Es gehört zu den weit verbreiteten Mythen der Moderne, dass Männer öfter untreu sind als Frauen. Für diese These werden sogar biologistische Argumente aufgeboten: Unter Berufung auf Darwins Evolutionstheorie wird behauptet, dass der Mann versuchen müsste, mit möglichst vielen Frauen Verkehr zu haben, um sein Erbgut möglichst weit zu verteilen, während die Frau daran interessiert sein muss, einen festen Partner zu haben, der als fleißiger Jäger für den Unterhalt des Nachwuchses sorgt.
Diese Argumentation gibt uns Männern quasi einen Freibrief zum Fremdgehen und den Frauen würde das Fremdgehen gleichzeitig mit wissenschaftlicher Strenge untersagt. Einem genaueren Nachdenken hält die These nicht stand. Die Kinder-Aufzucht war in der Urgesellschaft eine Sache der ganzen Horde, so dass die genaue Verantwortungsübernahme eines Elternpaars gar nicht nötig war – die Ehe und der Ehebruch wurden ja erst erfunden, als wir Menschen biologisch längst „fertig“ waren. Und die Frau hat genauso viel Erbgut wie der Mann, das verteilt werden muss. Zur besten Durchmischung ist also das „Fremdgehen“ der Frau ebenso geeignet wie das des Mannes.
Männer könnten gar nicht fremdgehen, wenn nicht auch Frauen untreu wären. Es gibt so viele verheiratete Männer wie Frauen, und wenn die Männer, die außerhalb der eigenen Ehe nach einem Verhältnis suchen, sich nur Unverheirateten zuwenden würden, wären die Möglichkeiten schnell erschöpft. Es ist aber auch ein relativ neues Phänomen, dass attraktive, begehrenswerte Frauen Single bleiben.
Sind Männer ungeschickter?
Womöglich ist die Zahl der Frauen, die neugierig auf einen „Seitensprung“ sind, ebenso groß wie die der Männer, die ein solches Vergnügen suchen – und auch die „Täterzahlen“ dürften auf beide Geschlechter gleich verteilt sein. Da stellt sich natürlich die Frage, warum über die Seitensprünge von Männern weit häufiger geredet wird als über die der Frauen. Warum möchte niemand etwas über die Affären der Frauen wissen? Das ist auch Diskriminierung. Die Liaison der Präsidentengattin ist vielleicht eine Schlagzeile wert, mit dem Seitensprung des Präsidenten dagegen kann man eine Kampagne machen.
Lassen wir Männer uns häufiger erwischen, weil wir ungeschickter und unachtsamer sind? Das männliche Ego verbietet mir, diese Idee plausibel zu finden. Aber es spricht wieder auch die Mathematik dagegen: Auf jeden beim Fremdgehen erwischten Mann müsste ziemlich genau eine erwischte Frau kommen. Auch andere Antworten sind für uns Männer wenig schmeichelhaft: So könnte man vermuten, dass Männer nicht nur einfach still und heimlich hin und wieder fremdgehen, sondern auch das Bedürfnis haben, vor anderen mit ihren „Eroberungen“ zu prahlen, so dass solche Geschichten einfach häufiger öffentlich werden. Die Frau genießt und schweigt. Der Mann genießt und schwätzt darüber.
Aber die Voraussetzung dafür, dass in der Öffentlichkeit geredet wird, ist, dass die Öffentlichkeit Interesse hat. Diese aber interessiert sich vor allem für die Mächtigen und Reichen, und Macht und Reichtum ist noch immer vor allem männlich.
Frauen haben außerdem noch handfestere Gründe, über ihre Aktivitäten außerhalb des eigenen Ehebettes zu schweigen. Die finanzielle Abhängigkeit vieler Ehefrauen von ihrem Gatten gehört dazu. Oder die Angst vor häuslicher Gewalt. Vielleicht sind wir nicht öfter untreu als unsere Frauen, aber es würde uns Männern gut stehen, wenn wir darüber schweigen könnten.
Jörg Friedrich ist IT-Unternehmer und Philosoph. Er ist glücklich verheiratet, obwohl er nicht sehr schweigsam ist
Die wöchentliche Kolumne "Frauensache/Männersache" im Alltagsressort widmet sich Genderthemen und wird abwechselnd von weiblichen und männlichen Autoren geschrieben. In der letzten Folge schrieb Ulrike Baureithel über Gehaltsunterschiede bei Frauen und Männern
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