Provozierte Bilder

G20-Proteste Dass die Visionen der Gipfelgegner den Feuern auf der Schanze zum Opfer fielen, könnte Kalkül gewesen sein
Erst Stunden nachdem aus dem Zündeln wird eine Art Volksfest der Gesetzlosigkeit geworden war, schritt die Polizei mit Wasserwerfern ein
Erst Stunden nachdem aus dem Zündeln wird eine Art Volksfest der Gesetzlosigkeit geworden war, schritt die Polizei mit Wasserwerfern ein

Foto: CHRISTOF STACHE/AFP/Getty Images

Es ist Freitag, der erste Abend des G20-Gipfeltreffens, als ein Demonstrationszug aus etlichen hundert Fahrradfahrern bunt und laut klingelnd Runde um Runde durch die Auto freie Hamburger Innenstadt dreht. Da steigt in der einsetzenden Dämmerung aus dem Schanzenviertel schwarzer Rauch auf.

Auf dem Pferdemarkt reißen schwarz vermummte junge Leute Latten aus einem Baugerüst und werfen sie ins Feuer. Einige posieren triumphierend auf dem Dach des Hauses. Schaulustige und Journalisten fotografieren, irgendwo klirren Scheiben. „Pass auf dich auf, gleich werden hier alle rennen“, sagt jemand. Tatsächlich stehen in knapp hundert Metern Entfernung in einer dichten Reihe Einsatzwagen und Wasserwerfer, und alle erwarten, dass sie die Szenerie auflösen. Aber nichts geschieht, und die Stimmung kippt. Aus dem Zündeln wird eine Art Volksfest der Gesetzlosigkeit, an dem sich immer mehr Autonome und auch einige Passanten beteiligen. Sie werfen Scheiben ein, plündern Geschäfte. Gruppen junger Leute sitzen trinkend auf den Bordsteinen dabei. Erst gegen Mitternacht löschen Wasserwerfer mit die Krawalle auf. Da ist das Viertel schon von Scherben übersät.

Dass der Vandalismus, die Brände und Plünderungen sich über Stunden entwickeln konnten, verwundert angesichts der Präsenz von mehr als 20.000 Polizisten in der Stadt. Cem C. und sein Freund Can waren Zeuge einer Plünderung, bei der, wie sie sagen, Polizisten von der anderen Straßenseite aus zugesehen hätten. „Wir haben sie gefragt, warum sie nichts tun. Sie sagten, sie hätten keinen Einsatzbefehl und dürften ihre Posten nicht verlassen“.

"Sie wollten diese Bilder"

Einsatzleiter Hartmut Dudde kann verstehen, dass das Nicht-Eingreifen der Polizei Irritationen auslöst. „Vor dem Hintergrund der Gefahrenlage“, sagte er auf der abschließenden Pressekonferenz der Hamburger Polizei, „war es nicht möglich, an diese Einsatzorte zu kommen“. Vom Dach des Hauses wären ein Molotow-Cocktail und Metallkugeln mit Zwillen geschossen worden und hätten zwei Polizisten verletzt. Deren Schutz vor möglichen Angriffen sei deshalb Priorität gewesen.

Christine Ebeling, die im Gängeviertel den friedlichen Protest unterstützt hat, überzeugt diese Begründung nicht. „Es hätte mehr als genug Wege ins Viertel gegeben. Dass sie wegen der Autonomen auf dem Dach nicht hereinkamen, kann ich nicht verstehen“, sagt sie. „Die Polizisten hatten Panzerfahrzeuge und Wasserwerfer, und dazu Drohnen oder Helikopter, um zu sehen, was auf den Dächern los ist“. Dann fügt sie nachdenklich hinzu: Ob die Einsatzkräfte auch zwei Stunden gebraucht hätten, wenn Trump angegriffen worden wäre? Ebeling vermutet, dass hinter dem Zögern der Polizei auch politisches Kalkül war: „Sie wollten diese Bilder“.

Intendiert oder nicht, das Ergebnis ist: Schwarz Vermummte im Feuerschein dominieren die Berichterstattung. Der Protest am G20-Treffen, der mit einem Alternativ-Gipfel begann, hat aus aller Welt kreative und kritisch denkende Menschen nach Hamburg gelockt, die ungezählte Protestaktionen oft über Monate vorbereitet hatten. Es waren Zehntausende, aber sie werden kaum wahrgenommen. Das Symbol der Gipfelproteste wird wohl ein Bauzaun-Feuer auf dem Pferdemarkt bleiben.

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