Schön hier!

Wundersamer Alltag Im Internet wird viel bewertet: Bücher, Restaurants, Hotels. Aber wem kann man dabei vertrauen? Und sind die Ratschläge persönlich Bekannter nicht mehr wert?

Dieser Tage bat mich ein Bekannter um einen Tipp, wohin er am Abend mit ein paar Verwandten, die sich zum Besuch in unserer schönen Stadt angesagt hatten, zum Essen gehen könne. Alle Cafés und Bistros, die ihm selbst eingefallen waren, kannten die Besucher schon und er wollte ihnen mal was Neues zeigen.

Ich empfahl ihm ein Restaurant in der Nähe meiner Wohnung, etwas außerhalb des Zentrums. Ich schilderte das gute Essen, die fruchtigen Weine, die ruhige Lage, den gepflegten Biergarten. Er bedankte sich für den Rat und meinte, das höre sich sehr gut an.

Am nächsten Tag fragte ich meinen Bekannten, wie ihm und seinem Besuch das Restaurant gefallen habe. Er überraschte mich mit den Worten, er habe seinen Besuch dann doch an einen anderen Ort geführt. Zum Glück habe er nach unserem Gespräch noch einmal in Internet geschaut und in einem bekannten Bewertungsportal feststellen müssen, dass das von mir so gelobte Lokal in den letzten Monaten drei schlechte Bewertungen gehabt habe. Schlechtes Essen, unfreundliche Bedienung, kein angenehmes Ambiente. Wahrscheinlich sei ich ja schon lange nicht mehr dort gewesen, das würde mein Fehlurteil erklären. Er jedenfalls sei froh, dass er – nichts für ungut – nach meiner Lobeshymne doch noch nach unabhängigen und objektiven Urteilen geschaut habe.

Drei zu eins für das Netz

Ich nickte verständnisvoll. Aber natürlich hat es mich getroffen, dass mein Bekannter mich, einen lebenden Menschen, mit ein paar anonymen Internet-Sternchenverteilern auf eine Stufe stellt. Drei zu eins hieß das Ergebnis – und damit war seine Entscheidung klar. Dass er mich von verschiedenen Gesprächen über "Gott und die Welt" kennt, dass er meinen Musik-Geschmack und meine Kleidungs-Gewohnheiten kennt, ja, dass wir sogar schon einmal zusammen gegessen haben – alles unwichtig. Ich bin, als Ratgeber in gastronomischen Dingen, nicht mehr für ihn als unbekannte Menschen in den Weiten des Netzes. Vielleicht sogar weniger, denn die hält er, aus einem geheimnisvollen Grund, für "objektiver" als mich, vielleicht, weil ihr Urteil sich in einer Schulnote ausdrücken lässt und nicht so unsachlich-schwärmerisch daherkommt wie meine Beschreibung des schattigen Biergartens.

Natürlich habe ich die Beurteilungen in jenem Internet-Portal nachgelesen. Sie klangen plausibel und ehrlich. Ich ertappte mich bei dem Gedanken, dass ich wahrscheinlich an diesem angenehmen Abend, als mir die Gaststätte so gut gefiel, schlicht großes Glück gehabt haben musste. Wahrscheinlich wäre es besser, dort erst einmal nicht mehr hinzugehen, man könnte ja in ein paar Monaten schauen, wie sich die Bewertungen entwickeln würden.

Ich könnte meinen Bekannten auch fragen, ob er heute Abend, bei diesem wunderbaren Sommerwetter, schon etwas geplant hätte, anderenfalls könnte ich ihn auf ein Bier einladen, in ein Restaurant in der Nähe meiner Wohnung, etwas außerhalb des Zentrums, in ruhiger Lage, mit einem gepflegten Biergarten. Zu zweit, könnte ich sagen, ertragen wir in guter Stimmung auch schlechtes Essen und unfreundliche Bedienung ...

Jörg Friedrich geht immer donnerstags in seiner Kolumne "Wundersamer Alltag" seinem ganz alltäglichen Staunen über die Welt nach. Denn alle Philosophie beginnt beim Staunen. Und alle Veränderung mit einem Wundern.

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Geschrieben von

Jörg Friedrich

Naturwissenschaftler, IT-Unternehmer, Philosoph

Jörg Friedrich

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