Die Gleichheit der Gotteskinder

Freitag-Salon Das muss Liebe sein: Weil Sahra Wagenknecht krank ist, springt Oskar Lafontaine ein. Der Linken-Chef über Eliten, christliche Werte und die wahre Sozialdemokratie
Oskar Lafontaine und Jakob Augstein beim Freitag-Salon
Oskar Lafontaine und Jakob Augstein beim Freitag-Salon

Foto: der Freitag/ Thomas Lobenwein

Jakob Augstein: Als man mir gestern sagte, Sahra komme nicht, Oskar komme, musste ich schmunzeln. Das kam mir vor wie in einem Helmut-Dietl-Film oder einem Loriot-Sketch. Ich könnte Sie jetzt fragen, welche Rolle Ihr Aussehen und Ihre Frisur in der Politik spielen?

Oskar Lafontaine: Und ich könnte antworten, dass ich ja bekanntlich eine kühle Erotik ausstrahle.

Da wird die Absurdität solcher Fragen offensichtlich. Sahra Wagenknecht gegenüber wollte ich eigentlich keine Anspielung auf ihr Frausein machen.

Ich werde es ihr ausrichten.

Was mich in den letzten Tagen am meisten beschäftigt hat, war die Affäre unseres Bundespräsidenten: Wundert es Sie nicht, dass Medien und Leser zu einer so unterschiedlichen Bewertung gekommen sind? Viele sprechen mittlerweile von einer Hetzjagd.

Das wundert mich nicht. Große Teile der Bevölkerung haben nichts gegen den Boulevard mit seinem Tratsch. Wenn man aber überzieht, sagen die meisten: Es reicht.

Aber die Nähe eines Politikers zu den Reichen stört die meisten offensichtlich viel weniger als mich.

Politiker dürfen sich nicht von den Reichen vereinnahmen lassen. Jemand wie Christian Wulff kann nun leider nicht mehr glauben machen, dass er die hehren Ziele, die er predigt, selbst lebt. Aber ehrlich gesagt: Mich beschäftigt das nicht besonders. Ich frage mich vielmehr, ob das Amt des Bundespräsidenten überhaupt noch notwendig ist. Als ich Bundesratspräsident war, musste ich das Staatsoberhaupt ab und zu vertreten. Da bekam ich mit, wie „anstrengend“ dieses Amt in Wahrheit ist. Das könnte der Bundesratspräsident eigentlich mit erledigen. Entscheidungen, bei denen politische Befangenheit eine Rolle spielt, könnten dem Bundesverfassungsgericht zugewiesen werden.

Ist die Sehnsucht der Menschen nach allgemein gültigen Werten verschwunden?

Diese Sehnsucht artikuliert sich eher unbewusst, in einer Art Unbehagen, dass der Neoliberalismus den Menschen auf eine Ware reduziert hat. Das ist eine krankhafte gesellschaftliche Entwicklung. Die Leute spüren, dass die Werte gerade im bürgerlichen Lager mehr und mehr verschwunden sind.

Ist es nicht die Aufgabe der Eliten, den Menschen Einsicht in das Bessere zu geben? Oder anders gesagt: Brauchen die Leute nicht dabei eine Führung?

Prinzipiell hat die Einsicht in das Bessere ja religiöse Wurzeln, die Idee der Gleichheit, der unantastbaren Menschenwürde, ist eine christliche Idee. Der zentrale Gedanke der Linken leitet sich somit auch aus der Gleichheit der Gotteskinder, der Idee der Nächstenliebe ab. Die einzige Aufgabe der Elite ist dabei, im Sinne der Aufklärung zu argumentieren.

Dass ausgerechnet Sie das sagen! Sie sind doch ein geborener Anführer. Zusammen mit Gregor Gysi haben Sie aus dem Stand eine neue Partei gegründet.

Dennoch müssen wir aufklären und überzeugen. Unsere Absicht war es, eine Gegenkraft gegen die verheerenden gesellschaftlichen Entwicklungen zu etablieren. Natürlich auch, weil die SPD und die Grünen neoliberale Parteien sind. Es gelingt ihnen nicht mehr, die herrschenden Denkfiguren des Neoliberalismus zu durchbrechen.

Das kann man an dem Wort Schuldenkrise sehen. Damit wird Politik gemacht. Dabei haben wir keine Schuldenkrise, sondern eine der Banken und Institutionen.

