Ein Trip gegen die Angst

Psychedelische Drogen Die Hippies sahen im LSD den Schlüssel zum Glück. In Zukunft wird es etwas weniger, aber konkreter sein: LSD heilt psychische Krankheiten
Ausgabe 52/2015

„Ich beginne mit meditativer Musik und wechsel meist später zu Jazz. Instrumentale Musik ist leichter. Die meisten Liedtexte können verwirren“, Peter Gasser hält kurz inne und lacht. „Und natürlich muss man sich auf den Patienten einstellen – ich würde keine Kirchenmusik spielen wenn ich weiß, derjenige hat ein traumatisches Verhältnis zum Christentum.“ Der Psychotherapeut aus Solothurn in der Schweiz ist einer der wenigen Ärzte weltweit, die die „Psychedelische Therapie“ in ihrer Praxis durchführen. Er setzt die bewusstseinserweiternde Droge LSD bei Angstpatienten ein, genauer bei Menschen, denen eine Krebskrankheit Angstzustände verschafft. Dabei können deutliche Erfolge verzeichnet werden, die Zustände nehmen rapide ab. Nach dem Trip hätten die meisten Patienten ein entspannteres Verhältnis zu sich selbst und ihrem Körper: „Ihnen wird klar: Ich bin mehr als nur die Krankheit, da gibt es noch mehr.“

Die Beat Generation

In Europa ist Gasser noch ein Einzelfall. Seit die psychedelischen Drogen durch die Ausschweifungen mancher Hippies unter einem schlechten Ruf stehen, wurden sämtliche medizinischen Studien gestoppt. Jimi Hendrix, Aldous Huxley, Alan Watts und die Counterculture hatten das etablierte Bürgertum gegen sich aufgebracht. Anfang der 1960er waren The Merry Pranksters noch mit ihrem bunten Schulbus namens „Furthur“ auf Tour gewesen, um den Nutzen von LSD – damals noch legal – in der Nation anzupreisen. Neal Cassady von der Beat Generation saß am Steuer und Timothy Leary forschte an der Elite-Universität Harvard an seinem „Mushroom Project“. All dies sollte sich jedoch bald ändern und so wurden LSD und ebenso MDMA (die aktive Komponente in Ecstasy), Psilocybin (der Stoff der Magic Mushrooms) und Ketamin (ein dissoziatives Anästhetikum) als Drogen „ohne jeglichen medizinischen Wert“ verboten.

Erst seit zwei Jahrzehnten erlebt die psychedelische Therapie und Forschung eine Renaissance. Die Tabuisierung bringt nichts, so Gasser. Mit den herkömmlichen Ansätzen befindet sich die Medizin in einer Sackgasse. Seit Jahren schon bestehe ein Mangel an neuen Medikamenten gegen psychische Krankheiten. Mit psychedelischen Drogen hat man nun, jedenfalls in den Augen Gassers, einen Schlüssel gefunden. In der Tat gibt es Indikatoren, die für das Zukunftspotenzial der Drogen sprechen: LSD zeigte sich hilfreich bei der Therapie von Suchtkranken und Angstpatienten, Ketamin wird bereits erfolgreich bei Depressionen angewandt und mit MDMA, Psilocybin sowie THC (die bewusstseinsverändernde Komponente in Marihuana) wurden Patienten mit posttraumatischen Belastungsstörungen behandelt.

Ärzte auf der ganzen Welt stellen zurzeit Anträge, um an den illegalen Substanzen im universitären Umfeld oder in der praktischen Psychotherapie forschen zu dürfen. „Die Medizin entwickelt sich in Wellen, das war schon immer so. Die Kritiker sterben weg, die Enkel machen’s jetzt wieder“, erklärt Jochen Gartz kurz und bündig. Schon zu Zeiten der DDR hatte sich der Chemiker an der Akademie der Wissenschaften mit den chemischen Substanzen in Pilzen beschäftigt, und das ging bis Anfang der 60er Jahre auch relativ problemlos. Dann wurden die Substanzen gesellschaftlich tabuisiert. Dabei haben Psilocybin und THC schon damals bahnbrechende Erfolge gefeiert, in der Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen und Migräne. Gartz kennt die Arbeit seines Kollegen Gasser. Er hält sie in ihrem dezenten Gehalt geradezu für ideal. Der Therapeut sei ein diskreter Begleiter, der nur eingreift, wenn es wirklich sein muss. Der Trip soll sich selbst entwickeln. „Sobald jemand zum Guru-Dasein neigt und die Leute in ihrer Erfahrung aktiv beeinflussen will, halte ich es für riskant.“

Gasser bestätigt, dass es sich bei der LSD-Therapie um eine recht ruhige Angelegenheit handelt. „Ich dränge mich dem Patienten nicht auf. Gespräche werden nur auf Wunsch geführt und manchmal kann eine kurze Berührung schon Wunder bewirken.“ Dazu muss man natürlich das Setting der Praxis ein wenig verwandeln. Sie gleicht nun mehr einem Wohnzimmer mit Teppich, Dimmer, Couch und Bett. Ort und Atmosphäre sind für den Verlauf eines Trips ausschlaggebend. Die Sitzungen seien nicht immer angenehm. Aber genau deswegen ist das Suchtpotenzial bei diesen Substanzen sehr gering.

