„Die Welt braucht weniger Arbeit!“

Buchbesprechung Wir wollen weniger arbeiten oder doch lieber mehr verdienen? Was ist unsere Priorität: Konsum oder die freie Zeiteinteilung?

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Die Weltwirtschaftskrise hat auf frappierende Weise deutlich gemacht, dass die Ökonomen des Kapitals ihr eigenes Wirtschaftssystem nicht kontrollieren und verstehen können. Stattdessen haben Kapitalakkumulation und die Umweltausbeutung zu einer, nach Marx, typischen Krise des Kapitals geführt. Doch welche Schlussfolgerungen müssen wir als Arbeitnehmer daraus ziehen? Eine Buchbesprechung.

David Graeber versucht mit seiner Essaysammlung eine passend Analyse der aktuellen antikapitalistischen Bewegung im historischen und zeitgenössischen Kontext zu verfassen, um daraus Schlussfolgerungen ziehen zu können. Dabei werden der Realsozialismus und der Anarchismus gegeneinandergestellt, um das „bessere“ System „dem Antikapitalisten“ als Alternative anzubieten.

Weltwirtschaftskrise
Graeber geht davon aus, dass die antikapitalistische Linke in den letzten zehn Jahren starken Zulauf erhalten hat, nicht zuletzt aufgrund der weltweiten Finanzkrise. Das aktive Moment sieht er in „Anarchistisch-Bewegungsorientierten Gruppen“ und nicht in sozialistischen Kreisen. Wichtigste Vorraussetzung dabei bleibt die Erkenntnis, dass alle Lohnabhängigen Arbeiter sind und im selben Boot sitzen, das wenn wir nicht handeln, untergeht.
Anarchismus vs. Kapitalismus vs. Realsozialismus
Graeber verortet das Problem des Realsozialismus des 20. Jahrhunderts im Arbeitsethos. Genau wie die Gewerkschaften im heutigen Kapitalismus ging es den Bürokraten um die Produktivitätsmaximierung, um somit den Konsum anzukurbeln und auf größere Bevölkerungsgruppen auszuweiten zu können. Dies, so Graeber, würde den Bedürfnissen des Menschen nicht entsprechen. Denn der faktisch einzige Zugewinn der Menschen im Realsozialismus war, dass sie ihren Arbeitsplatz nicht verlieren konnten und somit nur wenige Stunden am Tag mit realer Arbeit zubrachten. Nicht nur der Kapitalist und die Mittelschicht sehen in der Arbeitszeit das Heil, sondern auch der „bürokratische Sozialist“, so der Vorwurf: Die Menschheit hat alles Gute ihrer Geschichte in der Freizeit bzw. in ihrer Kreativzeit hervorgebracht, nicht während sie produktiv war: „Von Sis Kebab bis Rock’n’roll. […] Die Welt braucht weniger Arbeit“ (S. 186), schließt Graeber.

Der Autor plädiert für eine Entbürokratisierung des Lebens, für eine Entstaatlichung und ein Ende des kapitalistischen Wahnsinns:

„Wie kommt es, dass wir Geld inzwischen behandeln, als sei es eine knappe Ressource wie Öl, obwohl Geld doch im Grunde lediglich eine gesellschaftliche Beziehung darstellt und demzufolge grenzenlos vermehrbar ist? Mit Öl wiederum, das unbestreitbar eine knappe Ressource ist, wird verfahren, als sei es Geld, also etwas, das man mit vollen Händen ausgeben kann […]“

Er verweist zudem darauf, dass sich die herrschende Klasse beizeiten die guten Ideen der aktiven linken Szene aneignen wird, um diese zu pervertieren und als Unterdrückungssystem gegen die Arbeiterklasse einzusetzen.

Kommunismus im Alltag
Im zweiten Kapitel des Buches wird ein strategischer Plan von unterschiedlichen Gruppen gezeichnet. Dabei gliedert sich der Verlauf jedes Mal in drei Teile: einem kurzfristigem, einem mittelfristigem und einem langfristigem Ziel. Letzteres ist dabei immer die Überwindung des Kapitalismus. Dabei wirft er die Frage auf, wie wir nicht-sozialistischen AktivistInnen die Vorurteile gegenüber dem Kommunismus nehmen können:

„Im Grunde genommen meint Kommunismus eigentlich nur eine beliebige Situation, in der Menschen nach dem Grundsatz: ‚Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen‘ handeln“ (S. 65)

Kommunismus ist somit in unserem Alltag integriert und kommt immer dort zum Vorschein, wo kapitalistische oder bürokratische Strukturen unseren Alltag nicht erfasst haben. Auch nach Umweltkatastrophen, Krieg oder Krisen tauchen immer wieder vulgärkommunistische Ansätze auf, in denen die Menschen versuchen sich gegenseitig, ohne den Wunsch nach Gegenleistung, zu helfen. Daraus folgert Graeber, dass die kapitalistische Medienlandschaft umso erpichter darauf ist, den Kommunismus als Utopie abzutun, desto größer die Krise, um Menschen vom Wunsch auf eine Alternative abzubringen.

Insgesamt versucht David Graeber die Vorurteile gegen Systemalternativen abzubauen: In dem er z.B. den Alltagskommunismus benennt, den Realsozialismus als „nicht sozialistisch“ tituliert und den Anarchismus als menschliches Bedürfnis beschreibt zeigt er auf, dass der Kapitalismus in „normalen“, nicht bürokratisierten Formen des menschlichen Umgangs nicht eminent ist. An manchen Stellen ist die Argumentation zu kurz geraten, was aber der Buchlänge geschuldet ist. Einziges Manko: Die zu kurz geratene Beschreibung moderner Sozialismus Theorien als Systemalternative zum Kapitalismus.

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