Sehen Sie, da sind wir Brüder im Geiste! Wörter sind Herrschafts­instrumente. Die Begriffe prägen unser Denken, sie machen uns unfrei. Ich habe an mir selbst oft beobachtet, wie ich auf Klischees reingefallen bin. Ich versuche mich stets zu vergewissern, ob ich mir einen klaren Begriff von den Dingen mache. Ein Wort wie Terrorismus zum Beispiel. Ich habe zu Angela Merkel immer gesagt: Frau Bundeskanzlerin, Sie wollen den Terrorismus bekämpfen. Aber was ist das eigentlich? Zwei Jahre habe ich sie das im Bundestag gefragt. Sie saß an ihrem Platz und blätterte in irgendwelchen Unterlagen. Sie konnte die Frage nicht beantworten. Dann bekam ein Beamter im Innenministerium den Auftrag, das Antiterrordateigesetz zu er­stellen. Da stand drin: Terror ist die rechtswidrige Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung politischer Belange. Im Bundestag haben also CDU/CSU, FDP, SPD und Grüne beschlossen, dass George W. Bush und Tony Blair Terroristen sind. Und wenn in Afghanistan rechtswidrig Gewalt angewendet wird, was folgt nach dem Antiterror­dateigesetz dann daraus für die verantwortlichen Politiker der Bundesrepublik?

Um auch mal ein neoliberales Denkbild zu benutzen: Sie sind Berufspolitiker, ihr Produkt ist die Politik. Besteht nach diesem Produkt denn weiterhin eine bleibende Nachfrage?

Ja, weil die Menschen sich erhoffen, dass ihre Lebensbedingungen sich verbessern. Was mir dabei aber nicht in den Kopf geht – dass Rentner immer Rentenkürzungsparteien wählen.

Kennen Sie den Begriff der Liquid Democracy?

Nein.

Im Prinzip bedeutet es, dass die Menschen aus den Partei­programmen frei wählen: die Verkehrspolitik der Grünen, die Wirtschaftspolitik der Linken, die Netzpolitik der Piraten.

Das ist ein Plädoyer für direkte Demokratie. Wer sollte etwas dagegen haben?

Man würde die Parteien überspringen.

Ja, das heißt direkte Demokratie.

Sollten die Mitglieder Ihrer Partei über die Parteiführung nicht auch direkt entscheiden können?

Wenn wir nur eine Vorsitzende oder einen Vorsitzenden hätten, ja. Wir haben aber in der Spitze eine Quotierung. Wenn zwei Leute gewählt werden, die nicht miteinander können, dann hat die Partei nur Nachteile. Scharping und Schröder beispielsweise, als Doppelspitze, das wäre immer schiefgegangen. Die Linke hat als erste Partei den verbindlichen Mitgliederentscheid für alle politischen Sachfragen in ihr Grundsatz­programm geschrieben.

Im Mai wird in Schleswig- Holstein gewählt, im Moment steht die Linke dort den Umfragen zufolge bei zwei Prozent – obwohl der Zeitgeist sich weit nach links verschoben hat und Sahra Wagenknecht jetzt sogar in der FAZ publiziert.

Die hohen Zugriffszahlen, die Sahra Wagenknechts Text Schluss mit Mephistos Umverteilung! in der FAZ erzielt hat, erkläre ich mir mit der Verunsicherung im bürgerlichen Lager. Leider wissen viel zu wenig Menschen, dass die Linke als einzige Partei den Ausweg aus der Finanzkrise kennt: öffentlich-rechtliches Bankensystem, direkte Kreditvergabe durch die EZB an die europäischen Staaten, Schuldenschnitt und Millionärssteuer. Wenn die Schleswig-Holsteiner das wüssten, wären wir sicher im Landtag.

Einer Verstaatlichung der Banken würden viele zustimmen.

Ja, aber die Finanzkrise ist schwer durchschaubar. Nicht umsonst hat Henry Ford gesagt, wenn die Leute unser Geldsystem kennen würden, dann würden sie eine Revolution machen. Und es fehlt die Konsequenz. Helmut Schmidt beispielsweise hat die Verantwortlichen der Finanzkrise als Psychopathen verurteilt und eine strengere Regulierung gefordert. Gleichzeitig aber schlägt er Peer Steinbrück als Kanzlerkandidaten vor – also einen Mann, der an der Deregulierung erheblich mitgewirkt hat. Den Menschen fehlt die konkrete Erfahrung, dass die Linkspartei ihre Forderungen auch durchsetzen würde. Ich werde oft gefragt, warum wir im Saarland 20 Prozent erringen können? Das ist ganz einfach: Die Arbeitnehmerschaft an der Saar hat in schwierigen Situationen erfahren, dass ich an ihrer Seite stehe.

