Zeit und Ort sind gut gewählt: Herbst, Grippesaison, Haus der Bundespressekonferenz, direkt hinter dem Parlamentsgebäude. Das Setting macht noch mehr Eindruck, wenn man vorher in der U-Bahn eingequetscht war, in einer hustenden und sich schnäuzenden Menge. Hier wird man mit einem Lächeln empfangen. Und mit dem Namen eines Pharmakonzerns. „Guten Tag, Frau X von der Firma Janssen. Darf ich Ihnen die Jacke abnehmen?“ Die meisten der anwesenden Journalisten vertreten Ärzte- und Apothekerzeitschriften. Im Flur lockt ein Büfett mit Rohkost, Vollkornsemmeln, Linseneintopf und Müsli. Man blättert in den Infobroschüren, auf denen ein geschwungenes blaues J, das Logo des Sponsors, prangt. Dann von hinten der Blitz einer Fotokamera: Die Parlamentarier treten ein.
Dass man sich nicht auf einer Werbeveranstaltung für ein neues Medikament, sondern auf der Pressekonferenz des „Young Lions Gesundheitsparlaments“ befindet, wird erst jetzt deutlich. Zwei junge Frauen und vier Männer setzen sich auf ihre Plätze auf dem Podium. Über ihnen lächeln von einem Plakat die restlichen Young Lions, die heute nicht mit von der Partie sein können. Ihr „Gesundheitsparlament“ tagte im März diesen Jahres zum ersten Mal.
Den Nachwuchs einbinden
Janssen-Cilag, Tochtergesellschaft des Pharmariesen Johnson und Johnson, hatte das Projekt eines Parallelparlaments über Plakate an Universitäten, über Zeitschriften und Newsletter bekannt gemacht. Ziel sei es, die Nachwuchs-Generation auf der Suche nach „zukunftsfähigen Lösungen“ für das Gesundheitswesen einzubinden. Von allen Zuschriften wurden 80 angenommen. Wer diesmal kein Glück hatte, könnte nächstes Mal dabei sein: „in der kommenden Legislaturperiode“. Vielleicht wird er dann auch ins Präsidium gewählt, das heute die Arbeit der fünf Abgeordneten-Ausschüsse vorstellt.
Die parlamentarische Begrifflichkeit ist kein Zufall. Vorbild des Gesundheitsparlaments sei der deutsche Bundestag, heißt es in der Vorstellungsrunde. Auch die 16 Bundesländer habe man versucht abzubilden. Der Vorsitzende des Ausschusses „Organisation“, Sebastian Klesper, Gesundheitsökonom, Krawattenträger und mit 25 Jahren Nesthäkchen in der Runde, spricht über seine Erfahrungen des vergangenen halben Jahres. Von Online-Feedback ist die Rede und von der Mühe, einen Konsens zu organisieren und Mehrheiten zu finden. Lydia Neubert, Ausschuss „Dringende Probleme“, erzählt, sie habe Demokratie „mal ausprobieren“ wollen. Nur zu wählen, sei ihr zu wenig. Kollegin Annegret Schnick sagt, Parteipolitik halte sowieso nicht, was sie verspreche. „Ich wollte etwas verändern,“ erklärt sie. „Und hier haben wir eine demokratischere Kultur als unser Vorbild.“
Je länger die jungen Leute reden, desto mehr gerät in den Hintergrund, wer für Fotograf, Kaffeekannen und Powerpoint-Technik bezahlt. Die Infrastruktur für die Treffen alle sechs Monate sowie für Telefonkonferenzen und virtuellen Austausch zwischendurch stellt Janssen. Gearbeitet wird dagegen ehrenamtlich. „Das geht auch schon mal bis vier Uhr nachts,“ sagt Neubert. Die anderen nicken. Ihre Begeisterung wirkt nicht aufgesetzt. „Bessere Patientenversorgung! Ich bin stolz, ein Teil davon zu sein“, schließt Sebastian Klesper.
Warum ein von der Wirtschaft gesponserter Think Tank demokratischer sein soll als das Parteiensystem, wird nur kurz gestreift. „Wir sind nicht abhängig davon, wiedergewählt zu werden“, sagt Schnick. „Wenn du viele alte Leute in deinem Wahlkreis hast, wirst du in der Gesundheitspolitik vor allem an die denken.“ In der Politik herrschten die großen Lobbygruppen. Die 80 Young Lions dagegen kämen aus zu vielen verschiedenen Richtungen, als dass Lobbyismus bei ihnen eine Rolle spielen könnte. Eine Dame aus dem Publikum pflichtet bei. „Das wäre ja auch ein Modell für die große Politik“.
Später, beim Run auf das Büfett, kommt doch noch die Frage auf, was denn die Motivation eines Pharmaunternehmens sein könnte, ein Parlament ins Leben zu rufen. Einer der Abgeordneten mutmaßt, man habe wohl nach einem Weg gesucht, innovative Ideen an die Politik heranzuführen. Das Wort „Werbestrategie“ fällt nicht.
Der Mutterkonzern Johnson und Johnson machte zuletzt durch unerlaubtes Marketing für ein Psychopharmakon von sich reden. Und natürlich ist das Unternehmen nicht das einzige, das versucht, sein angekratztes Image mit ein bisschen sozialem Engagement aufzupolieren. Konzerntochter Janssen finanziert unter anderem einen Informationsdienst für Eltern und die MiMi-Initiative für Familien mit Migrationshintergrund. In der Broschüre zu den Young Lions grenzen sie sich vom unpopulären Spekulationsgeschäft ab. „Wir fragen nicht, wie maximieren wir unser Aktiendepot, sondern, wie revolutionieren wir unser reales Gesundheitswesen“, heißt es dort.
Sie sprechen vom „Initiator“
Bei Gurken- und Karotten-Happen versichern die anwesenden Gesundheitsabgeordneten, dass der Konzern ihnen bei ihrer Arbeit aber freie Hand lasse. Den Namen Janssen nehmen sie dabei gar nicht erst in den Mund. Wie um die Distanz zu wahren, wird nur vom „Initiator“ gesprochen. „Wir können machen, was wir wollen. Auch wenn es dem Initiator mal wehtut.“
Viele Ergebnisse ihrer „parlamentarischen Arbeiten“ konnten sie bei der Pressekonferenz noch nicht präsentieren. Zu lange dauere die Absprache mit allen Mitgliedern im Internet. Eine Richtung ist aber klar erkennbar: Man arbeitet an markt- und wettbewerbsorientierten Konzepten.
Lydia Neubert sagt, sie wolle die Probleme durch die „Brille des Patienten“ betrachten, „beziehungsweise des Kunden und Verbrauchers“. Sebastian Klesper stellt ein „Pay-for-Performance“-Modell für ambulante Leistungen vor, ähnlich dem TÜV-Gütesiegel. Aber, merkt Annegret Schnick an, der Mehrheit in ihrem Ausschuss sei es auch wichtig, den Sozialstaat „nicht aus den Augen zu verlieren“. Darüber sei sie persönlich sehr froh.
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