Dem kann Matthew Johnson, US-amerikanischer Professor von der Johns-Hopkins-Universität, nur zustimmen. Mit Sorge betrachtet er dagegen den aktuellen Hype um Ayahuasca, den halluzinogenen Pflanzensud aus dem Amazonas, der vor allem unter jungen Erwachsenen zum Trend geworden ist. Der Hauptinhaltsstoff in Ayahuasca ist DMT, eine klassisch psychedelische und sehr starke Substanz. „Mir macht es Sorge, wenn sich Menschen völlig unvorbereitet im Urlaub einer solchen Zeremonie hingeben, dem Schamanen ein paar Dollars bezahlen und am nächsten Tag weiterreisen. Da fehlt die Nachbereitung und die ist meist am wichtigsten.“ Dabei ist DMT zur Therapie, besonders von Suchtkrankheiten, in Studien in den USA mit sehr positiven Ergebnissen schon angewandt worden. Seit Jahren forscht Johnson zur Wirksamkeit von Psilocybin gegen Alkoholsucht. Auch er sagt: Es gibt keine Alternative.

Heroin und Kokain

Aber wie frei ist die Forschung schon? Nicht ganz so frei, meint Leor Roseman, Doktorand am Imperial College London. Noch kann ein Forscher, der auf den therapeutischen Nutzen von Drogen setzt, seine Karriere riskieren, glaubt der Wissenschaftler aus Israel, der zwar selbst mit LSD experimentiert, aber nicht glaubt, dass das für den Arzt nötig ist.

„Nein, das ist nicht erforderlich“, findet auch Johnson. Wichtiger sei ein Interesse an Spiritualität Meditation, Yoga, Sweat Lodges – das alles seien bessere Indikatoren, als dass derjenige im College manchmal high war, findet der Professor.

Am Imperial College wurde in den vergangenen Jahren primär die Substanz der Pilze bei der Behandlung von Depressionen erforscht. Nun hat man sich auch hier dem LSD zugewandt. Mithilfe von Neuroradiologie will man die Funktionsweise der noch immer mysteriösen Droge studieren. Es ist kein leichtes Unterfangen: „Die Probanden müssen während ihres Trips in einer Röhre liegen. Bewegungslos. Das ist nicht einfach. Manchmal halte ich ihren Fuß. Einige sagen, das würde sie beruhigen.“ Aber diese Mühen nimmt die Forschergruppe auf sich. Sie hegt die Hoffung, dass man mit LSD so etwas wie die „Standardeinstellung“ des Gehirns gefunden hat. Ein Netzwerk, das allen Persönlichkeitsmerkmalen, Angewohnheiten und Emotionen unterliegt. Die Seele? Die Forscher beschäftigen sich zurzeit vor allem mit dem Ego, das von allen Reizen und Reaktionen isoliert in jedem Menschen vorliegt.

Unterstützt wird die Studie am Imperial College von der Beckley Foundation. Die Stiftung mit Sitz in London hat sich darauf spezialisiert, psychedelische Forschung voranzutreiben und Wissenschaftler finanziell zu unterstützen. Dabei liegt der Schwerpunkt eben auf den psychedelischen Drogen, die es noch besonders schwer hätten. In Europa sei es einfacher, an Heroin und Kokain zu forschen, sagt die Sprecherin der Beckley Foundation, Anna Ermakova. Hinzu kommt: Bei den psychedelischen Drogen fehlt es an wirtschaftlichen Interessen, sie sind zu billig in der Herstellung und zu gering in den Dosen, die ein Nutzer konsumiert.

Der Weg ist steinig, berichtet Ermakova. Zunächst muss eine Lizenz beantragt werden, die bereits sehr teuer ist und auf die man manchmal jahrelang warten muss. Dann folgen mehrere Polizeikontrollen der Einrichtungen. Und schließlich muss auch die Fabrik, die die Substanz herstellt, zertifiziert sein. Auch das kostet Geld. Dies sei ein Grund, warum die Schweiz einen Schritt voraus sei: Dort ist es erlaubt, die Substanzen in den eigenen Laborräumen zu synthetisieren. Der Grund: keine EU-Richtlinien. Und obwohl die Schweiz ein konservatives Land ist, ist die Drogenpolitik erstaunlich liberal, das geht zurück auf Erfahrungen mit den vielen Heroinsüchtigen in den 80er Jahren. „Aber vielleicht liegt es ja auch daran, dass wir das Geburtsland von Albert Hofmann sind“, spielt Gasser auf den LSD-Erfinder an.

Schon in zehn Jahren werde die psychedelische Therapie der Normalfall sein, glaubt Johnson. Für verschiedene Krankheitsbilder wird es verschiedene Ansätze geben und ein psychedelischer gehöre eben genauso dazu. Jetzt gilt es, die ideologischen Hemmschwellen endgültig abzubauen. Auch Gasser fordert einen sachlichen, ergebnisorientierten Ton: „Wenn ich Menschen mit LSD behandle, dann ist das heutzutage kein Ausdruck von Anti-Establishment oder Counterculture der 60er Jahre. Es geht absolut nicht darum, dass Zehntausende auf einer Party legal LSD konsumieren sollen. Aber eine medizinische Studie mit zwölf Patienten, in einer sicheren Umgebung, das muss möglich sein.“

Illustrationen zu dieser Ausgabe

Die Bilder der Ausgabe sind illustrierte Zukunftsvisionen von Klaus Bürgle aus dem letzten Jahrhundert: „90 Prozent waren Forscherwissen, das andere Fantasie und Konstruktion.“ Mehr über den extraterrestrischen Grafiker erfahren Sie im Beitrag von Christine Käppeler

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