A-Z Model Im Fernsehen hat Heidi Klum Konkurrenz bekommen: Neben "Germany's Next Topmodel" wird jetzt "Das perfekte Model" gekürt. Auch im Realen regiert das Casting-Prinzip
Mädels aufgepasst, eure Konkurrenz auf dem Laufsteg ist männlich und heißt Andrej Pejic. Der 20-jährige Australier mit bosnischen Wurzeln ist das einzige prominente Model, das Männer- und Frauenmode präsentiert. Pejic wurde angeblich als Frau entdeckt – der Erzählung nach auf einem Flughafen, in einem McDonalds oder während er auf einem Markt in Melbourne Erdbeeren verkaufte. Die Vagheit hat Strategie, mal fühle er sich eben als Mann, mal als Frau. Ohne viel Schminke, doch mit langem blondem Haar läuft er etwa für Gaultier und Galliano über den Laufsteg. Auch vor Unterwäsche macht Pejic nicht Halt: das holländische Geschäft Hema engagierte ihn für die neue Kollektion. In Amerika dagegen forderte d
Amerika dagegen forderte die größte amerikanische Buchhandelskette einen Schutzumschlag für das Mai-Cover des Magazins Dossier: Die entblößte (naja, flache) Brust verwirre zu sehr. Gina BucherCastingErinnert sich eigentlich noch jemand? Früher fanden „Castings“ tatsächlich nur in der Mode- und Filmbranche statt. Die Ansprüche waren noch bescheiden: Models hatten gewisse optische Kriterien zu erfüllen, darüber hinaus interessierten sie in der Prä-Top-Model-Ära nicht groß. Der Beruf versprach aber dennoch Jet-Set-Leben und schnelles Geld ohne allzu viel Anstrengung.Heute trichtert Heidi Klum ihren Eleven hingegen ein protestantisches Arbeitsethos ein („Wenn du dich nicht mehr anstrengst, bist du raus!“). Die Betonung der permanenten Leistungskontrolle und die Omnipräsenz der TV-Castings haben dazu geführt, dass aus dem Prinzip der Castingshow eine Metapher fürs Leben wurde. Stehen wir nicht alle in Job und Privatleben ständig vor Jurys? Nein, es ist schlimmer. Reale Castingsituationen sind nicht so häufig. Wir haben das Prinzip des Konkurrierens und Selektierens aber verinnerlicht. Deshalb kann man die Castingshow nicht mehr abschalten. Sie ist überall. Jan PfaffDemokratieAufgeklärte, engagierte Bürger und Bürgerinnen sind nicht nur etwas sehr kostbares, sie sind auch rar. Veranstalter von Protestkundgebungen und Demonstrationen aller Art kämpfen in unserer engagierten Demokratie jedenfalls nachhaltig mit behäbigen Mitmenschen, die sich freiwillig maximal als Konsumenten in eine Kassenschlange begeben, aber auch nur wegen der Bonuspunktesammelaktion. Dank neudemokratischem Erfindungsgeist gibt es auch dafür eine Lösung: Internetportale für Protestprotagonisten – Studierende, die dazuverdienen müssen. Susanne LangDiätDie Sorge ums Gewicht ist für Models existenziell. Kein Wunder, dass einige zu extremen Mitteln greifen, um den Karrierekörper in Form zu halten. Sie schlucken zum Magentäuschen zum Beispiel Watte – meist in Wasser oder Orangensaft getunkt. Eine sanfte Diät mag man das nicht nennen: Es besteht Darmverschlussrisiko. Auch andere Sattmacher-Techniken schrammen nur haarscharf an der Magersucht vorbei. Dem nüchternen Magen soll Zitronensaft den Appetit versauern, Abführmittel sind die Pillen für danach, wenn der Hunger die Überhand gewann. Sienna Miller schwört auf Wodka und zeigt sich so beispielgebend mit Drunkorexia, der viele junge US-Frauen anhängen: Um auf Alkohol trotz Kalorien nicht verzichten zu müssen, gibt’s den Tag über sonst nichts. Tobias Prüwer EntdeckerSie sind Abenteurer. Sie machen sich auf zu neuen Ufern der Welt, des Kosmos und – der Mode. Dabei werden Models typischerweise in mehreren Etappen entdeckt, magische Momente, deren glamouröser Wert heute durch die gestylten Castingshows verloren geht. Da wären die Scouts mit dem untrügerischen Instinkt und dem glücklichen Zufall, die ersten Fotografen mit dem richtigen Blick und schließlich die Modeschöpfer selbst, die ihr Model zu ihrem Werk erheben. Es gibt Models, die so häufig entdeckt wurden, dass es wirklich abenteuerlich anmutet. Viel erstaunlicher ist es allerdings, dass sich das Model auch selbst als Werk entdeckt: „In many ways he made me.