Spar-Gel aus Peru

Wundersamer Alltag Der globale Gemüsemarkt macht vor dem Spargel nicht halt – und beschert uns welchen aus Südamerika. Und er wird auch noch gekauft. Ein Unding, findet unsere Kolumnist

In der zweiten Aprilhälfte beginnt in Deutschland die Spargelzeit, wir befinden uns also derzeit irgendwo zwischen Vorfreude und erstem Genuss des beliebten Gemüses dessen wir uns dann, nach alter Tradition, bis zum 24. Juni erfreuen können. Zwei von zwölf Monaten des Jahres steht die Ernährung ganz im Zeichen der weißen Stangen. Aber der globale Gemüsemarkt, der uns schon seit langem übers ganze Jahr den Verzehr von Apfelsinen und Bananen ermöglicht und seit ein paar Jahren auch im Winter eine Frucht in die Regale bringt, die entfernt nach Erdbeeren aussieht, macht auch vor dem Spargel nicht halt. Am Ostersamstag boten münsterländer Supermärkte Spargel an, Handelsklasse 1, für 4,98 Euro das Kilo. Aus Peru.

Ich schätze die südamerikanischen Landwirte sehr, ich liebe ihren Kaffee und genieße auch gern die verschiedenen Ergebnisse der Verarbeitung ihrer Kakaobohnen. Ich freue mich, dass auch der Spargel, ein altes europäisches Gewächs, bei ihnen gedeiht, und wünsche ihnen, dass er ihren Landsleuten ebenso schmeckt wie mir. Was mir jedoch nicht in den Kopf will ist, dass der Spargel, in Peru gestochen, nach Deutschland geflogen wird, nur damit man hier nicht erst Ende April, sondern schon zwei Wochen früher die Sehnsucht nach den weißen Sprossen stillen kann.

Man könnte argumentieren, dass das der Lauf der Dinge in einer arbeitsteiligen globalen Weltwirtschaft sei, dass das nur ein weiterer kleiner Effekt auf dem wunderbaren Weg sei, den man „Fortschritt“ nennt und der uns eben die immer bessere, immer schnellere Erfüllung all unserer Wünsche ermöglicht. Man kann mir entgegenhalten, dass ich in den vergangenen Monaten schließlich auch Äpfel aus Südtirol und Bananen aus Südamerika gegessen habe. Das ist alles richtig. Wir leben in Gewohnheiten und freuen uns an der Vielfalt, die der Fortschritt und der Welthandel uns gebracht hat, essen Lachs und Südfrüchte, trinken Wein und Whiskey – alles Dinge, die es in Norddeutschland eigentlich nicht gibt. Aber ist es angesichts von Klimawandel und Umweltbelastung nicht Zeit, wenigstens anzuhalten und nicht immer noch den nächsten und übernächsten Schritt zu gehen, nur weil er eben möglich ist und die konsequente Fortsetzung dessen, was irgendwann vor ein paar Jahrhunderten begonnen hat?

Warum wird gekauft?

Wenn es ein ökologisches Bewusstsein wirklich gäbe, und wenn, wie manche Optimisten es sagen, es stärker würde und irgendwann, noch rechtzeitig, den CO2-Ausstoß und die Abholzung von Regenwäldern stoppen könnte, wäre es dann möglich, dass deutsche Gemüsehändler auf die Idee kommen, zwei Wochen vor dem Beginn der deutschen Ernte Spargel aus Peru in die Auslagen zu legen? Und wäre es dann möglich, dass deutsche Konsumenten dieses Gemüse kaufen? Es wird gekauft.

Und dann der Preis. Tatsächlich gibt es ja in diesen Tagen auch den ersten heimischen Spargel. Er kostet, da er ein rares Gut ist, pro Kilo fast 15 Euro. Der Spargel aus Peru, der um die halbe Welt geflogen und durch die Bücher diverser Zwischenhändler gegangen ist, kostet also ein Drittel des lokal erzeugten und verkauften Produktes. Schon aus diesem Grunde kann doch keiner, der jemals über menschenwürdige Produktionsbedingungen oder fairen Handel nachgedacht hat, diesen Spargel kaufen. Aber er wird gekauft.

Niemand muss ernsthaft Verzicht üben, wenn er den ersten Spargel erst im Mai isst. Im Gegenteil, die Kürze des Angebotes heimischer Früchte, der Erdbeeren, der Kirschen und eben auch des Spargels, macht doch einen Großteil der Freude aus, die ihr Genuss uns bringt, und ihre ungleichmäßige Verfügbarkeit übers Jahr sorgt dafür, dass wir uns in den gemäßigten Breiten eben immer auf irgendwas freuen können. Was für eine freudlose Zeit kommt auf uns zu, wenn es eines Tages wirklich alles jederzeit zu kaufen gibt.

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Geschrieben von

Jörg Friedrich

Naturwissenschaftler, IT-Unternehmer, Philosoph

Jörg Friedrich

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