Staatskapitalismus in China

staatskapitalismus China ein revolutionärer Staat?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

“The Road to Tiananmen Square”, ein Büchlein von Charlie Hore über den Staatskapitalismus in China zwischen 1925 und 1989 ist zwar nur noch antiquarisch zu haben, aber eine Lektüre lohnt sich für jeden, der an China oder an der Arbeiterbewegung interessiert ist!

Der chinesische Bürgerkrieg und der Sieg der KP Chinas

Noch Anfang des 20. Jahrhunderts war China ein unterentwickeltes Land, dass vom Westen unterdrückt, ausgeplündert und gedemütigt wurde. Die verfaulende Kaiserdynastie der Qing, die sich dem Westen demütig unterordnete, regierte noch bis 1911. Erhebungen der empörten Bevölkerung ermöglichten den Sturz der verhassten kaiserlichen Herrscher. Aber China war seit dem jahrzehntelang zwischen rivalisierenden Machthabern geteilt, deren Macht auf militärischer Gewalt beruhte. Die Bevölkerung wollte diese korrupten Diktatoren endlich loswerden und endlich in einer besseren Gesellschaft leben. Die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) unter Mao Zedong schien eine Alternative zu bieten. Daher gewann sie den Kampf gegen alle anderen politischen Rivalen in China nach einem langen Bürgerkrieg. Am 1. Oktober 1949 proklamierte Mao Zedong schließlich die Gründung der Volksrepublik China auf dem Platz des himmlischen Friedens in Peking. Charlie Hore schreibt dazu:

Die Revolution von 1949 war eines der folgenschwersten und einflussreichsten Ereignisse des Jahrhunderts. Die alte Ordnung, die von Warlords, Polizeiterror und der Rivalität zwischen dem japanischem und westlichem Imperialismus beherrscht war, wurde von einer millionenstarken Armee gestürzt. Für ein Viertel der Weltbevölkerung schien nun der Weg geebnet aus Armut, Elend und Hunger und für die Schaffung einer besseren Gesellschaft. Für weitere Millionen auf der ganzen Welt schien dies ein großes Vorbild zu sein.

Aber Maos Revolution war keine sozialistische oder kommunistische, so Hore, sondern eine nationalistische! Wie in Vietnam oder Kuba wurde

eine alte, korrupte herrschende Klasse bzw. eine sehr geschwächte koloniale Macht von Bauernarmeen gestürzt, die von nationalistischen Kräften aus den städtischen Mittelklassen kamen.

Maos nationalistisch ausgerichtete “kommunistische” Partei hatte aber auch gar nicht die Selbstbefreiung der Arbeiter und Bauern im Sinne, sondern etwas ganz anderes:

Das Ziel war der Aufbau einer starken und unabhängigen Volkswirtschaft, auf Augenhöhe [mit den anderen Nationen] innerhalb der Weltwirtschaft konkurrieren können sollte. Die Bedürfnisse und Erwartungen der chinesischen Arbeiter und Bauern wurden diesem Ziel stets untergeordnet.

Was erreichte die Diktatur der Kommunistische Partei in China also? Kommunismus oder etwas völlig anderes?

Marxistischer Kommunismus und maoistischer “Kommunismus”

Verwirrender Weise wird die gegenwärtige Gesellschaft China häufig noch als “kommunistisch” bezeichnet. Nimmt man diese Bezeichnung ernst, dann dürften die Autoren des “Kommunistischen Manifestes” und Gründerväter des modernen Kommunismus, Marx und Engels, keine Kommunisten gewesen sein.

Für Marx und Engels bedeutete Kommunismus vor allem eine organisierte radikaldemokratische und antikapitalistische Massenbewegung zur Selbstbefreiung der Arbeiter vom Kapitalismus. Der Marxismus lehnte die Idee ab, dass eine diktatorische Minderheit oder eine andere Klasse als die Arbeiter den Kapitalismus überwinden könnten. Nur die Arbeiterklasse würde durch ökonomische und politische Kämpfe eine demokratische, kommunistische Gesellschaft nach dem Kapitalismus erschaffen können. Nur diese Klasse könne dafür eine genügend große Kraft im gemeinsamen Kampf erreichen.

Der chinesische “Kommunismus”, der Maoismus, lehnte diese marxistischen Grundideen ab. Und was er erschuf, war keine kommunistische, klassenlose Gesellschaft, sondern eine neue Form von bürokratischem Staatskapitalismus, der sich mit roten Fahnen und Marx-Zitaten schmückte. Die Bauern, die Maos Sieg sicherten, schufen keine wesentlich bessere Gesellschaft, sondern verhalfen bloß den roten Bürokraten der KPCh dazu, eine neue unsegliche Diktatur zu errichten. Die modernen Industriearbeiter, die Mao angeblich vertrat, spielten beim Sieg der KP keine Rolle. Aber wieso?

Die vernichtende Niederlage der Arbeiterbewegung in China

Maos Slogan “Die politische Macht kommt aus den Gewehrläufen” spiegelte seinen Weg zur Macht wider. Bevor Mao und seine Partei im Bürgerkrieg siegen konnten, haben sie die Bauern für ihren Kampf gewonnen. Der Bürgerkrieg wurde durch einer Bauernarmee gewonnen, nicht durch eine Arbeiterbewegung.

