Streit zu zweit

Männersache Warum zerschlagen Paare Geschirr, statt es in die Spülmaschine zu räumen? Über den Streit und unseren Wunsch, rational Irrationales zu erklären
Streit zu zweit

Illustration: Otto

Man behauptet manchmal, die Menschen müssten einander nur gut genug kennen und verstehen lernen, um Streit vermeiden zu können. Aber irgendwie kann das nicht richtig sein: Wenn Mann und Frau zusammenleben, dann scheint es eher normal zu sein, dass sie sich umso mehr streiten, je länger sie sich kennen.

Lernen zwei sich kennen und ziehen sie zusammen, dann gibt es noch kaum Grund zu streiten. Nicht, dass man alles, was der andere sagt und tut, liebenswert fände. Das schmutzige Glas auf dem Küchentisch stört schon beim ersten Mal. Aber es ist zunächst ein Einzelfall, vielleicht ein Versehen. Zum Streitgrund wird das Einzelereignis durch das unscheinbare Wort immer. „Immer lässt du das Glas stehen.“ Damit sagt ein Partner zum anderen: Ich kenne dich inzwischen, ich kann schon vorhersagen, dass du auch morgen dein Glas wieder da stehen lassen wirst, aber ich begreife es nicht.

Wir beginnen zu streiten, weil wir nicht akzeptieren können, dass wir das Verhalten eines Menschen vorhersagen, aber nicht verstehen können. Wir glauben doch an die Rationalität: Nur wenn man einen Vorgang versteht, kann man ihn auch vorhersagen. Es muss einen Grund geben für das störende Handeln des anderen. Wenn jemand regelmäßig etwas tut, von dem er doch genau weiß, dass ich es nicht mag, dann muss das doch Absicht sein. Er will mich ärgern.

Nicht rational

Im Streit zwischen Mann und Frau kommt ein tief sitzender Irrtum unserer modernen Gesellschaft zum Ausdruck: Wir glauben, dass alles erklärbar sein müsste. Im Zusammenleben von Menschen sind die meisten einfachen Erklärungen aber unerfreulich, sie sind Grund zum Streit. Statt selbst nach einfachen Erklärungen zu suchen, kann man seinen Partner zur Rede stellen, aber das macht es meist noch schlimmer: Ich verlange eine Erklärung für etwas, was nicht rational erklärbar ist.

In der Erklärungsnot fordert der Partner nun eine Erklärung von mir – was denn für mich so ärgerlich an einer Sache sei, die er selbst für eine Lappalie hält. Auf der Ebene rationaler Erwägungen lässt sich aber schwer feststellen, ob ein Glas besser am Abend vor dem Schlafengehen oder am Morgen mit dem Frühstücksgeschirr in den Spüler zu stellen ist. Das schmutzige Glas auf dem Küchentisch ist eigentlich kein Grund zum Streit, denn der Streit bringt das Glas nicht in den Spüler, sondern allenfalls zu Boden. Am Ende ist dann viel Geschirr zerschlagen.

Die Alternative? Ein weiteres Glas dazustellen und beim Wein über die Unbegreiflichkeit des Vorhersehbaren philosophieren. Wer philosophiert, sündigt nicht. Zum Sündigen ist genug Zeit, wenn der Wein getrunken ist und die Gläser im Dunkeln des Geschirrspülers beieinanderstehen.

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Geschrieben von

Jörg Friedrich

Naturwissenschaftler, IT-Unternehmer, Philosoph

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