Verpassen sich zwei

Wundersamer Alltag Warum bleiben Single-Frauen in der Bar meist unter sich, fragt sich unser Kolumnist. Und warum halten sie so große Distanz, wenn sie ausnahmsweise ein Rendezvous haben?

Früher saßen die Männer abends in der Kneipe und die Frauen warteten zu Hause. Heute scheint es umgekehrt zu sein. Gehe ich abends noch auf ein Glas Wein oder Bier ins Bistro, ins Café oder in die Brasserie, dann sehe ich dort vor allem Frauen – zu zweit oder in kleinen Gruppen – der Männeranteil liegt bei etwa 25%. Wo sind die Männer? Sitzen sie zu Hause, hüten sie die Kinder, füllen sie die Wasch- und Spülmaschinen und kochen das Essen für den nächsten Tag?

Wohl kaum. Denn die Frauen, deren Gespräche von den Nebentischen herüberwehen, machen nicht den Eindruck, verheiratet oder, Facebook-like, „in einer Beziehung“ zu sein. Vielleicht hocken die Männer, die zu diesen Frauen gehören könnten, noch immer in Kneipen und ich bin die Ausnahme, weil ich eben nicht in der Kneipe sitze, sondern im Café-Bistro, in der Brasserie. Schwitzen richtige Männer zu dieser Zeit im Fitness-Studio, sitzen sie vorm Fernseher beim Bier? Ich weiß es nicht, und eigentlich ist es auch egal, denn was das Verwunderliche ist, dass sie nicht hier sind, wo die Frauen sind.

Wer keinen Partner hat, der sucht sich einen – das habe ich immer gedacht. Die Männer früher hatten ihre Frauen schon zu Hause, sie suchten keine mehr. So lange man aber noch auf der Suche ist, schafft man sich Gelegenheiten: Frauen gehen da hin, wo die Männer sind und Männer gehen an die Orte, wo sie Frauen treffen. Das scheint aber nicht zu stimmen, denn heute fällt an solchen Orten vor allem die Trennung der Geschlechter auf: Männer und Frauen gehen sich offenbar aus dem Wege, scheuen die Begegnung.

Zusammen lachen, getrennt zahlen

Und selbst wenn mal eine Frau mit einem Mann am Tisch sitzt, bleibt die Körpersprache distanziert. Sie beugen sich nicht zueinander, sie meiden den Blickkontakt. Das lange Haar hat sie sorgsam nach hinten gekämmt und straff zusammengebunden, damit es niemals, auch nicht zufällig bei einer Bewegung seine Hand berühren könnte. Gelacht wird viel und laut, und gezahlt wird immer getrennt. Das Auseinanderrechnen der Getränke in Anwesenheit der konzentrierten Kellnerin beendet sicher jeden Anflug womöglich aufgekommener Intimität.

Dass ein Mann eine Frau zum Drink einlädt ist offenbar verpönt – es wird als Zeichen eines altmodischen Rollenverständnisses gewertet, so wie das Aufhalten der Tür oder das In-den-Mantel-Helfen. Wenn ich mal jemanden sehe, der unter 30 ist und einer Frau noch in den Mantel hilft, dann fällt mir immer der Trullesand aus Hermann Kants Aula ein: „Und an der Garderobe lässt sie sich von einem in den Mantel helfen, dem du schon beim Reinhelfen ansiehst, wie er sich aufs Raushelfen freut, und alles diese Dinger.“ Es ist aber schon lange nicht mehr vorgekommen, dass ich mich in einer ähnlichen Situation daran erinnert habe.

So werden aus den jungen Menschen Erwachsene, und sie bleiben Single. Scheinbar haben sie nicht gelernt, Distanz aufzugeben, Intimität entstehen zu lassen, zu flirten. Flirten klingt schon so altmodisch, klingt nach Schwarz-Weiß-Filmen. Im modernen Kinofilm ist alles ganz einfach: Sie sehen sich, erröten, die Stimme versagt, sie stottern was und lachen verlegen – dann ist auch schon alles klar, die Große Liebe ist gefunden. Vielleicht warten die jungen Menschen in den Cafés und in den Fitness-Studios darauf, aber selbst dafür bräuchte es ja den Moment, in dem sie sich begegnen, mal davon abgesehen, dass die Große Liebe kein plötzliches Gewitter ist sondern ein langsam heraufziehender Landregen, vor dem man sich nicht verstecken darf, wenn man ihn genießen möchte. Flirten ist was anderes als ein Klick auf den Button „Freundschaftsanfrage versenden“, es hat mit Körpern, mit Duft, mit Berührung zu tun, mit Atem auf der Haut. Mit echter Nähe.

Jörg Friedrich geht immer donnerstags in seiner Kolumne "Wundersamer Alltag" seinem ganz alltäglichen Staunen über die Welt nach. Denn alle Philosophie beginnt beim Staunen. Und alle Weltveränderung mit einem Wundern. Vergangene Woche wunderte sich Friedrich über die veralteten Namen von Plätzen

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Geschrieben von

Jörg Friedrich

Naturwissenschaftler, IT-Unternehmer, Philosoph

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