Einen „Ort der Hässlichkeit“ hat Klaus Wowereit das Einkaufszentrum am Alexanderplatz genannt – und damit ausnahmsweise Recht gehabt. An ästhetischer Zumutung übertreffen diese 56.000 Quadratmeter alles Dagewesene. Nicht nur, dass drinnen die Konsumenten so rabiat drängeln wie nirgends sonst und es darum bei der Eröffnung Verletzte gab. Um mehr Regale unterzubringen, gibt es im Alexa kaum Fenster, weshalb es von außen einer roten Ödnis gleicht. Zumindest ist dieses Arrangement historisch konsistent: Als der Ort früher Zentrale der Gestapo war, wurde er „rote Zwingburg“ genannt.
Der Berliner Alexanderplatz ist ein erhabener Platz mit bewegter Geschichte und großer öffentlicher Freifläche. Auf diese 56.000 Quadratmeter könnte er locker verzichten. Sebastian Puschner
Wer glaubt, dass der Terror der Ödnis in Vorstadtsiedlungen ein rein amerikanisches Problem ist, irrt. Alsbach-Hähnlein, 773 erstmals urkundlich erwähnt, war Jahrhunderte lang ein verschlafenes Dorf. Bis der Ort südlich von Darmstadt einen Halt des Regionalzugs bekam, mit dem Pendler jeden Tag zum Arbeiten nach Frankfurt fahren. Die Folge: Ein Neubaugebiet mit gesichtslosen Reihenhäusern, dahinter Äcker, auf denen die Bauern Gülle verteilen. Und in der Ferne eine Schnellstraße, von der das Rauschen der Autos herüberklingt.
An dieser Grenze zwischen trostloser Achtziger-Jahre-Architektur und Niemansland habe ich unendlich dröge Nachmittage verbracht – auf Wochenendbesuch bei meinem Vater. In Alsbach-Hähnlein ist nie, wirklich nie was passiert. Ohne MTV wäre das nicht überlebbar gewesen. Selbst wenn man nur aus der 200.000-Einwohner-Stadt ➝ Freiburg anreiste, fühlte man sich dort, als käme man aus einer Weltmetropole. Mittlerweile ist mein Vater auch umgezogen. In den nächstgrößeren Ort. Jan Pfaff
Ich habe mich immer darauf gefreut, einige Tage in Bad Elster zu verbringen: kaum Verkehr auf den Straßen, Spaziergänge im Wald, Einkaufen gleich hinter der tschechischen Grenze. Unser Verein hatte in Bad Elster sein Büro, ab und an kam ich, etwa um beim Eintüten von Rundbriefen zu helfen. Spätestens nach drei Wochen wurde Bad Elster zur Zumutung: Im Ort liefen wirklich nur alte Menschen herum. Wenn ich aus dem Wald wiederkam, konnte ich entweder in die Therme oder zu einem Schlagerkonzert von Silke Fischer gehen. Und tschechische Zigaretten kann man irgendwann auch nicht mehr rauchen.
Ob Bad Elster im sächsischen Vogtland oder Bad Wörishofen in Bayern: Kurorte sind eine Zumutung. Und ich wette, das empfinden nicht nur Menschen so, die dorthin nicht zum Kuren kommen. sepu
Um es asozial auszudrücken: Würden wir Bremen abschaffen, wäre Deutschland mit einem Schlag Schulden in Millionenhöhe los, und der PISA-Quotient würde vehement steigen. Und sonst? Die Bremer Stadtmusikanten sind eh kleiner als Touristen sie sich vorstellen, die Weser fließt weitgehend an der City vorbei, Radio Bremen hat sein Revolutionspotenzial längst aufgegeben, und Beck’s ist auch keine deutsche Firma mehr. Das Schiff mit den grünen Segeln liegt windstill in der Mole. Selbst der SV Werder, das einzig Bewahrenswerte, scheint sich aufzulösen: Geschäftsführer Klaus Allofs und Trainer Thomas Schaaf haben die Schnauze voll vom Ex-Manager, Ex-Bildungssenator und selbsternannten Nahost-Friedensboten Willi Lemke. Nicht einmal die nordische Treue scheint zu leben.
