Das neue Königshaus

Wundersamer Alltag Alle paar Jahre gehen wir zur Wahl und vertrauen Politikern unsere politischen Interessen an. Aber im Alltag trauen wir ihnen nicht
Wer hat was zu entscheiden? Regierungsmitglieder und Bundesverfassungsrichter an einem Tisch
Wer hat was zu entscheiden? Regierungsmitglieder und Bundesverfassungsrichter an einem Tisch

Foto: Getty Images

Gut ein Drittel der Bevölkerung vertraut den selbst gewählten Vertretern, dem Bundestag, der Bundesregierung und dem Bundesrat. Das hat Allensbach herausgefunden, aber das wird auch niemanden überraschen. Den Parteien, die sich regelmäßig zur Wahl stellen und die sich vor ihren Wählern noch am häufigsten zu verantworten haben, vertrauen noch weniger Menschen, auch für diese Erkenntnis braucht man eigentlich kein Meinungsforschungsinstitut, denn Misstrauen gegenüber den Politikern bestimmt das alltägliche Gespräch in der Familie, am Arbeitsplatz und im Internet.

Was aber verwunderlich ist: dem Bundesverfassungsgericht sprechen drei von vier Deutschen "sehr großes Vertrauen" aus. Wer kennt die Damen und Herren da oben in ihren roten Roben? Wer weiß, wie sie in ihre Funktion gekommen sind, und was sie dazu befähigt? Wem sind sie Rechenschaft schuldig?

Wenn man als Maß für die demokratische Legitimation die Verbindung zwischen demokratischer Wahl und Postenverteilung heranzieht, dann ist das Bundesverfassungsgericht das am wenigsten demokratisch legitimierte Verfassungsorgan. Die Mitglieder werden – bei Bedarf – von einem speziellen Ausschuss des Bundestages oder vom Bundesrat bestimmt. Es gibt normalerweise keine "Kampfabstimmungen" – die Kandidaten werden vor der Wahl bereits ausgewählt, die eigentliche Wahl ist Formsache. Die Amtsdauer beträgt 12 Jahre, das sind drei normale Legislaturperioden.

Der Demokratie abgeneigt

Warum genießt ausgerechnet diese Institution so hohes Vertrauen beim Volk? Trauen die Wähler in Wirklichkeit ihrer eigenen Wahlentscheidung nicht? Es scheint so, als ob in der Zuneigung, die die Menschen diesem hohen Gericht entgegenbringt, eine tief sitzende Abneigung gegen die demokratischen Verfahren sichtbar wird, gegen die oft widerspruchsvollen, kompromissbehafteten Entscheidungen der namentlich bekannten, in ihren Schwächen und Grenzen nur allzu vertrauten und vor allem selbst gewählten Politiker. Viel lieber hätten wir weise Herrscher, die oben auf ihrem Thron sitzen und klare Entscheidungen treffen. Dazu passt auch der Habitus der Richter, die roten Roben, die erhöhte Sitzposition, der Einzug in den Saal, bei dem sich alle erheben. Das Bundesverfassungsgericht, das ist die moderne Form des geliebten Königshauses.

Zwei Drittel der Deutschen wollen, dass das Bundesverfassungsgericht darüber entscheidet, wie sich Deutschland am Euro-Rettungsschirm beteiligt und findet es gut, dass das Gericht sich für seine Entscheidung Zeit lässt, unabhängig davon, ob die Sache eilig ist oder nicht. Aber wie kann das Bundesverfassungsgericht darüber entscheiden, was Deutschland will? Oder was es, im Interesse der europäischen Zukunft tun sollte? Diese grundsätzlichen Fragen sind politisch zu klären, nicht juristisch. Das große Vertrauen ins Gericht zeigt letztlich nur, dass das Volk, nicht nur die politische Klasse, die Verantwortung zur Entscheidung scheut, und lieber einen absoluten Souverän hätte, der allen sagt, wo es lang geht. Er soll keine goldene Krone tragen, aber ein purpurner Mantel, eine lange weiße Rüschenschleife und ein steifer Hut darf es schon sein.

Jörg Friedrich geht immer donnerstags in seiner Kolumne "Wundersamer Alltag" seinem ganz alltäglichen Staunen über die Welt nach. Denn alle Philosophie beginnt beim Staunen. Und alle Veränderung mit einem Wundern.

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Geschrieben von

Jörg Friedrich

Naturwissenschaftler, IT-Unternehmer, Philosoph

Jörg Friedrich

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