europa.
selbst für die rand-ständigen ist gesorgt: mindest-lohn, aufstockung wohngeld. bis zur rente. christliche caritas-einstellung machts möglich.
den leistungs-trägern seien die boni gegönnt, die steuer soll kein scharfes schwert sein.
macht-gesteuerte ausforschung ist der freundschaft zuwider, führt aber nicht zur empörung.
der bürger-sinn hat sich bei katastrophen zu bewähren: elbe-flut, banken-krise, flüchtlings-drama.
der industrie(fleiß) fließt dank für die exporte in guten erlösen zu.
hilfe für un-glückliche(griechenland) wird nicht versagt,
für weltmeisterliches muß man sich nicht schämen, da darf auch eine pfarrers-tochter überschwänglich werden.
Wie führt man eine sachliche Diskussion, wenn das Gegenüber längst etwas beschlossen hat und Einwände nicht möglich sind? Es wird nicht darüber gesprochen, ob 'Flüchtlings'unterkünfte irgendwo entstehen, sondern den Bevölkerungen in den Regionen werden Informationsveranstaltungen angeboten, das dies nun so ist. Manchesmal wird noch nicht mal mehr das gemacht, sondern über Nacht einfach die Einquartierung vorgenommen.
Worüber wird sich in dem Artikel nun eigentlich beschwert.
Politisch denken- das ist schon so eine Sache. Die meisten Menschen interessieren sich ja überhaupt nicht für politische Zusammenhänge oder sie lieben sie in der verkürzten Form.
Und -wenn sie denken, Sie hätten jetzt den Faden aufgeknüppert und erkannt, wer oder was oder welche Kräfte hinter allem stehen, dann kommt ein anderer und hat eine bessere Variante.
Die Mehrheit derer, die in Dresden montags auf die Straße gehen, die in den sozialen Netzwerken den Ton angeben und die – in extremen Fällen – Flüchtlingsunterkünfte anzünden, sind nicht „politisch“. Sie haben keine rationalen Ideale, keine Utopien, noch nicht einmal politische Konzepte. Sie können ihren Unmut nicht mehr in alternative Ansätze verwandeln, sind zu keiner sachlichen Diskussion mehr fähig und hassen Argumente.
Wenn Politik nur aus rationalen Ideen, Konzepten und Argumenten bestünde, wäre die Welt gut dran. Nicht mal die Politiker wären dann "politisch".
Nein, nein ...auch die Manipulation, der Hass, der Unmut usw. - auch das ist alles "Politik". Von daher sind im Moment lebhafte Debatten unterwegs in diesem Lande. Ob die immer politisch "vernünftig" sind, das ist eine ganz andere Frage.
Sicher, man könnte die Kommunikation deutlich verbessern. Davon abgesehen: Sie dürfen nicht entscheiden, ob jemand auf seinem Grundstück ein Mietshaus baut. Oder ein Einkaufscenter. Oder sonst irgendwas. Wieso also bei einem Flüchtlingsheim?
Egal, welchen Politikbegriff ich als Basis nehme, ich komme immer zum Schluss, dass diese Menschen nicht politisch sind. Selbst wenn ich sage: "Macht ist das ausschlaggebend in der Politik", klappts nicht. Ein politisch denkender Mensch muss rational sein können, auch wenn es nur um eine "rationale" Eroberung von Macht geht, denke ich. Wenn "Hass" und "Unmut" auch politisch sind, einfach als Gefühle, gibt es nichts, was "unpolitisch" wäre. Dann ist alles "Politik". Übrigens nehme ich keine lebhaften Debatten wahr, außer man bezeichnet Beleidigungen als Debatte. ;)
Ich glaube, es war übrigens Pispers, der einmal gesagt hat "Merkel macht den Eindruck sie würde sich überhaupt nicht für Politik interessieren." War vor der Flüchtlingskrise, kam mir aber irgendwie gerade in den Sinn.
Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Regierungen Ungarns und Polens und den Menschen, die sie unterstützen, wäre mal interessant. Habe ich auch noch nicht gemacht, ich gebe es zu.
