Wenn die Farben Trauer tragen

Körper In Thomas Stubers Debüt „Herbert“ verliert ein schillernder Peter Kurth nicht nur an Gewicht
Ausgabe 11/2016

Mit Bildern eines bulligen Boxers setzt der Film ein: Schläge gegen einen Sandsack, Close-ups eines tätowierten Oberkörpers, eine Silhouette im Dämmer. Gegenlicht blitzt auf, die Farben sind düster und die Bilder unscharf. Als ehemaliger Box-Bezirksmeister war Herbert Stamm einmal der „Stolz von Leipzig“.

Noch heute verdient er den Lebensunterhalt mit seinem Körper: als brutaler Geldeintreiber, Türsteher und Boxtrainer. Unter der Dusche kann er sich nicht mehr halten und stürzt mit Wucht zu Boden. Seine zitternden Hände und zuckenden Muskeln sind erste Symptome der unheilbaren Nervenkrankheit ALS. Mit einem Mal bleiben ihm nur noch wenige Monate zu leben – und um seine brüchigen Beziehungen zu beheben, um sich mit seiner erwachsenen Tochter Sandra zu versöhnen, die er, seit sie sechs war, nicht mehr gesehen hat. Um die Nähe seiner Freundin Marlene zuzulassen. Um mit eigener Schwäche umzugehen.

Turnhalle und Tätowierstube

Herbert ist das Kinolangfilmdebüt des Leipziger Regisseurs Thomas Stuber, der das Drehbuch dazu gemeinsam mit dem Schriftsteller Clemens Meyer verfasst hat (nach einer Vorlage von Paul Salisbury). Minutiös zeigt er eine Geschichte, die um Verfall, Verluste und Verfehlungen kreist. In breitem Gang humpelt Herbert am Krückstock. Geld kann er so nicht mehr eintreiben, vielmehr rächen sich die Schuldner, sodass er zerprügelt und zerschunden am Boden liegt. Er verschanzt sich in der dunklen Wohnung und berauscht sich an Verblendungsgetränken.

Herbert verliert die Kontrolle über seinen Körper. Durch Schluckstörungen schiebt sich der Unterkiefer nach vorn, er kann die von Marlene geschnittenen Häppchen nicht mehr im sabbernden Mund halten, reagiert aggressiv. Schubst erst sie vom Stuhl, dann das Essen, schließlich alles, was auf dem Tisch steht.

Wie abgeschaltet sitzt er später mit eingefallenem Körper im Rollstuhl, sein quecksilbrig weicher Blick geht ins Leere, die verquollenen Augenlider und der rechte Mundwinkel hängen vom Muskelschwund schlaff herunter. Herbert bringt kaum mehr Sätze über seine steif gewordenen Lippen, die unartikuliert gelallten Silben formen keine Worte mehr.

Schonungslos spielt Peter Kurth die fortschreitenden physischen Beeinträchtigungen der Titelfigur von Herbert. Über ein halbes Jahr hat sich der Schauspieler auf die Rolle vorbereitet, traf ALS-Betroffene und übte mit einem Trainer Boxen. Außerdem legte Kurth 35 Pfund zu, um den massigen Mann darzustellen; und um während des chronologisch gefilmten Drehs das Gewicht nach und nach wieder zu verlieren.

Stubers Kameramann Peter Matjasko zeigt das Wenigerwerden von Herbert in spärlichem, fahlen oder düsteren Licht. In den Außenaufnahmen von Leipzig und seinen Plattenbauten entschwinden die Farben zu blassem Weiß, in den Innenräume überwiegen dunkle Brauntöne – in Herbert sind allegetrübt, die Interieurs ausnahmslos verdunkelt: Turnhalle und Tätowierstudio, verrauchte Kneipe und enge Wohnung. Wie das Spiel von Farbe und Licht formen auch Ausstattungen und Schauplätze einen äußerst tristen Lebensraum.

Trotz des schillernden Schauspiels von Peter Kurth wirken einige Szenen allerdings eher aufdringlich als überzeugend. Das Problem des Films liegt in seinen metaphorisch überzeichneten Bildfindungen und akustischen Verkitschungen. Johann Sebastian Bachs Goldberg-Variationen und Italienisches Konzert untermalen die Bilder rührselig. Und das Ende des Films kulminiert in einer melodramatischen Assoziationsmontage. Über die emotional eskalierend geschnittenen Bilder legt sich aus dem Off eine Tonbandaufnahme Herberts, die er mit löchriger Stimme für seine Tochter Sandra und Enkelin Ronja gemacht hat.

Info

Herbert Thomas Stuber D 2015, 109 Minuten

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