Eine Schlüsselrolle in der ukrainischen Krise, die zu den tödlich verlaufenen Protesten und schließlich im Februar 2014 zur Absetzung von Präsident Viktor Janukowitsch führte, spielte dessen ablehnende Haltung gegenüber dem Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union zur Ausweitung des gemeinsamen Handels und der Integration der Ukraine in den europäischen Staatenbund. Dieses Abkommen war an einen Kredit des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Höhe von 17 Milliarden Dollar geknüpft.
Nach der Machtübernahme durch die prowestliche Regierung leitete der IWF als Vorbedingung für die Kreditvergabe ein Reformprogramm ein, das auf die Förderung von Privatinvestitionen im Lande abzielte. Das Maßnahmenpaket beinhaltete auch die Reform der öffentlichen Wasser- und Stromversorgung und die Beseitigung dessen, was die Weltbank als „strukturelle Ursachen“ der derzeitigen ukrainischen Wirtschaftskrise bezeichnet hat: die hohen Kosten für Unternehmen, die in dem Land Geschäfte machen. Der ukrainische Agrarsektor gehört zu den vorrangigen Zielen ausländischer Privatinvestitionen und wird vom IWF und von der Weltbank deshalb als prioritär reformbedürftig eingestuft. Beide Finanzinstitutionen loben die Bereitschaft der neuen Regierung, ihren Empfehlungen zu folgen.
So sehen die vom Ausland vorangetriebenen Agrarreformpläne für die Ukraine den erleichterten Zugang zu Agrarland, weniger Regulierung und Kontrollen im Nahrungsmittel- und Nutzpflanzensektor und die Senkung von Steuern und Zöllen für Unternehmen vor. Der Aufwand, der um den ukrainischen Agrarsektor mit seinen ausgedehnten Schwarzerdeböden betrieben wird, könnte kaum höher sein. Das drittgrößte Mais- und fünftgrößte Weizenexportland der Welt verfügt über mehr als 32 Millionen Hektar fruchtbares Ackerland. Das entspricht in etwa einem Drittel der gesamten EU-Agrarfläche.
Monsanto ist präsent
Das Taktieren um die Kontrolle des Landwirtschaftssektors ist ein ausschlaggebender Faktor im größten Ost-West-Konflikt seit dem Kalten Krieg. Ausländische Unternehmen weiten ihren Einfluss auf den ukrainischen Agrarsektor schnell aus. In den letzten Jahren wurden ihnen mehr als 1,6 Millionen Hektar Land für die landwirtschaftliche Nutzung überlassen.
Agrarkonzerne wie Monsanto, Cargill und DuPont sind bereits seit geraumer Zeit in der Ukraine präsent und haben ihre Investitionen in den letzten Jahren erheblich erhöht. Cargill, Anbieter von Pestiziden, Saatgut und Düngemitteln, hat kürzlich in Getreidespeicher und den Futtermittelsektor investiert und erwarb außerdem Anteile an UkrLandFarming, dem größten Agrarunternehmen des Landes. Auch die Firma Monsanto ist seit Jahren in der Ukraine tätig. Sie hat ihren dortigen Mitarbeiterstab in den letzten drei Jahren verdoppelt. Im März 2014, nur Wochen nach der Absetzung von Janukowitsch, investierte das Unternehmen vor Ort 140 Millionen Dollar in den Aufbau einer neuen Saatgutfabrik. Auch DuPont expandiert. Im Juni 2013 hatte der Konzern ebenfalls den Bau einer Saatgutfabrik in der Ukraine angekündigt.
Westliche Konzerne haben nicht nur die Kontrolle über einige profitable Bereiche der Landwirtschaft übernommen, sondern mit einer vertikalen Integration des Agrarsektors begonnen. Auch sind sie zunehmend erfolgreich in den Bemühungen, sich den Zugriff auf den Infrastruktur- und Verkehrsbereich zu sichern. So besitzt Cargill in der Ukraine inzwischen mindestens vier Getreidesilos und zwei Fabriken zur Herstellung von Sonnenblumenöl. Im Dezember 2013 erwarb das Unternehmen einen Anteil von 25 Prozent plus eine Aktie an einem Getreideterminal in der Hafenstadt Noworossijsk am Schwarzen Meer, der über eine jährliche Verladekapazität von 3,5 Millionen Tonnen Getreide verfügt.
Alle Aspekte der ukrainischen Agrarlieferkette – von der Produktion landwirtschaftlicher Inputs bis zum Export der Ware – werden auf diese Weise zunehmend von westlichen Firmen kontrolliert.
Der Expansionskurs erfreut sich der tatkräftigen Unterstützung von europäischen Institutionen und der US-Regierung. Dazu gehören auch die Bemühungen für einen politischen Wandel zur Zeit des als pro-russisch angesehenen ukrainischen Präsidenten Janukowitsch und das Werben für eine wirtschaftsfreundliche Reformagenda, wie US-Handelsministerin Penny Pritzker sie dann im Oktober 2014 dem Ministerpräsidenten Arsenij Jazenjuk bei einem Treffen erläuterte.
Die Europäische Union und die USA arbeiten bei der Übernahme der ukrainischen Landwirtschaft eng zusammen. Obwohl die Ukraine die Herstellung von genetisch verändertem Saatgut nicht erlaubt, enthält das Assoziierungsabkommen zwischen der Ukraine und der EU, an dem sich der Konflikt entzündet hatte, der zur Absetzung von Janukowitsch führte, in Artikel 404 eine Klausel, in der sich beide Vertragspartner verpflichten, „die Anwendung der Biotechnologie innerhalb des Landes auszuweiten“.
Die Aufnahme dieser Klausel ist umso erstaunlicher, als die meisten europäischen Verbraucher genetisch veränderte Produkte ablehnen. Die Klausel bedeutet allerdings einen Türöffner, wie ihn sich die großen Agro- und Saatgutkonzerne wie Monsanto wünschen, um ihre Genprodukte auf den europäischen Markt zu bringen.
Die Ukraine für den Anbau von Gensaaten zu erschließen bedeutet, sich über den Willen der europäischen Verbraucher hinwegzusetzen. Dass die Ukrainer von einem solchen Wandel profitieren, ist ebenso fraglich wie der Nutzen des Massenansturms der ausländischen Investoren auf die ukrainische Landwirtschaft für die sieben Millionen Bauern des Landes.
Wenn der Konflikt um den „prorussischen“ Teil der Ukraine einmal aus dem Blickwinkel der Ukrainer verschwunden sein wird, werden sie sich vielleicht fragen, was von der Fähigkeit ihres Landes übrig geblieben ist, seine Nahrungsmittelversorgung zu kontrollieren und die Wirtschaft zum eigenen Nutzen zu steuern.
Und die Bürgerinnen und Bürger in den USA und in Europa? Werden sie irgendwann die Schlagzeilen und die Rhetorik von der russischen Aggression und den Menschenrechtsverletzungen hinter sich lassen und das Engagement ihrer Regierungen im Ukraine-Konflikt kritisch hinterfragen?
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