Die Rechtspopulisten füllen (nicht nur dort) die Lücken, die die schwache oder nicht vorhandene Linke lässt, indem sie den Menschen versprechen, ihre (sozialen) Nöte ernstzunehmen. Tun sie das, wenn sie regieren, oder bieten sie nur (kultur)nationalistische Ersatzdrogen?
Wenn "Hass" und "Unmut" auch politisch sind, einfach als Gefühle, gibt es nichts, was "unpolitisch" wäre. Dann ist alles "Politik".
Ja, so ist ja auch. Auch damit wird Politik gemacht. Meist sehr miese Politik. Wenn man aber unter "Politik" nur die "Staatskunst" versteht, wie es in in einem
Fremdwort-Portal erklärt wird, dann sehe ich da in der Tat auch wenig Willen, sich näher damit zu befassen. Da ist das Ressentiment schon bequemer. Zur Politik gehören Rationalität und - wie ich unbedingt finde - sehr viel Fantasie.
Der obige Link zitierit auch noch dieses:
Vom griechischen Philosophen Aristoteles (384-322 vor Christus) stammt die Feststellung: Zur Natur des Menschen gehört es, dass er in einem Gemeinwesen (Polis) lebt, er ist ein "politisches Wesen".
Ich glaube, es war übrigens Pispers, der einmal gesagt hat "Merkel macht den Eindruck sie würde sich überhaupt nicht für Politik interessieren." War vor der Flüchtlingskrise, kam mir aber irgendwie gerade in den Sinn.
Ja, sie macht halt den Eindruck, da hat der Pispers recht. Da hat er ihre beste Eigenschaft doch prima erklärt.
Habe ich mir ehrlich gesagt auch noch nicht tiefer damit beschäftigt. Interessant ist auf jeden Fall, dass diese Rechtspopulisten (anders als die AfD oder Trump) stark auf soziale Themen setzen. Das macht sie auch für Menschen wählbar, die auf den nationalistischen Blödsinn nicht einsteigen. Sicher einer der Hauptgründe, warum der FN oder die PiS stärker sind als die AfD. Eine nähere Beschäftigung mit dem Thema "Sozialer Rechtspopulismus" wäre sicher nicht verkehert und interessant. Vielleicht bietet sich an der Uni (oder auch so) mal eine Arbeit zum Thema an.
"Ja, so ist ja auch. Auch damit wird Politik gemacht. Meist sehr miese Politik."
Damit wird Politik gemacht, ja. Aber sind diese Dinge selbst "politisch"? Ich hätte da meine Zweifel. Wäre Politik ohne jeden Inhalt überhaupt Politik? Wenn die "Policy"-Dimension fehlt, kann man dann noch von Politik sprechen? Da wird man keine schnellen Antworten drauf finden können, schon aufgrund der riesigen Anzahl von Politikdefinitionen. Ist mir klar.
Zur Aristotelesaussage noch (die durchaus einen wahren Kern hat, wie ich finde): Wölfe leben auch in einem Gemeinwesen. Sind sie deshalb "politisch"?
Wölfe leben auch in einem Gemeinwesen. Sind sie deshalb "politisch"?
Nee, die sind einfach "biologisch". :-)
Und wieso nicht?
Gibt es ne Art 24h/7Tage die Woche ne Liveschaltung zu allen an einer Pegida-Kundgebung Teilnehmenden? Was wer wann wo mit welchem Inhalt und Motivation tut?
Weder die Linke noch der bürgerliche Mainstream scheinen ein Interesse daran zu haben, diese Frage zu thematisieren. Wie es bei Trump ist, bin ich mir nicht sicher: Wenn Leute ihn als "anti-Establishment" sehen kann es durchaus sein, dass sie die Bearbeitung sozialer Probleme und insbesondere der Ungleichheit in ihn hineininterpretieren. Das Interessante ist ja, dass rechte wie linke KritikerInnen der Regierung sich in manchen Dingen einig sind, gerade was die Vetternwirtschaft und Selbstbereicherung der 'Eliten' angeht.