“ (Nadja Auermann) Aber so fühlt man sich vermutlich, wenn man in unbequeme Kleider und Schuhe gesteckt wird und darin vor Publikum oder Kameras posiert. Ulrike BewerErlkönigDass das Aussehen eine Form des symbolischen Kapitals ist, die es für den maximalen Gewinn geschickt einzusetzen gilt, kann man nicht nur in Model-Castingshows beobachten. Die Auto-Branche hat das Spiel von Verstecken und Zeigen auf ganz eigene Weise verfeinert. Mit der Ankündigung eines neuen Modells beginnt unter Auto-Fans ein Rätselraten, wie sich dieses vom Vorgänger unterscheidet. Dann kommt die Zeit der „Erlkönig-Jäger“ – Fotografen, die sich darauf spezialisiert haben, Prototypen neuer Wagen, die Erlkönige, beim Test auf Autobahnen abzulichten. Damit das nicht zu einfach ist, verkleidet die Industrie die Autos ein wenig, aber doch nicht zu sehr. Billigere PR gibt’s schließlich kaum. japKraftwerk Überall wird geklagt, dass für Mädchen und Teenager „Model“ der „Traumberuf“ schlechthin sei, auch wenn ja nicht ganz klar ist, was das für ein Beruf ist. Bei mir ist das leider ganz anders. Bei „Model“ assoziiere ich Sexarbeit und die Band Kraftwerk. Eine Zählung am Ende meiner Tage als weißer heterosexueller Sack (als Engel wird alles ganz anders) könnte ergeben, dass der Song „Model“ der Song sein wird, den ich am häufigsten gehört haben werde. „Sie stellt sich zur Schau für das Konsumprodukt und wird von Millionen Augen angeguckt/Ihr neues Titelbild ist einfach fabelhaft, ich muss sie wiedersehen, ich glaub, sie hat’s geschafft...“ Dazu die wehmütig-coolen Synthieklänge von Hütter Schneider. Es gibt nichts Besseres. Außer vielleicht die Coverversion von Snakefinger. Fortgeschrittenen sei auch die Version von Spizzenergi empfohlen. Nur von der vulgären Rammstein-Version sollte man unbedingt die Finger lassen. Michael AngeleNamensgebung Egal ob es sich um Lippenstift, Pkw oder Vibrator handelt, der Name des Modells ist mindestens genauso wichtig wie das Design. Er erzeugt positive Assoziationen, weckt Begierden und birgt im besten Fall großes Identifikationspotenzial mit dem Produkt. Kosmetiknamen sollen Sexappeal und Glamour vermitteln (Life On The A List, Lady Danger), Sextoy-Namen zur bevorzugten Liebhaberrolle passen (Rock Chick, Little Princess), wohingegen Pkw-Namen wohl am stärksten den Trends ihrer Zeit unterworfen sind. Kämpfte man sich früher über Gebirge (Eifel, Taunus) in die Exotik des Italienurlaubs (Capri, Ascona), so schwankt man heute zwischen griechischer Mythologie (Phaeton, Eos), coolem Musik-Understatement (Jazz, Prelude, Accord) und Suspense (Phantom, Ghost). Es muss fürchterlich anstrengend sein, sich ständig neue Produktnamen auszudenken, aber ausprobieren würde ich es schon gerne mal ... Sophia HoffmannPartiell-SchönheitenNicht immer ist das Ganze mehr als die Summe seiner einzelnen Teile, wie das Beautybusiness beweist. Da kein Mensch perfekt ist, nie alle ästhetischen Standards erfüllt sind, werden die Schönheiten in Film und Fotografie oft zusammengepuzzelt. In einer Einstellung ist in Großaufnahme das sogenannte Körpermodell abgebildet, folgende Detailaufnahmen