Ein Windrad ist nicht demokratisch

Wundersamer Alltag Die Energiewende wird die Grundlagen unserer Gesellschaft umwälzen. Aber warum reden viele davon, dass sich damit auch die Produktionsstrukturen demokratisieren?

Windräder und Solaranlagen prägen immer mehr das alltägliche Bild unserer Landschaft. Sie zeugen von einer Umwälzung der Grundlagen unserer Gesellschaft, die vielleicht tiefgreifender ist, als wir es momentan glauben wollen. Dezentraler wird die Stromerzeugung vielleicht, auch umweltschonender und komplexer. Verwunderlich ist, dass man immer wieder einmal lesen kann, sie würde auch demokratischer werden, es würde zu einer „demokratischen Produktionsstruktur“ kommen.

Zunächst ist verwunderlich, dass hier ein politischer Begriff auf einen technischen oder einen ökonomischen Sachverhalt angewandt wird. Demokratie, das heißt, Herrschaft der Vielen oder des Volkes, aber gemeint ist ja erst einmal die politische Herrschaft. Wenn die Stromerzeugung demokratisch gemacht werden soll, dann muss sie zuerst zu einem politischen Phänomen werden, und es ist ja sehr fraglich, ob wir in einer modernen Gesellschaft wirklich alles der Sphäre des Politischen einverleiben wollen. Der kürzlich verstorbene Philosoph und Soziologe Michael Th. Greven hat auf die Gefahr hingewiesen, dass in einer Gesellschaft, in der alles politisch geworden ist, das eigentlich Politische, der politische Prozess der Entscheidungsfindung nämlich, zu verschwinden droht. Eine Gesellschaft wird dann von „Sachzwängen“ beherrscht, die die tatsächlichen Machtstrukturen und Entscheidungsoptionen der Herrschenden verdecken.

Aber gehen wir einmal von der durchaus plausiblen These aus, dass ökonomische Macht politische Macht nach sich zieht. Dann stellt sich die Frage, ob eine Dezentralisierung der Stromproduktion tatsächlich irgendeine Dezentralisierung der ökonomischen Macht mit sich bringt.

Feudalismus statt Dezentralisierung

Wir können das anhand anderer Branchen, bei denen schon heute eine dezentrale Produktion existiert, sehr gut beobachten. Milch, Getreide und andere landwirtschaftliche Produkte werden genau so dezentral hergestellt, wie wir es für den elektrischen Strom der Zukunft erwarten können. Gibt es in der Landwirtschaft eine Dezentralisierung der ökonomischen Macht, die der Dezentralisierung der Produktion entspräche? Nicht im Geringsten. Die Macht liegt nicht bei den Produzenten, sondern bei denen, die die Roh-Produktion einsammeln, verarbeiten und weiterverteilen. Genau genommen herrschen in der Landwirtschaft feudalistische Strukturen wie im Mittelalter. Das liegt daran, dass der Produzent kaum eine Wahl hat, wem er sein Produkt zu welcher Zeit verkauft: Er muss kurze Wege nutzen, die direkten Anbindung an den lokalen Einkäufer, und er muss, da er eine verderbliche Ware verkauft, schnell sein.

Das ist beim dezentralen Stromproduzenten in noch höherem Maße der Fall, vor allem, wenn er den Strom aus Wind- und Sonnenenergie produzieren will. Er muss produzieren, wenn die Natur es vorgibt (und wenn alle produzieren können, sodass sofort ein Überangebot entsteht) und er muss sofort verkaufen, denn er kann den Strom nicht lagern, und zwar an den Abnehmer, der ihn vor Ort an das Stromnetz anschließt. Auch wenn manchmal das Gegenteil suggeriert wird, der lokal produzierte Strom wird ja nicht lokal wieder verbraucht – im Gegenteil, es wird ja immer dann besonders viel produziert, wenn besonders wenig Strom benötigt wird. Stromerzeugung für den Eigenbedarf gibt es heute nicht und wird es in den komplexen Verteilsystemen der Zukunft schon gar nicht geben.

Die Konzentration der ökonomischen Macht im Falle der alternativen Stromerzeugung wird also keinesfalls beseitigt, wir müssen erwarten, dass sie weiter bei den großen Netzbetreibern liegt. Die Komplexität der flexiblen Verteilung und Zwischenspeicherung der Energie wird es mit sich bringen, dass nur große Unternehmen in der Lage sind, diese Machtposition zu besetzen – und man braucht wohl nicht viel Phantasie um die Namen der großen Energiekonzerne an den Bürotürmen dieser Unternehmen zu sehen. Die Energiewende mag notwendig sein, aber eine bessere Verteilung der ökonomischen Macht wird sie nicht bringen – und eine Demokratisierung der Energieversorgung schon gar nicht.

Jörg Friedrich geht immer donnerstags in seiner Kolumne "Wundersamer Alltag" seinem ganz alltäglichen Staunen über die Welt nach. Denn alle Philosophie beginnt beim Staunen. Und alle Veränderung mit einem Wundern. Vergangene Woche suchte er nach den Gemeinsamkeiten von Higgs-Teilchen und Trollen.

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Geschrieben von

Jörg Friedrich

Naturwissenschaftler, IT-Unternehmer, Philosoph

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