Es ist kontrovers und es hat die englischen Nationalisten provoziert. Es ist neu und es könnte Bewusstsein schaffen für ein Thema, dass zur Zeit nicht Teil der öffentlichen Debatte ist. Das Give Your Vote Projekt trifft genau den Punkt, den der London School of Economics Professor David Held in seinem Statement über Demokratie und Verantwortlichkeit erklärt:
"Das Problem, welches wir heute haben, hat mindestens zwei Seiten. Viele Entscheidungsträger und Repräsentanten treffen Entscheidungen nicht nur für ihre eigene Wählerschaft, sondern auch für andere jenseits der Grenzen. Wenn die britischen und amerikanischen Politiker Entscheidungen über die nationale Energiepolitik, den Preis von Öl, die Art und Weise wie sie investieren wollen oder ähnliches treffen, dann hat das nicht nur Konsequenzen für ihre eigenen Ländern, sondern auch für andere."
Um die britischen Politiker verantwortlich zu machen gegenüber den Menschen außerhalb der Grenzen des Vereinigten Königreichs, haben die Organisatoren des Give Your Vote Projekts britische Bürger dazu aufgerufen ihre Wählerstimmen in einem Akt von Solidarität den am Projekt teilnehmenden Bürgern in Afghanistan, Bangladesch und Ghana zu schenken.
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Stimmen für die britischen Unterhauswahlen an Menschen außerhalb Großbritanniens zu verschenken mag absurd klingen, da die meisten Themen die vom Unterhaus entschieden werden in erster Linie das Leben der Menschen beeinflussen wird, die in Großbritannien leben, aber es gibt mindestens drei Gründe warum es dennoch sinnvoll sein könnte:
1. Wenn man Menschen in Afghanistan, Bangladesch und Ghana mit Wählerstimmen ausrüstet, dann wird ihnen dass Gehör in den politischen Debatten im Vorfeld zur Wahl verschaffen. Politiker könnten daraufhin ihre Meinung in Bereichen wie Klima, Sicherheits-, Landwirtschafts- und Entwicklungspolitik verändern - ihnen würde zur Meinungsbildung das Wissen der Menschen zur Verfügung stehen, die im Endeffekt von der Politik betroffen sind.
2. Um so mehr Stimmen am Ende verschenkt werden, um so größer wird der Effekt auf die Weltöffentlichkeit. Wenn sich genügend Menschen dazu entscheiden, ihre Stimmen zu verschenken, dann wird dies ein klares Signal an diejenigen aussenden, die die politische Macht in ihren Händen halten - das veraltete Prinzip imperialistischer nationalstaatlicher Souveränität muss ersetzt werden durch demokratische Subsidiarität.
Nobelpreisträger und Veteran der Anti-Apartheid-Bewegung, Desmond Tutu, einer der prominenten Unterstützer des Give Your Vote Projekts, fordert: "We need to rethink our politics for today's world. We must strive for a global democracy, in which not only the rich and the powerful have a say, but which treats everyone, everywhere with dignity and respect."
3. Offener Dialog zwischen Kulturen hilft das gegenseitige Verständnis zu verbessern. Die Menschen der westlichen Welt sind sich der friedlichen afghanischen Gesellschaft überhaupt nicht bewusst: weder bezüglich der Probleme der Armen, noch der zivilgesellschaftlichen Gruppen von Aktivisten und mit Sicherheit auch nicht der Fernsehsendung, die den nächsten Afghanstar sucht.
Das gleiche gilt natürlich auch für Bangladesch und Ghana: wir als Europäer schließen oft die Augen, wenn es darum geht, dass Menschen umgesiedelt werden, weil der Meeresspiegel steigt oder wenn Bauern aufgrund ungerechter Handelspolitik ihre Existenz verlieren. Dieses Projekt hat das Potential unsere und vor allem die Augen der Briten zu öffnen.
Menschen auf den Straßen Londons zum Give Your Vote Projekt:
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Zeitplan:
- Projektstart in Afghanistan, Bangladesch and Ghana wird der 30.März sein
- der "World UK Vote" day wird am 30. April stattfinden
- die britischen Unterhauswahlen werden vermutlich am 6.Mai stattfinden
Details dazu wie es funktioniert: giveyourvote.org
Give Your Vote auf facebook: facebook.com/giveyourvote
Give Your Vote bei twitter: twitter.com/giveyourvote
Ein Artikel in der NY Times: Activists urge Britons
Ein Artikel im TIME Magazin:Giving Afghans (and More) a Vote
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(Foto: Loungerie/Flickr)
Kommentare 5
Ich halte ja gemeinhin nicht gerade viel von Wahlen, aber die Idee, mit seinem Wahlzettel Öffentlichkeit zu schaffen und die Menschen mit ins Boot zu holen, die europäische Politik ganz ungefragt ertragen müssen, also die Idee finde ich GENIAL!
Immer wenn man denkt, es geht nicht mehr dümmer, kommen ein paar Gutmenschen um die Ecke und beweisen: Doch, es geht!
Abgesehen davon, daß es zutiefst undemokratisch ist, Menschen, die gar nicht in einem Gemeinwesen leben, über dessen Belange abstimmen zu lassen: Was steht am Ende dieser Aktion? Die Totalaufgabe eigener Bedürfnisse und Interessen zugunsten einer imaginierten Weltgemeinschaft? Oder gleich die gerichtlich verfügte Totalentmündigung?
Man kann nur noch den Kopf schütteln...
Und noch eins: Die völlige Abwesenheit von Hirn bei dieser "Idee" zeigt sich schon an der Tatsache, daß es den Beschenkten ziemlich schwer fallen dürfte, ihr neugewonnenes Wahlrecht auch adäquat auszuüben. Wenn ich mir vorstelle, wie wenig ich über die Politik, die Parteien und die Themen in Indien weiß, dann wird dies umgekehrt nicht viel anders sein. Aber vielleicht führen die Initiatoren dieser Aktion ihren Schützlingen den Bleistift – natürlich demokratisch korrekt :-)
Sehr geehrter Silversurfer,
ich möchte Ihnen nicht total widersprechen, aber Sie gerne anregen sich die Sache noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Was bedeutet demokratisch? (Aus dem Griechischen Demos=das Volk und Kratia=die Herrschaft. Wer ist das Volk?)
Das Problem in der heutigen Welt ist, dass sich Politik immer weniger in Innen- und Außenpolitik aufteilen lässt. Wenn man sich z.B. die Debatte über die Finanzkrise, den Klimawandel oder Arbeitsstandards anschaut, wird das recht schnell deutlich.
Es stellt sich auch die Frage, ob eine Aufteilung in Innen- und Außenpolitik überhaupt sinnvoll ist und wie wir auf diese Veränderung reagieren sollten?
Give Your Vote macht im Grunde nur zwei Sachen:
1. es macht auf die angesprochene Vermischung von Innen- und Außenpolitik aufmerksam.
2. es gibt einer kleinen Gruppe von Menschen in Afghanistan, Bangladesch und Ghana die Möglichkeit sich am politischen Prozess zu beteiligen, der ihr Leben betrifft.
Bereits jetzt sammeln die Initiatoren Fragen von den Menschen in Afghanistan, Bangladesch und Ghana, die später den Kandidaten der Parteien zur Beantwortung weitergeleitet werden. (Natürlich werden die Texte auch übersetzt).
Vielleicht würden Sie sich ja auch über indische Parteien informieren, wenn Sie dort eine Stimme bekämen. Das wäre auf alle Fälle für ein besseres kulturelles Verständnis von Vorteil.