Bleibt das Problem mit den Bremern. Wohin mit diesen selbstgefälligen Pseudo-Hanseaten, den calvinistischen Händlern, die auch noch stolz auf die Missstände sind und nicht an Wandel denken? Hamburg würde sie kaum aufnehmen. Zwangsversetzung nach Bayern? Oder besser: auf einem Kutter aufs offene Meer – damit Bremen endlich mal die steife Brise spürt... Axel Brüggemann
Wer in den vergangenen anderthalb Jahren versucht hat, in Duisburg eine Kneipe oder einen Club zu eröffnen, weiß, was Stillstand ist. Jeder Antrag wird vom Ordnungsamt abgebügelt, wenn der Fluchtweg nicht den Abmessungen einer Autobahn entspricht. Seit dem Loveparade-Unglück hat sich der Sargdeckel über der 500.000-Einwohner-Stadt geschlossen. Sie war schon immer der größte graue Fleck im Ruhrgebiet, abgehängt vom Strukturwandel. Im Norden gibt es Viertel, die verödet sind wie Slums.
Neulich war zur Eröffnung eines Filmfestivals auch der umstrittene Oberbürgermeister Adolf Sauerland gekommen. Die Rede hielt ein anderer, Sauerland eröffnete das Büffet. Er ist zum Symbol einer Stadt geworden, die sich wegduckt und so tut, als sei sie nicht da. Häufigster Satz von Duisburgern mit Zukunftsplänen: Ich zieh’ nach Essen. Mark Stöhr
Tocotronic hassten die Fahrradfahrer, Backgammon-Spieler und Tanztheater. Was die Hamburger Band in ihrem schlicht „Freiburg“ betitelten Lied Mitte der 90er vergaß: die Zombies. Sie machen Freiburg zu einem gefährlichen Ort. Sie wohnen im Schwarzwald, der die Stadt vom Osten her einschließt. Sie sind die Ureinwohner, in der Finsternis aufgewachsen, sich in einer geheimen Geräuschesprache verständigend. Voller Argwohn gegenüber allem, was hell und licht ist. Wenn die Dunkelheit hereinbricht, kommen sie in die Stadt.
Nicht selten trifft man sie im Cräsh, einem Rockschuppen, der aussieht, wie er heißt. Dort stehen die Zombies Rücken an Rücken mit den Zugezogenen, den Hochdeutschsprechern und Bücherlesern. Wehe, ihre Rücken berühren sich. Ein Freiburg-Bild, das man nicht so schnell vergisst: die Blutlache vor dem Cräsh. MS
Worauf sind diese Kölner nur so stolz? Auf ihren Dom, dieses schwarze Ungetüm in einer Wüste aus Sichtbeton? Ihr lächerliches Bier? Ihre lächerlichen Lieder? Ihre Lachnummer Prinz Poldi? In keiner anderen deutschen Stadt ist die Selbstwahrnehmung ihrer Bewohner so von Selbstüberschätzung überlagert. Mit einer Penetranz tragen sie ihren Provinzdialekt zur Schau, wo sich jeder Schwabe oder Sachse längst in Grund und Boden geschämt hätte. In Köln gibt es keine Zwischentöne. Hier ist alles laut und deftig, hier zerfließt alles in Schunkel- und Gefühlsseligkeit. Köln ist ein Kegelclub. Einziger Fluchtpunkt: das belgische Viertel. Oder am besten gleich Belgien. MS
Vor der Wende war diese Stadt an der Pleiße dunkel und grau. Sie stank wie die Pest. Nach der Wende wurde sie erst zu einer Heldenstadt, dann zu einer Boomtown. Sie nannte sich L.E., und Doktor Jürgen Schneider checkte ein. Viele Dachgiebel begannen, beinahe golden zu schimmern. Es war wie im Märchen. Und die Leipziger waren kurz davor zu glauben, aus ihren Wasserhähnen würde Milch fließen.
Jahrelang habe ich mich für meine Heimatstadt geschämt, irgendwann schlug diese Scham sogar in Hass um. Ich fand, dass Leipzig sich wie eine neureiche Nutte benahm. Sie legte sich in jedermanns Arme, trank zuviel Schampus und schminkte sich die Lippen zu rot. Inzwischen ist diese Zeit wieder vorbei. Sogar das Grau bricht allmählich wieder unter dem Gold hervor. Gottseidank, sage ich. Leider, sagen viele andere. Jana Hensel
Für die einen ist es der Inbegriff bayerischer Gemütlichkeit, für die anderen der Vorplatz zur Hölle. München. Diese Bilderbuchstadt im Alpenvorland, die ungeniert mit ihrem Reichtum protzt, wo sich schon junge Menschen auf die Traditionen einen runterholen.
