Die Jugend von gestern

Kino Noah Baumbachs „Gefühlt Mitte Zwanzig“ stellt die Lebensstile verschiedener Generationen gegenüber – leider recht schematisch
Ausgabe 31/2015

In einer Vorlesung über dokumentarische Filmästhetik möchte der Dozent Josh Srebnick (Ben Stiller) einen Clip aus Nanook of the North zeigen. Doch die Powerpoint-Präsentation funktioniert nicht, stattdessen erscheint „No Signal“ auf der Leinwand. Dass technische Übertragungen misslingen und Bilder nicht sichtbar werden, ist symptomatisch für den dozierenden Filmemacher: Seit acht Jahren hadert er mit der Fertigstellung eines politischen Dokumentarfilms über den militärisch-ökonomischen Komplex, wozu er seit zehn Jahren einen Professor interviewt.

Auch die Ehe mit der Filmproduzentin Cornelia (Naomi Watts) scheint unter dem Prokrastinationsprojekt zu leiden. Nach der Vorlesung wird Josh von den beiden Mittzwanzigern Jamie (Adam Driver) und Darby (Amanda Seyfried) angeplaudert. Jamie dreht auch Dokumentarfilme, Darby macht Avocadomandelmilchsorbets. Als geschwätziger Maulheld bringt Jamie seine Verehrung gegenüber Josh und seinen frühen Dokumentarfilmen zum Ausdruck – Schmeicheleien, die dem doppelt so alten Josh gut gefallen. Schnell befreunden sich die Paare und verbringen nicht nur ihre Freizeit miteinander. Gemeinsam recherchieren Josh und Jamie für ein Filmprojekt über einen Afghanistan-Veteranen. Dabei schaltet sich auch Leslie ein, Cornelias Vater, der ebenfalls ein Dokumentarfilmemacher ist, aber ein erfolgreicher.

Gefühlt Mitte Zwanzig hat der deutsche Verleih den neuen Film von Noah Baumbach (Frances Ha, Greenberg) genannt. So rücken die Mittvierziger-Midlife-Crisis-Menschen und ihr Lebensgefühl in den Vordergrund. Der Originaltitel While We’re Young ist schöner, da er eine diffuse Zeitvorstellung von Jugend und ihrer Dauer entwirft und sie nicht durch Zahl und subjektive Wahrnehmung konkretisiert.

Baumbach konturiert das Generationenporträt durch alltägliche Antagonismen. In einer langen Parallelmontage eskaliert seine soziologische Bestandsaufnahme. Während auf der Tonspur beschwingte Kaskadenklänge von Vivaldi zu hören sind, wird die Bilderfrequenz rhythmisch gesteigert: Josh legt eine CD ins Laptop-Laufwerk, Jamie streicht mit den Fingerspitzen über seine üppige Schallplattensammlung, Darby hört Vinyl über Kopfhörer, Cornelia Radiolab übers Smartphone, Jamie und Darby nutzen verschlissene VHS-Kopien, Bücher, Schreibmaschinen, Josh und Cornelia Netflix, E-Reader, Smartphones, Josh trainiert allein auf dem Laufband, Jamie macht Outdoor-Basketball, Josh spielt Tablet-Tetris, Jamie Brettspiele.

Jedes einzelne dieser Bilder wird nach außen hin abgedichtet und muss plakativ für die immer gleiche These herhalten: Ja, es gibt Generationsunterschiede, der überangepasste fortysomething ist um Modernität bemüht und lebt anders als der unbekümmerte twentysomething; hier die progressive Digitalwelt, da die analoge Retrowelt. Das wirkt dann doch ziemlich klischeehaft. Baumbach hat kein Interesse an Abweichungen oder graduellen Differenzen. Und visuell investieren er und sein Kameramann Sam Levy wenig: Die meisten Dialoge werden in konventionelle Schuss-Gegenschuss-Sequenzen aufgelöst.

Dramaturgisch bemüht wirkt schließlich der Showdown: Bei einem Fest zu Leslies Ehren kommt es zum Eklat, in den alle drei Generationen Dokumentarfilmer verwickelt sind. Wieder nutzt Baumbach die Parallelmontage, dieses Mal, um zwischen Bühne und Foyer hin- und herzuspringen, zwischen Leslie und den laut streitenden Josh und Jamie, um über die Begriffe Authentizität, Objektivität und wahrhafte Darstellung im Dokumentarfilm zu diskutieren. Künstlerische Arbeitspraktiken und Haltungen zur Welt variieren: Leslie, der beobachtende Soziologe, dem sich die Welt vor der Kamera eröffnet; Josh, der unbedingte Authentizität anstrebt und sich in seiner Wahrheitssuche verstrickt; Jamie, immer mit der handlichen Kamera unterwegs, die spontan losfilmt, selbst performt, fiktionalisiert und sich fremder Formen und Ideen bedient.

Baumbach verkürzt seine Figuren auf wenige Eigenschaften und Positionen, wodurch sie zu Repräsentanten gefrieren; Empathie wäre fehlinvestiert. Die als Filmproduzentin arbeitende Cornelia hat nur wenig zur Diskussion beizutragen – wie die weiblichen Figuren insgesamt weniger ernst genommen werden. So ist Gefühlt Mitte Zwanzig letztlich ein mit Dialogen überfrachteter Thesenfilm über unterschiedliche Generationen – auch von Dokumentarfilmern.

Info

Gefühlt Mitte Zwanzig Noah Baumbach USA 2014, 97 Minuten

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