Wundersamer Alltag Wieso singen wir unsere Hymne nicht so inbrünstig wie andere Länder? Was haben wir gegen schwarz-rot-gold? Demokratischere Symbole, sagt der Autor, gibt es doch kaum
Da gab es noch einen Grund, sich zu seinen Symbolen zu bekennen: Fußball. Warum aber hissen wir nicht das ganze Jahr?
Foto: JohnMacDougall / Getty Images
Jetzt sind die schwarz-rot-goldenen Fähnchen wieder fast gänzlich aus dem Alltag verschwunden. Nach dem Ausscheiden der deutschen Mannschaft bei der Fußball-Europameisterschaft gab es ein paar Tage lang noch vereinzelte Tapfere, die das Symbol ihrer Verbundenheit mit dem Team noch an ihren Autos beließen. Doch nun, eine Woche später, sieht man keine Zeichen des deutschen Nationalstaates mehr in der Öffentlichkeit.
Mit dem Verschwinden der Fahnen ist allerdings die Diskussion um die Nationalhymne aufgetaucht, die Frage, ob man sie singen soll, laut und emotional, so, wie andere Europäer ihre Hymnen singen, oder ob man verschämt schweigen soll, wenn die Hymne gespielt wird.
Farben der Freiheit
Verwunderlich an solchen Diskussionen, die in den letzten Jah
en, die in den letzten Jahren immer wieder die Zeitungen und die Stammtische gleichermaßen bewegen, ist, dass zumeist ausgeblendet wird, dass es nicht die dunklen, sondern die hellen Kapitel deutscher Geschichte sind, an die diese Symbole anknüpfen. Schwarz-Rot-Gold, das waren weder die Farben des Kaiserreiches, noch die der Nationalsozialisten, ganz im Gegenteil, es sind die Farben der Republik, der Demokratie und des Freiheitskampfes. Und diejenigen, die die drei Farben heute diffamieren, verwenden ausgerechnet die gleichen Verballhornungen, die schon die Nazis verwendeten, um diese Farben lächerlich zu machen. „Einigkeit und Recht und Freiheit“ sind es, nach denen wir, der Hymne folgend, streben sollen, und zwar „brüderlich, mit Herz und Hand“, weil die „des Glückes Unterpfand“ sind. Man mag den Text etwas altmodisch und nicht politisch korrekt geschlechterneutral finden, aber wenn die Forderung, die er ausspricht, Konsens in der deutschen Bevölkerung wäre, dann wäre doch schon viel gewonnen. Natürlich denkt nicht jeder, der den Text singt, auch darüber nach und identifiziert sich selbstverständlich mit dem Inhalt, genauso, wie nicht alle, die die deutsche Fahne schwenken, mit ihrer Geschichte vertraut sind. Aber ist der Text erstmal im Kopf und sind die Farben erstmal liebgewonnen, lässt sich auch die historische Bedeutung in der Öffentlichkeit konstruktiv diskutieren. Es gibt jedenfalls – im Sinne eines demokratischen Gemeinwesens – kaum einen besseren Hymnentext, auf den sich eine Gemeinschaft einigen könnte.Man darf natürlich fragen, ob nationale Symbolik in Zeiten der europäischen Einigung überhaupt noch einen Sinn hat. Sollten wir, wenn wir schon Symbole der Gemeinsamkeit und Zusammengehörigkeit benötigen, nicht lieber nur noch blaue Fahnen mit Sternenkreisen schwenken und dazu „Freude, schöner Götterfunken“ oder – noch besser im Sinne der Einheit – vielleicht die Eurovisionshymne singen?Der Westfale und der Deutsche Dem muss man entgegenhalten, dass das eine das andere nicht ausschließt. So, wie jemand eine Tasche oder ein Shirt mit einem Bekenntnis zu Münster tragen kann und sich gleichzeitig als Westfale und als Deutscher empfinden kann, so kann sein Herz auch für Europa schlagen. Gegenüber dem Düsseldorfer ist der Kölner eben ein kölscher Jung, aber beide sind, gegenüber dem Westfalen, eben Rheinländer, und die zusammen wissen, dass sie anders sind als die Berliner, mit denen sie aber wieder die Zugehörigkeit zu Deutschland eint. Wir sprechen deutsch, wir kennen die deutschen Dichter besser als die italienischen, wir können die spanische Küche von deutscher Hausmannskost unterscheiden.Und darüber hinaus haben wir eine europäische Tradition, es gibt Verstrickungen und Verflechtungen, die uns durch die wechselvolle Geschichte und die reisenden Intellektuellen aneinander binden, mehr und vor allem anders als an Amerika und an Australien. Identitäten konstituieren sich auf unterschiedlichen Ebenen, und das ist auch völlig unproblematisch. Selbst auf der persönlichen Ebene gilt: Freundschaft entsteht nicht, weil ich mit anderen gleich oder identisch bin, sondern weil wir verschieden sind, weil wir diese Verschiedenheit anerkennen und weil uns diese Verschiedenheit erst interessant füreinander macht.Die schwarz-rot-goldene Symbolik und die dritte Strophe des „Liedes der Deutschen“ machen Deutschland zu einem liebenswerten, interessanten Partner mit eigener Identität in Europa, dass wir sie nicht verstecken und dass wir nicht stumm und undurchschaubar vor uns hin starren, wenn von „Einigkeit und Recht und Freiheit“ gesungen wird, das schafft Vertrauen und Sicherheit bei denen, mit denen wir zusammen eine europäische Identität schaffen wollen, nicht nur bei Sportereignissen, sondern auch im Alltag.
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