Man nehme das Oktoberfest, wo ungeniert mit schwerstem Alkoholmissbrauch Millionen verdient werden und die „Weltstadt mit Herz“ „Begleiterscheinungen“ wie schwere Körperverletzung und sexuelle Übergriffe unter den Teppich kehrt. So hübsch der Englische Garten sein mag, so idyllisch die Isar-Auen, München kann auch böse sein. Wer nicht der Dirndl-tragenden, Ralph-Lauren-Pulli-behängten Norm entspricht, hat es schwer. Andersartigkeit wird im besten Fall belächelt; toleriert oder gar akzeptiert wird sie kaum. In Wahrheit ist München ein rückständiges Provinznest. Sophia Hoffmann
1928 mietet Adolf Hitler das Haus Wachenfeld auf dem Obersalzberg bei Berchtesgaden. Zunächst ist die Herberge Rückzugsidyll für den NSDAP-Führer, dazu Wallfahrtsort für Anhänger und Gönner. Als Reichskanzler gibt Hitler 1933 Order zum Umbau, aus Haus Wachenfeld wird der Berghof, aus dem Obersalzberg ein „Führergebiet“, aus der Alpen-Landschaft eine Sperrzone. Bauern und Hoteliers müssen ihre Anwesen verkaufen. Wer sich weigert, dem droht KZ wie dem Wirt des „Hotels zum Türken“, das für die SS-Wache reserviert ist.
Ab 1937 avanciert die Residenz zur zweiten Reichskanzlei und sieht den Herzog von Windsor, Mussolini, Chamberlain. 1945 kursiert das Gerücht, das Gelände werde als Alpenfestung verteidigt. Nach einem alliierten Luftangriff am 25. April 1945 brennt der Berghof aus. Lutz Herden
Eine Stadt, die dem Auto gewidmet ist, kann keine Zukunft haben. Nur weil hier 1938 das Volkswagenwerk entstand, wo der „Kraft-durch-Freude“-Wagen (später: Käfer) gebaut werden sollte, erfolgte die Gründung. „Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben“ sollte der urbane Aufwurf heißen, bis er nach dem Zweiten Weltkrieg auf Drängen der Alliierten in Wolfsburg umgetauft wurde. In ihrem Pkw-Glauben hat sich die Stadt temporär schon mal „Golfsburg“ genannt.
Zwischen City und VW-Werk hat sich der größte Arbeitgeber mit der „Autostadt“ einen Erlebnispark eingerichtet, ein Auto-Disneyland mit Oldtimernachbildungen und Wasserfontänenshow. Immerhin: Man kann die Autostadt mit der Bahn erreichen. Tobias Prüwer
Warum kriegt das im Schatten ➝ Leipzigs stehende Wurzen die Probleme mit Neonazis nicht in den Griff? Spielen Minderwertigkeitskomplexe eine Rolle? Oder herrschen dort ganz normale mitteldeutsche Kleinstadtverhältnisse? Der Ort in Nord-Westsachsen stellt sich den Nazis jedenfalls nicht einmal.
Die kämen von außen, hieß es schon, als 2004 ein Sprengstoffanschlag auf das Netzwerk für Demokratische Kultur verübt wurde, das sich gegen den rechten Rand engagiert. Wenn zu antifaschistischen Demos aufgerufen wird, dann sind das in den Augen der Stadt-Administration Chaoten aus Leipzig. Zum Volkstrauertrag 2011 hat der Wurzener OB Jörg Röglin (parteilos) nun den Offenbarungseid abgelegt: Mit Wimpeln soll es gegen „Rechts und Links“ gehen. TP
Der Name dieses Fleckens in Sachsen-Anhalt gestaltet sich schon akustisch wie optisch als Katastrophe. Ans Aussprechen dieses Konsonanten-Ungetüms möchte man sich erst gar nicht wagen. Nicht auszudenken, wenn sich im Ort auch noch ein Zwetschgenverarbeiter niederlassen würde – das wäre Stoff für legendäre Zungenbrecher. TP
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