Dennoch hatte es ein Mal eine erwachende Arbeiterbewegung in China gegeben. In den Jahren 1925-1927 waren Millionen Arbeiter in den Städten des entwickelteren Ostens organisiert. Außerdem waren sie durch die politische und ökonomische Lage radikalisiert. Viele von ihnen waren radikale Demokraten, Sozialisten und Kommunisten. Viele waren weit radikaler als die Partei-Kommunisten. Bis dahin setzte die Partei im Sinne von Marx und Engels noch auf diese radikalen städtischen Arbeiter, die eine neue Gesellschaft wollten. Aber die KPCh führte diese Arbeiter letztlich ins Verderben.

Nach der Oktoberrevolution in Russland 1917 wurde die KP in Russland zur führenden kommunistischen Partei der Welt. Aber nach Krieg, westlicher Invasion und einem verheerenden Bürgerkrieg waren die Errungenschaften der Revolution in Russland so gut wie zerstört. Die radikale russische Arbeiterklasse war dezimiert und verlor an Einfluss auf die Kommunisten. Die KP, die in Russland nur mit Hilfe der Arbeiter und Bauern an die Macht gelangen konnte, wurde unter den neuen katastrophalen Bedingungen zu einer herrschenden Bürokratie, die ihre eigenen Interessen entwickelte. Ohne Kontrolle durch die Arbeiter und isoliert vom Rest der internationalen Arbeiterbewegung, musste die neue rote Regierung immer mehr auf Zwang und Unterdrückung setzen. Sie unterdrückte ironischer Weise mehr und mehr die Arbeiter und Bauern, welche sie noch stark gemacht hatten. Unter Stalins Führung degenerierten die russische Revolution und die KP ab Mitte der 20er Jahre dann völlig. Aus dem revolutionärem Internationalismus der radikalen russischen Arbeiterbewegung von 1917 wurde der konservative Nationalismus der neuen herrschenden Parteibürokratie.

Eben diese russische KP-Bürokratie unter Stalin hatte seit den 20ern kein Interesse daran, dass die chinesische KP eine Revolution gewinnen würde. Sie war stattdessen an stabilen internationalen Beziehungen interessiert, die ihre eigene Herrschaft nicht bedrohen würden. Mit fortlaufenden revolutionären Erhebungen wäre dies nicht möglich gewesen. Die russische Bürokratie unterstützte daher nicht vorrangig die KP, sondern die nationalistische Partei in China, die Guomindang. Der mächtige Führer dieser Partei, Chiang Kai-shek verbündete sich formal zwar mit der Sowjetunion und den chinesischen Kommunisten, aber in den Jahren 1925-1927 zerschlug er hinterhältig die gesamte chinesische Arbeiterbewegung. Als Präsident der Republik Chinas im Osten des Landes nutzte er polizeistaatliche Methoden wie rigide Überwachung, Drohungen, Terror, Massenmord und seine Mafiakontakte, um seine linken Rivalen zu vernichten.

Ermöglicht hat diese Niederlage aber erst die katastrophale Politik Stalins und der KPCh. Die Kommunisten setzten nicht auf Massenstreik, Demonstrationen und den politischen Kampf gegen die Nationalisten der Guomindang, sondern hofften auf Befehl Stalins auf eine friedliche Beziehung zwischen Arbeiterbewegung und Guomindang. Die Niederlage der chinesischen Arbeiterbewegung war also durch die Weisungen Stalins verschuldet.

Die Formierung des kommandowirtschaftlichen Staatskapitalismus unter Mao

Dennoch gewann am Ende die chinesische KP den Bürgerkrieg. Nach der Zerschlagung der Arbeiterbewegung in den Städten Chinas setze die KP unter Mao völlig auf die bewaffnete Landbevölkerung. Deren zahlenmäßige Überlegenheit gegenüber den Armeen der Warlords und Chiang Kai-sheks waren der Schlüssel zum Sieg der KP. Anders als noch in Russland war die Machtübernahme durch die KP nicht der politische Sieg einer demokratischen Arbeiterbewegung, sondern der Sieg einer militaristischen und bereits in den 20er Jahren undemokratisch gewordenen Parteibürokratie. Und nicht die Bauern beherrschten die Partei, sondern die Partei die Bauern. Trotz des kommunistischen Vokabulars in China wurde das Land weder klassenlos, noch staatenlos oder zur Arbeiterdemokratie im Sinne von Marx. China wurde seit 1949 eine rot lackierte Klassengesellschaft.

Der bürokratische Staatskapitalismus, der sich seit 1949 in China entwickelte, war durch mehrere Besonderheiten gekennzeichnet: hoher Anteil des Staatssektors an der Wirtschaft, fast absolute Kontrolle der Wirtschaft durch den Staat, starke Verflechtung von privatem und staatlichem Kapital, absolute Priorität der Schwer- und Rüstungsindustrie gegenüber der Leicht- und Konsumgüterindustrie, eine Bürokratenherrschaft bzw. eine Ein-Parteien-Diktatur unter dem Vorsitzenden Mao und mehrere Katastrophen nach politischen Massenkampagnen, die er jeweils anzettelte.

