„Die Macht von den Reichen zurückerobern“

G20-Gegengipfel Alberto Acosta, früherer Präsidentschaftskandidat in Ecuador, im Gespräch über Abschottungspolitik, Gesellschaftsutopien und den Konflikt zwischen Wirtschaft und Ökologie

Alberto Acosta Espinosa ist charismatisch. Auf dem G20-Alternativgipfel spricht er über Alternativen zum Kapitalismus und begeistert das Publikum. Der Ökonom war Energieminister im Kabinett Rafael Correas und 2003 Präsidentschaftskandidat. Heute ist er in seiner Heimat Ecuador eine Gallionsfigur der Linken.

Als ich ihn auf Spanisch um einen Gesprächstermin bitte, antwortet er auf Deutsch: Acosta hat in den 70er Jahren in Köln studiert. Im Interview, das wir in beiden Sprachen führen, bietet er mir zuerst das Du an.

Sie unterstützen den Protest gegen das G20-Treffen. Was ist schlecht daran, wenn die Regierungschefs miteinander sprechen?

Die G20 sind eine durch und durch künstliche Institution ohne demokratische Legitimation, sie vertreten nicht die Interessen der Mehrheit der Menschen.

Die meisten von ihnen sind demokratisch gewählt.

Nicht alle. Und die Entscheidungen, die sie fällen, sind nicht von den jeweiligen Bevölkerungen autorisiert. Sie haben eine Legitimation, aber sie bezieht sich nicht auf einzelne Themen und Entscheidungen und ist vor allem eine Legitimation der mächtigen Klasse, die sie repräsentieren, in der Politik, in der Wirtschaft.

Wie empfinden Sie die Stimmung in Hamburg?

In der ganzen Innenstadt ist das Versammlungsrecht eingeschränkt oder ganz aufgehoben. Die Hamburger, die nicht demonstrieren, verlassen die Stadt. Ist das demokratisch? Das ist die Welt, in der wir leben: Die Berliner Mauer wird wieder aufgebaut, immer wieder, an vielen Orten, um die Festung Europa zu bauen. Sie stabilisieren damit ihre Privilegien.

Privilegien, die auch wirtschaftlicher Art sind.

Ich sehe in allen Ländern die Schere zwischen Arm und Reich aufgehen: die Armen werden zahlreicher, und die Reichen werden reicher. Das ist vor allem eine Folge der höheren Exporterlöse im Norden und der niedrigeren Preise für primäre Rohstoffe in den südlichen Ländern.

In den 2010er Jahren waren viele Regierungen in Südamerika links. Inzwischen etablieren sich dort, wie auch in Europa und den USA, wieder konservative, neoliberale oder rechte Regierungen.

Es gab im ganzen 21. Jahrhundert keine linke Regierung in Südamerika. Sogar Evo Morales in Bolivien hat sich nicht vom internationalen Kapital unabhängig gemacht. Alle diese Regierungen sind abhängig vom Export ins Ausland, und unglaublich machistisch. In Ecuador, Bolivien und Venezuela wurden die sozialen Bewegungen niedergeschlagen, obwohl die sozialen Bewegungen sie groß gemacht haben.

Welche Form der politischen Repräsentation wünschen Sie sich?

Demokratie beschränkt sich hier auf Wahlen und Repräsentation. Aber es reicht nicht, die Leute einzubeziehen, man muss die Macht von den Reichen zurückerobern. Ein Vorbild könnte die Basisdemokratie der Schweiz sein oder der Ayllu der Amazonas-Völker, in dem die Gruppe alle wichtigen Fragen im Rat entscheidet und Repräsentanten mit einem klaren Mandat zu dieser Frage ausgestattet sind.

Wie könnte eine alternative Wirtschaftspolitik aussehen?

Wir bräuchten Steuersysteme, die gerecht für die Armen sind, und einen Gerichtshof für Menschenrechte, der mit echter Macht ausgestattet ist. Außerdem braucht es ein Gericht für die Interessen der Natur, des Planeten, ein Naturtribunal.

Gibt es Pläne, so etwas zu etablieren?

Wir arbeiten daran mit Menschen aus der ganzen Welt. Es ist noch ein langer Weg, aber es wird ihn geben, ja. Im November treffen sich in Bonn Gruppen, die einen Gerichtshof für die Zivilgesellschaft planen.

Wie sieht Ihre Vision für die Zivilgesellschaft aus?

Der Kampf geht weiter. Er muss radikal werden, aber demokratisch und ohne Waffen. Er fängt zu Hause an, in der Familie, im Betrieb, in der Kommune. Der Staat, die Wirtschaftselite können diesen Prozess nicht von oben leiten, sondern wir müssen ihn von unten umsetzen. Der Weg geht über die Gemeinschaft, die wir neu erfinden und entwickeln müssen.

Friederike Grabitz und Christoph Kammenhuber berichten für den Freitag von den Protesten gegen den G20-Gipfel und dem alternativen "Gipfel der globalen Solidarität". Alle Beiträge rund um das G20-Treffen in Hamburg finden Sie hier

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