können dann von anderen Models stammen. Das Bein- und Fußmodel ermöglicht den Detailblick, in welchem auch am großen Zeh kein Fältchen schrumpelt, das Po-Model hält seinen orangenhautfreien Allerwertesten in die Kamera. Handmodels müssen in der Regel über schlanke Finger und das verfügen, was als „natürliche“ Nägel gilt. Und die Mähne eines Haarmodels sollte bereits voluminös glänzen, bevor das Shampoo für den Spot aufgetragen wird. TPRealitätVor einem Jahr sah ich sie morgens zum ersten Mal. Mir fiel auf, wie dünn sie war, wie erschöpft und blass. Sie führte zwei Hunde aus, und erst, als wir uns in die Augen schauten, erkannte ich in ihr das Top-Model aus dem Fernsehen. Seither kam sie mir viele Male entgegen. Immer sah sie aus, wie Menschen aussehen, wenn sie aus dem Bett nur mal kurz hinaus in die Welt geschlüpft sind: zerzaustes Haar, fahler Teint und verschlafener Blick. Sie ist mein Korrektiv geworden für all jene Fotos, die geschminkte und retuschierte Fiktionen zeigen. Jene Bilder, von denen wir wissen, dass sie nicht wahr sind, dies aber nicht fühlen, wenn wir sie flüchtig wahrnehmen. Deshalb freue ich mich immer, wenn ich der Frau mit den Hunden begegne. Maike HankWeltModellbau ist für die meisten Menschen nur ein Hobby, bei dem es maßstabsgetreue dreidimensionale Nachbauten echter Gebäude, Gefährte oder historischer Szenarien anzufertigen gilt. Im österreichischen Klagenfurt allerdings sind Profis am Werk. Dort gibt es einen Themenpark namens Minimundus, dessen Attraktion ausschließlich aus Modellbauten besteht. Die berühmtesten Gebäude der Welt tummeln sich hier auf 26.000 m² Freifläche, aufwendigstes Exponat ist bis heute der Petersdom mit einer Bauzeit von sechs Jahren und einem Kostenpunkt von 700.000 Euro. Als Kind fand ich es großartig, zwischen Eiffelturm und den Pyramiden herumzuspringen, doch auch Erwachsenen mit architektonischem Interesse kann diese pittoreske Miniwelt viel Vergnügen bereiten. SHWissenschaftSo recht wird die Mode den Ruf als profane Nebensächlichkeit in der Welt der Denker nicht los. Doch die Geschichte der Mode ist von zahlreichen prominenten Wissenschaftlern geprägt: Baudelaire, Simmel, Barthes, um nur einige zu nennen. Mode wird heute als kulturwissenschaftliches Phänomen untersucht; in den aktuellen transdisziplinären Forschungsdebatten rund um Geschlechterstudien, Ästhetik oder Konsum mischt die ernst zu nehmende Modewissenschaft munter mit. Auch die Wirtschaft ist inzwischen aufgesprungen: 2006 förderte die Familienstiftung H an der Universität Stockholm das Institut für „fashion studies“ mit etwa 30 Millionen Kronen. Auch wenn sie noch kein Wikipedia-Artikel verzeichnet, hat es die Modewissenschaft bis nach Oxford geschafft: Im September dieses Jahres wird dort am Mansfield College die vierte „Global Conference Fashion“ stattfinden. Juliane LöfflerZerrbild Ob Anti-Models wie vom Anti-Label Muschi Kreuzberg oder Charakter-Models – ich habe mich inzwischen daran gewöhnt, dass neben Schönheiten auch andere Menschen ihrem Drang nach Darstellung nachgeben. Jahrelang hing an meiner Tür ein Poster von Del Keens, dem wohl bekanntesten ‚Ugly Model‘. Mit nacktem Oberkörper und offenem Mund wirbt er für Jeans, und ich überprüfte regelmäßig meinen Schönheitsbegriff. Sollte es tatsächlich so sein, dass der medial verbreitete Schönheitswahn auf das kollektive Selbstbewusstsein drückt – auf Herrn Keens trifft dies nicht zu. Er hat recht, Schönheit ist austauschbar. Aber hässliche Models schocken mittlerweile auch nicht mehr. Schön! ube
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