Dort hat sich gerade eine CDU-geführte Regierung verabschiedet. Was werden Sie nun tun?

Ich werde mich zur Wahl stellen.

Kämpfen Sie weiterhin für Rot-Rot, auch wenn die Saar-SPD Ihnen schon im Vorfeld eine Absage erteilt hat?

Ja. Die Absage ist in der Saar-SPD umstritten. Ich möchte verhindern, dass die SPD dort zusammen mit der maroden CDU ein brutales Sparprogramm für Schulen, ­ Poli­zei und Krankenhäusern durchzieht.

Vielleicht verstehen die Menschen einfach nicht, was für eine Partei die Linke eigentlich ist. Ich frage mich immer: Ist das nun eine sozialistische oder die echte sozialdemokratische Partei?

Der Kern unserer Programmatik ist: Eigentum muss durch eigenes Tun entstehen, Eigentum ist das selbst Erarbeitete. Damit stellen wir die jetzige Wirtschaftsordnung in Frage, in der eine Minderheit oft ohne Arbeit reich wird, weil die Mehrheit für sie arbeitet. Der alte liberale Grundsatz „Eigentum ­entsteht durch Arbeit“ wird nur noch von der Partei die Linke vertreten.

Aber kann eine sozialistische Partei in einem nichtsozialis­tischen System überhaupt wirksam werden?

Alle sozialistischen Parteien sind im Laufe ihrer Geschichte stets sehr weit weg von ihren Zielen geblieben. Daraus schließe ich, dass der Kapitalismus extreme Giftpotenziale der Umarmung und Vereinnahmung hat. Wie kommt man da raus? Wir leben in einer unvollkommenen Demokratie und müssen Sisyphus-Arbeit leisten. Aber die Diktatur einer Partei ist mit der Idee des Sozialismus völlig unvereinbar.

Womit wir beim Thema DDR wären: Woran ist die eigentlich zugrunde gegangen?

Sie ist gescheitert, weil in diesem Arbeiter- und Bauernstaat die Arbeiter viel zu wenig zu sagen hatten. Also an einem Mangel an Demokratie.

Und wann ist die Bundes­-republik vom richtigen Weg abgekommen – wenn sie jemals auf dem rechten Weg war?

Ein Einschnitt war der Fall der Mauer und der Zusammenbruch der kommunistischen Staaten. Seither hat sich der Neoliberalismus in einer Dreistigkeit aus­gebreitet, die abenteuerlich ist.

Ich wollte eigentlich nicht mit ­Ihnen über Sahra Wagenknecht reden ...

Da müsste ich mich auch für befangen erklären.

...  aber sie spielt doch eine wichtige Rolle in der Partei. In ihrem letzten Buch Freiheit statt Kapitalismus äußert sie sich positiv über die Marktwirtschaft. Das hat viele sehr überrascht.

Mich nicht. Wenn man das Buch genau liest, merkt man, dass sie sich auf den sogenannten Ordoliberalismus nach Walter Eucken bezieht. Euckens Maxime zur Marktwirtschaft war: Wer den Nutzen hat, muss auch für den Schaden haften. Das heißt, wer Gewinne macht, muss auch für die Verluste einstehen. Das heißt nicht mehr, als dass in unserer verrückten Zeit die Verluste der Banken nicht der Allgemeinheit aufgebürdet werden dürfen. Ein anderer Punkt wäre, dass der Staat über der Wirtschaft stehen muss. Dieser Satz würde heute unser gesamtes System auflösen. Insofern fand ich es sehr geschickt von ihr, ausgerechnet jetzt wieder daran zu erinnern.

Der nächste Freitag-Salon zum Thema Deutschland extrem verlieren wir die Mitte? mit Egon Bahr findet am 16. 2. im Berliner Gorki-Theater statt. Beginn: 19.30 Uhr. Weitere Informationen finden Sie hier.

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