Die Verstaatlichung von Land und von Privateigentum in den Städten waren Methoden, um die Herrschaft des Parteistaates zu sichern und die Wirtschaft kontrollierter entwickeln zu können. Der Terror, der in Massenkampagnen seinen Ausdruck fand, war eine Methode, um politischen Widerstand gegen Maos Diktatur zu brechen. Auch hohe Parteiführer wie Deng Xiaoping, Liu Shaoqi und Zhou Enlai wurden vom Terror nicht verschont. “Der Große Sprung nach vorn” etwa war ein wahnsinniger Versuch der Anhänger Maos, die chinesische Wirtschaft durch höchsten Einsatz aller Kräfte zu entwickeln. Die “Große Proletarische Kulturrevolution” war weder proletarisch, noch eine Umwälzung der alten Kultur, sondern es war ein Machtkampf zwischen Maos Leuten und den pragmatischeren “Modernisierern” in der Partei. Die Folgen des Größenwahns und der innerparteilichen Kämpfe waren eine enorme Zerstörung von Kultur, enormes wirtschaftliches Versagen, das größte Hungersterben des Jahrhunderts mit Millionen Verhungerten und weitere Millionen Getötete.

Marktradikaler Staatskapitalismus mit chinesischen Merkmalen

Nach Maos Tod kamen die “Modernisierer” um Deng Xiaoping an die Macht. Sie führten Wirtschaftsreformen durch, die die Kommandowirtschaft, den Anteil des Staatssektors und die Macht der Zentralregierung verminderten. Zuvor fest angestellte staatliche Arbeiter und Bauern wurden zu Lohnarbeitern, die ihre Arbeitskraft auf dem Markt verkaufen müssen. Außerdem wurde die zuvor abgekoppelte Wirtschaft wieder dem Weltmarkt geöffnet. Aus dem einst unterdrückten Land ist dadurch mittlerweile die zweitstärkste Volkswirtschaft geworden. Die Parteidiktatur der herrschenden Bürokratenklasse ist damit aber nicht verschwunden, sondern hat nur ihre Form verändert. Bei der Privatisierung von Staatseigentum haben sich die roten Bürokraten so weit bereichert wie sie konnten und sind damit zu privaten Kapitalisten geworden, wie man sie aus dem Westen kennt. Bürokraten und Kapitalisten teilen sich nun die Herrschaft über China. Für die Herrschenden ist es vorteilhaft, dass es keine bürgerliche Demokratie wie im Westen gibt. Da es keine demokratischen Wahlen gibt, die die Meinung der Chinesen widerspiegeln könnten, kann jeder Widerstand der Bevölkerung leicht als Kampf von wild gewordenen Volksfeinden oder Agenten des Westens gegen den chinesischen “Sozialismus” diffamiert und unterdrückt werden.

Widerstand und sich zuspitzende Widersprüche des staatskapitalistischen Systems

Der Widerstand der Bevölkerung konnte aber nie völlig erstickt werden. Stets gab es neu aufflammenden Widerstand gegen die rote Klassenherrschaft. Arbeiter und städtische Intellektuelle forderten immer wieder eine Demokratisierung – ob unter Mao oder unter den “Modernisierern”. Immer wieder protestierten die Menschen massenweise für ihre Interessen. Shengwulian, eine besonders radikale Gruppe von antimaoistischen Kommunisten, schrieb 1968 über die Herrschaft der Bürokraten:

die grundlegenden sozialen Widersprüche, die zur Großen Proletarischen Kulturrevolution geführt hatten, sind Widersprüche zwischen der Herrschaft der neuen bürokratischen Bourgeoisie und der Masse der Bevölkerung. Die Entwicklung und Intensivierung dieser Widersprüche führt dazu, dass die Gesellschaft einen tieferen Wandel benötigt – den Sturz der bürokratischen Bourgeoisie, eine gründliche Zerschlagung der alten Staatsmaschinerie, eine Umverteilung von Eigentum und Macht und die Gründung einer neuen Gesellschaft – der Volkskommune Chinas.

Die Studenten- und Arbeiterproteste 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens, auf dem Mao 40 Jahre zuvor die Gründung der Volksrepublik proklamiert hatte, waren bisher der größte Aufstand der chinesischen Bevölkerung gegen die Bürokratie. Ihre blutige Niederschlagung zeigt, dass China von Demokratie und Kommunismus im Marxschen Sinne noch weit entfernt ist.
Um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie eine mutige Bevölkerung immer wieder für die eigene Befreiung und Demokratie gekämpft hat, obwohl sie stets von kapitalistischen Ausbeutern und Diktatoren unterdrückt wurde, sollte man sich mit Charlie Hores immer noch tollem Buch beschäftigen.http://www.assoc-amazon.de/e/ir?t=diefreihe-21&l=as2&o=3&a=0906224616

Der Beitrag wurde zuerst hier veröffentlicht!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden