Ich bin ganz anders als eigentlich

Kehrseite Ich küsse einen Musiker, weil ich es kann. Er hat Talent, der Musiker. "Ich hab Talent!" sagt er. Im Musik machen, jetzt, im Verkaufen. Wir machen ...

Ich küsse einen Musiker, weil ich es kann. Er hat Talent, der Musiker. "Ich hab Talent!" sagt er. Im Musik machen, jetzt, im Verkaufen. Wir machen draußen auf einer Wiese ein Picknick, für das wir eine braune, verfilzte Wolldecke in klammes Gras gelegt haben. Es ist gar nicht mehr die Zeit für Picknick. Weil wir noch küssen, denke ich an das Essen, weil immer das besser ist, was man gerade nicht macht.

Dann essen wir. In einer offenen Schüssel, in einem Fahrradkorb hat er einen gemischten Salat mitgebracht.

Mit einer Kuchengabel steckt sich der Musiker ein Salatblatt in den Mund, das diesen für einen kurzen Moment verlässt um rauszugucken, und dann wieder eingezogen wird, um zwischen Backenzähnen zu verarbeitungsfähigem Brei zu werden. Ich ekle mich ja so vor Verdauung.

Ich will nicht mehr so gerne küssen.

Worauf hab ich mich da nur eingelassen? Es schmeichelt mir, mit ihm auszugehen, es macht sich gut, als kleines Mädchen einen Jungen auszuführen, der Musiker ist und bekannt, bei manchen, eigentlich nicht mehr, als gesellige Leute bei Freunden bekannt sind. Ich frage mich, ob er in mich verliebt ist, wenn nämlich, könnte ich mich ja auch verlieben, ohne dass es lächerlich wäre und ohne dass er das Gefühl hätte, als Musiker Mädchen anzuziehen. Ich hasse Jungens, die glauben, Mädchen wären einfach verliebt zu machen und bei jedem Mädchen, das häufiger bei ihnen anruft, denken, es sei verliebt und bei jedem Mädchen, das Körperkontakt mit ihnen hat, denken, es sei verliebt und bei jedem, das von Liebe spricht, denken, es sei verliebt, bei jedem gar, das über ihre Witze lacht.

Er zitiert im Gespräch eigene Liedtexte.

Ich glaube ja, dass man dunkelhaarig sein muss, um schön zu sein und in blond nur gut aussieht, auch können blonde Jungens wirklich komisch sein, dunkelhaarige aber charmant. Ich lerne immer nur die blonden kennen.

"Vielleicht sollten wir aus deiner Regenjacke, süß übrigens, ein Zelt machen?"

"Du meinst, weil es regnet?"

Nein, meint er nicht. Hatte er sich bloß so vorgestellt. Er hat Phantasie. Er denkt in Bildern. Und wenn ich zufällig reinpasse in die Bilder, können wir darauf auch ein Paar sein. Also gut. Wir basteln uns ein Zelt aus meiner Regenjacke.

Es ist gemütlich. Wirklich schön. Ich sage, dass ich mich entschieden habe, mal ernsthaft mit der Liebe umzugehen. Ich bin so ehrlich, dass es riecht. Und er nimmt mich in den Arm und guckt verständnisvoll. Mir geht es entsetzlich und gut. Denn er ist bei mir und ich habe zum allerersten Mal gesagt, dass ich ihn liebe. Weil ich das tue. Und da kann er hundertmal besser sein als ich.

Oder eben nicht. Ich meine, er sollte mich noch hundertmal besser finden als sich und verehren. Stattdessen küsst er seine eigenen Worte, wenn sie aus seinem Mund fliegen, und nimmt mich in den Arm, als hätte ich eine unumgängliche Kinderkrankheit.

Aber, weil ich nicht unnötig schwierig wirken möchte, übersehe ich alles, was gesagt wurde. Und beobachte, was er macht, so genau, dass ich mich ekeln muss.

Ich wärme mir die Hände unter seinem Pulli, weil es kalt ist. Er schwitzt unter seinen Achseln, ha! Andererseits mag ich das. Ich werde später in der Bahn an meinen Händen riechen und mich freuen.

Ich gucke mir einzelne Schuppen auf seinem Kopf an. "Mir ist kalt. Ich möchte, dass du mich in ein Café, in dem ich noch nie war, ausführst und dafür sorgst, dass ich einen Kamillentee bekomme!"

Er baut unser Zelt ab, damit ich es anziehen kann. Er sieht herzerweichend aus, wie er so arbeitet, während ich nutzlos auf nassem Rasen knie und vierblättrige Kleeblätter suche, um der Welt was zu beweisen. Aber wegen der Atomkraft und der Gentechnik gibt es ja keine vierblättrigen Kleeblätter mehr, was ja logisch ist, weil es ja auch kein richtiges Glück mehr gibt.

Weil ich glaube, dass er beleidigt ist, gehe ich umher und summe Lieder, die er nicht kennt, also auch nicht beurteilen kann.

Er hebt mich einen winzigen Moment in die Luft, weil das für mich Bedeutung hat, vielleicht. Das ist seine Sprache, hoffe ich.

Ich fasse ihm von hinten an die Schläfen, um seine Ohren zu streicheln, weil er das mag und dann Geräusche macht, die nur ich hören kann. Und da denke ich, dass er mir gehört und ich ihn ja habe, auch wenn ich es ihm nie mehr sagen muss.

Und noch: Mein Gott bin ich jung!

Friederike Trudzinski ist 1982 in Aachen geboren, in Hamburg aufgewachsen und hat sich in ihr eigenes Leben verguckt. Sie lebt in München.


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